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COP30








Gastbeitrag #4Wenn die Flaute kommt – die Welt aber nicht wartet

Kathrin Henneberger
Vierte Reisekolumne zur Weltklimakonferenz von Kathrin Henneberger (Bild: Kathrin Henneberger).

Während die Treibhausgase neue Rekorde erreichen und die Biodiversitätskrise unsere Lebensgrundlagen bedroht, treiben wir zwischen Westsahara und Teneriffa – wartend auf Wind und begegnen dabei vorbeiziehenden Kreuzfahrtriesen.

Vierte Reisekolumne zur Weltklimakonferenz von Kathrin Henneberger

21.10.2025 – Sobald wir in Teneriffa anlegten und es an Bord nichts mehr zu tun gab, machte ich mich auf in die Berge, zu den Nebelwäldern. Lorbeerbäume, von denen Flechten und Moose herabhängen, nehmen die kleinen Wassertropfen der Wolken auf und vermitteln das Gefühl, durch einen verwunschenen Märchenwald zu streifen. Alle paar hundert Meter, je nachdem, auf welcher Seite der Insel ich wandere und in welcher Höhe, verändert sich das Ökosystem. Mal sprießt smaragdgrüner Adlerfarn, mal säumen Kakteen mit reifen Früchten und Agaven den Weg.

Allein sein, nicht auf begrenztem Raum, sondern kilometerweit laufen zu können, über Steinhänge zu klettern und auf schmalen Pfaden unter dichtes Gebüsch zu huschen – es überrascht mich selbst, wie sehr ich das vermisst habe. Und ich frage mich, wie andere es aushalten, so viel länger auf See zu sein. Am nächsten Tag folgt mir jedoch Jasper, Nautiker, von Bord in die Berge, und wir machen uns gemeinsam an den Abstieg. Die Vulkanlandschaft zu erkunden ist dann doch lustiger zu zweit.

An Land bestimme ich den Kurs. Mein gewähltes Ziel ist ein schwarzer Vulkanstrand, der glitzert. Der Glimmer in den Gesteinen mischt sich dazu. Wie schön und voller Wunder ist bitte unsere Erde? Und wie absurd ist es, dass die Menschheit ein Wirtschaftssystem erdacht hat, das – statt diesen Reichtum zu genießen – alles unternimmt, um ihn zu zerstören. Die Weltmeere mit Plastik volllaufen lässt und übersäuert. Ökosysteme im Meer wie an Land so unter Stress setzt, dass sie beginnen zu kollabieren.

In Kolumbien kämpfen Frauen wie Susana Muhamad für Umweltgerechtigkeit…

Neben der Klimakrise erlebt die Menschheit auch eine Biodiversitätskrise – beide sind eng verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Tier- und Pflanzenarten sterben unwiderruflich aus, ganze Naturlandschaften befinden sich im Wandel und können mit den schnellen klimatischen Veränderungen und dem intensiven Verlust von Lebensraum nicht mithalten.

Das Ökosystem der Nebelwälder auf Teneriffa erinnert mich entfernt an die Hochmoore in den Anden nahe Bogotá. Auch dort hat sich die Vegetation darauf spezialisiert, die Wassertröpfchen der Wolken einzufangen – so sehr, dass Seen und Feuchtgebiete entstanden sind, aus denen die Stauseen der Stadt gespeist werden.

Páramo wird dieses Hochlandfeuchtgebiet genannt. Es liefert 80 Prozent des Trinkwassers der Stadt Bogotá, und landesweit stammen 70 Prozent des Trinkwassers aus solchen Feuchtgebieten. Aufgrund der Klimakrise verändern sich jedoch auch dort die Niederschlagsmengen. Im Jahr 2024 erreichten die Staudämme historisch kritische Pegelstände. Die Stadtverwaltung sah sich gezwungen, Trinkwasserrationierungen vorzunehmen.

Der Schutz der Páramos in den Anden liegt nicht allein in der Verantwortung regionaler Behörden: Die Ursache ihrer Bedrohung sind globale Treibhausgasemissionen. Deshalb ist die Bereitstellung von Klima- und Biodiversitätsfinanzierung in der bilateralen Zusammenarbeit mit Kolumbien sowie über globale Fonds entscheidend.

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 Bilder: Kathrin Henneberger
Gastbeitrag #3

It’s all about the climate money

Wie wollen wir auf dieser Erde leben? Achten wir in Zusammenarbeit aufeinander, oder pochen wir nur auf die eigenen Bedürfnisse? Bei Letzterem ist der Untergang vorprogrammiert - egal ob Weltgemeinschaft oder Mannschaft auf See.

Auch Mittel aus dem deutschen Bundeshaushalt werden dafür bereitgestellt. Dafür zu sorgen, dass sie ausreichend finanziert werden, war auch Teil meiner Aufgabe im Bundestag. Während der Haushaltsverhandlungen wurde umgeschichtet, und wir lenkten in den ersten zwei Jahren der Ampelregierung hunderte Millionen Euro gezielt in diese globale Klima- und Biodiversitätsfinanzierung.

Auf meiner Dienstreise im Jahr 2024 nach Kolumbien – als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zuständig für Entwicklungsfinanzierung der Grünen Bundestagsfraktion – traf ich neben der Umweltsekretärin der Hauptstadt Bogotá auch die damalige Umweltministerin Susana Muhamad. Sie ist nun angehende Präsidentschaftskandidatin Kolumbiens.

Es war das dritte Mal, dass wir uns sahen, zuvor trafen wir uns bereits in Bogotá und bei ihrem Besuch in Berlin. Das Ende neuer Öl- und Gaserschließungen im Amazonas, die Schließung der Steinkohletagebaue im Norden Kolumbiens, die Problematik illegaler Goldschürfung und neuer Kupferminen in indigenen Territorien, die notwendige Finanzierung globaler Fonds – die Liste unserer Themen war lang. Und schnell wurden Absprachen getroffen, welche Initiativen wir z. B. vor den Klimakonferenzen starten sollten und welche Fonds wir uns genauer anschauen müssten. Denn die Gelder entscheiden am Ende – wie beim Schutz der Páramos – über die Trinkwassersicherheit von Millionen Menschen.

Auch dies ist Verantwortung von Bundestagsabgeordneten im Themenfeld globaler Gerechtigkeit – weniger sichtbar als fetzige TikTok-Videos, hart attackiert von Rechtsaußen – aber nicht weniger effektiv darin, die Welt zu verändern. Nur leider – oder gerade deshalb – abgewählt. Ein wenig Galgenhumor darf schon sein.

…und in Brasilien verteidigt die Kongressabgeordnete Célia Xakriabá die Rechte der Indigenen

Kolumbien ist wie Brasilien eines der Länder des Amazonasbeckens. Entwaldung, Macht der Agrarindustrie, Extraktivismus – obwohl der Amazonaswald aufgrund der Klimakrise droht, zur Savanne zu werden, schreitet der Raubbau weiter fort. Die Territorien indigener Bevölkerungen sind global die Flächen mit der höchsten Biodiversität und gleichzeitig wichtige Kohlenstoffsenken. Doch Vertreter*innen indigener und traditioneller Gemeinschaften werden weiterhin massiv bedroht. Sie müssen damit rechnen, für ihre Arbeit ermordet zu werden.

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Blick vom Deck eines Segelbootes über die Takelage und Segel hinweg auf das offene Meer, während die Sonne in einem orangefarbenen Himmel am Horizont untergeht.
Gastbeitrag #2

Wenn das Meer leuchtet und die Erde brennt

Auf dem Weg zur Weltklimakonferenz über den Atlantik folgen uns Delfine, glitzern Dinoflagellaten und gleichzeitig baut TotalEnergie in Uganda eine neue Erdölpipeline – als wäre die Welt nicht schon im fossilen Orkan am Kentern.

Auch hier sind es besonders Frauen, die den Drohungen trotzen und aktiv Politik gestalten. Célia Xakriabá und Sônia Guajajara vertreten die indigene Bevölkerung im brasilianischen Kongress. Sônia ist zudem erste indigene Ministerin im Kabinett von Präsident Lula. Beide traf ich erstmals auf der COP in Sharm El-Sheikh. Es entstand eine enge Zusammenarbeit. Célia lud mich ein, gemeinsam „The Planet Caucus“ zu gründen – eine Gruppe von Abgeordneten verschiedener Länder, die sich für ein Ende des Extraktivismus und für Menschen- und Umweltrechte einsetzen. In Absprache mit ihr verfassten wir aus Europa Protestbriefe gegen das Gesetz Marco Temporal, das die Ausweisung neuer indigener Territorien extrem erschwert – bis hin zur Unmöglichkeit. Und immer wieder stritten wir gemeinsam gegen das Freihandelsabkommen Mercosur, inklusive Beschlusslagen, die auf Grünen Bundesdelegiertenkonferenzen ausgefochten wurden.

Ich schreibe ihr nun auf meiner Fahrt nach Brasilien – unsicher, ob ich, da ich kein MdB mehr bin, als einfache Klimaaktivistin aus dem Rheinland noch nützlich sein kann. Doch sie antwortet sofort – voller Freude über unsere Anreise. In Belém werden wir wieder gemeinsam in Aktion treten. Am Ende spielt es keine Rolle, welche Titel wir gerade tragen. Was zählt, ist der Wille, für eine Welt zu kämpfen, die koloniale Ausbeutung beendet, patriarchale Machtstrukturen zerstört und bedingungslos für Menschenrechte und den Schutz unserer Lebensgrundlagen einsteht.

Die Flotilla formiert sich

Noch sind wir in Teneriffa, doch so schnell wie möglich müssen wir über Kap Verde – unseren letzten Stopp – den Atlantik überqueren. Am Tag vor der Abreise treffe ich Ruth und Karina, die auf dem Segelschiff Sababa mitfahren. Seit Wochen stehen wir in Kontakt, um die Öffentlichkeitsarbeit der Flotilla for Change zu organisieren. Heute sehen wir uns zum ersten Mal persönlich – und natürlich wird erst einmal ordentlich der erste und letzte gemeinsame Abend gefeiert.

Die Sababa ist von Neuseeland aus aufgebrochen, um Aktivist*innen aus verschiedenen Regionen einzusammeln und gemeinsam über den Atlantik zu segeln. Mittlerweile gehören sechs Segelschiffe zur Flotilla for Change, und weitere, etwas freier organisiert, sind ebenfalls auf dem Weg.

Am Morgen des 14. Oktober heißt es auch für uns: Leinen los. Die Sababa ist kleiner als unser Schiff und flitzt schon bei geringer Windstärke. Sie umkreisen uns frech, ziehen dann schnell an uns vorbei und winken ein letztes Mal. Ich klettere schnell ins Rigg, setze mich auf den Hauptmast – mein liebster Ort an Deck – und schaue ihnen nach, bis ihre blau-weißen Segel am Horizont verschwinden.

Leider haben wir diesmal weniger Glück mit dem Wind. Nur langsam kommen wir voran, und einen Tag später geraten wir in eine Flaute. Wir dümpeln fast reglos auf spiegelglatter See. Eine große Gruppe Falscher Schwertwale besucht uns, springt immer wieder neben dem Schiff aus dem Wasser, bis sie das Interesse verlieren und weiterziehen. Wir nutzen die stille Zeit für kleine Reparaturen, weitere Sicherheitstrainings – und zum Schwimmen. Unter uns: rund 3500 Meter Meerestiefe. Das Wasser ist ein atemberaubendes Azurblau, und es fällt schwer, das kühle Nass zu verlassen und wieder an Deck zu klettern.

Aus der Zeit Gefallen und absolut unnötig: Kreuzfahrtschiffe

Die Ungeduld packt uns – schließlich wollen wir vorankommen. Der Wind attackiert uns, weht uns entgegen. Unterschiedliche Segelstellungen werden erprobt, meine Nachtschicht verbringe ich hauptsächlich mit dem Wenden von Haupt- und Schoonersegel.

Statt nach Kurs fahren wir jetzt nach dem Wind, um überhaupt voranzukommen. Das bedeutet: Beim Steuern genau darauf zu achten, wohin unsere kleine Regenbogenfahne am Hauptmast weht. In der Dunkelheit ist es manchmal schwer zu erkennen.

In der Nacht zieht ein riesiges Kreuzfahrtschiff an uns vorbei. An Bord scheint eine Party zu laufen, inklusive Lasershow, die den Sternenhimmel überstrahlt. In mir regt sich der innere Drang, Piratin zu werden, das Schiff zu kapern und ihnen den Rum zu stehlen. Es ist ein bizarrer Anblick – und ein harter Gegensatz zu der Art, wie wir den Atlantik überqueren.

Reisen mit fossilen Kreuzfahrtschiffen sind seit der Corona-Pandemie leider wieder im Trend. Laut einem Bericht der Organisation Transport & Environment (T&E) ist die Zahl der Kreuzfahrtschiffe von 222 im Jahr 2000 auf 515 im Jahr 2024 gestiegen. Im Jahr 2022 verursachten Kreuzfahrtschiffe allein in europäischen Gewässern so viel CO₂ wie 50.000 Flüge zwischen Paris und New York. Hinzu kommt die Verschmutzung der Meere durch ungeklärte Abwässer. Die Umweltorganisation Friends of the Earth warnt: Ohne unabhängige Kontrollen und klare internationale Vereinbarungen wird die Verschmutzung der Ozeane durch Kreuzfahrtschiffe weiter zunehmen – mit dramatischen Folgen für Meerestiere und Ökosysteme.

Auf nach Belém

Ich gehe zurück in die Küche. Dort ist der Tisch zur Hälfte in ein Büro der Klimaaktivistin verwandelt und wird zur anderen Hälfte gerade genutzt, um Brot zu backen. Ich klappe meinen Laptop auf und beginne diesen Artikel zu schreiben – bis ich wieder ans Steuer muss. Jeder Tag, jede Nacht, jede Wache auf See ist anders: Mal kommen wir kaum hinterher mit dem Ordnen der Segel und dem Organisieren des Lebens an Bord. Und wenn nachts nichts passiert, bleibt Zeit, neue Sternbilder zu lernen. Je weiter wir nach Süden segeln, desto mehr verschwinden die aus Mitteleuropa bekannten hinter dem dunklen Horizont.

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Eine Person in türkisfarbener Regenjacke und oranger Mütze steht am Steuerrad eines Segelbootes auf offener See. Im Hintergrund sind graue Wolken, aufgewühlte Wellen und ein Regenbogen am Horizont zu sehen.
Gastbeitrag #1

Segel setzen gegen den fossilen Rollback

Auf der Weltklimakonferenz wird die fossile Industrie eskalieren – und auf die Bewegung für Klimagerechtigkeit treffen. Die ersten Segelboote mit Aktivist*innen sind bereits auf dem Weg über den Atlantik.

Die Wellen beginnen sich zu kräuseln, die Windstärke nimmt zu. Haupt- und Schoonersegel werden in Schmetterlingsstellung gebracht – eines nach Backbord, eines nach Steuerbord. „Sheet in!“ lautet dann der Ruf. Sheet bezeichnet auf Deutsch die Schot, also das Seil, mit dem das Segel eingestellt wird.

Im Osten liegt jetzt die Küste der Westsahara, im Westen wartet der Atlantik auf uns. Eine Meldung erreicht uns: Die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre hat mit über 422 ppm einen neuen Höchststand erreicht – während die Bundesregierung auf europäischer Ebene die Klimaziele (90 Prozent Reduktion bis 2040) schreddern will. Höchste Zeit, dass sich die Flotilla for Change wieder in Bewegung setzt.

Jasper entscheidet, zusätzlich die Toppsegel zu setzen.
„Ready on the Top Sail Halyard? Ready on the Sheets?“ schallt sein Ruf über Deck.
„Ready!“ antwortet die Crew. Das kleinere Segel wird nach oben gezogen und spannt sich über das Hauptsegel. Wir fangen jetzt noch mehr Wind – und werden schneller.

Kathrin Henneberger ist Klimaaktivistin und war unter anderem Pressesprecherin von Ende Gelände. Für Bündnis 90/die Grünen saß sie von 2021 bis 2025 im Bundestag. Dies ist die vierte Kolumne einer Reihe auf dem Weg zur Weltklimakonferenz nach Belém.

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