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Wenn die Mafia AKW-Helden vermittelt

IAEA Experten vor TEPCO's Fukushima Daiichi Nuclear Power Station am 17 April 2013. Die größten Opfer sind wohl die Leiharbeiter, die schon kurz nach dem Super-GAU im März 2011 die Aufräumarbeiten begannen. (Foto: Greg Webb / IAEA, CC BY-SA 2.0 )

Der Journalist Tomohiko Suzuki schleuste sich drei Monate nach dem Super-GAU von Fukushima 2011 in die Aufräumarbeiten im Kern der Kraftwerksruine ein. Sein Buch über die extrem gefährdeten Arbeiter dort sowie die Rolle und Macht mafiöser Strukturen hat der Autor Tage auf einer Lesereise vorgestellt.

15.03.2017 – Die Katastrophe von Fukushima dauert an, so viel ist klar. Die größten Opfer sind wohl die Tausenden von Leiharbeitern, die schon kurz nach dem Super-GAU im März 2011 die Aufräumarbeiten begannen. Ihnen widmete der Journalist Tomohiko Suzuki ein Buch, das nun auch auf Deutsch vorliegt.

Der 1966 geborene Freie Journalist war schon vor 2011 spezialisiert auf die Yakuza, die in Japan allgegenwärtige organisierte Kriminalität. Sie besorgte einen Teil der Leute für die Aufräumarbeiten mit unschätzbarem Risiko – und verdiente daran sehr viel Geld. Tausende wurden in der stark verstrahlten Zone gebraucht, und sie kamen, zum Teil von weit her. Aufgrund seiner Kontakte konnte Suzuki sich da einschleusen. Die Gefahr für seine Gesundheit schreckte ihn nicht. „Selbst dieser erfahrene Journalist war sich nicht von Anfang an bewusst, auf was er sich da eingelassen hatte“, schreibt der auch im Ausland bekannte deutsche Enthüllungsjournalist Günter Wallraff in seinem Vorwort zu Suzukis Buch.

Logischerweise waren die von Armut getriebenen Freiwilligen, die in der außer Kontrolle geratenen Höllenmaschine ihre Gesundheit aufs Spiel setzten, noch unwissender. Doch das Thema ist komplizierter, geradezu faszinierend, denn es geht dabei nicht nur um das Naheliegende: Vertuschungen und Täuschungen seitens Behörden und Firmen, um überhaupt Leute dazu zu kriegen, dort zu arbeiten. Faszinierend ist vielmehr, dass Tausende Menschen anscheinend auch zum Wohle der Allgemeinheit handeln wollten, also mit dem Willen zur Aufopferung die (übrigens relativ gut bezahlten) Aufräumarbeiten erledigten. Sie werden heute als Helden angesehen. Auch Suzuki sah sich anfangs als Held, wie er am Montagabend in Berlin am Rande der Vorstellung der gerade erst erschienenen deutschen Übersetzung seines Buches sagte.

Heute sieht er seinen Einsatz aber selbstkritisch. Nach drei anstrengenden Monaten als Aufräumarbeiter veröffentlichte er Reportagen darüber in „Shukan Bunshun“, der größten Wochenzeitung Japans. Das darauf basierende Buch wurde zur Sensation und verkaufte sich 100.000 Mal. Demnach gibt es in Japan genug Menschen, die sich als Tagelöhner verdingen müssen, und genug organisierte Kriminalität, die Yakuza, um diese relativ anspruchslosen Arbeitskräfte schnell selbst auf gefährlichste Arbeitsplätze zu vermitteln. Suzukis Buch ist so auch eine Einführung in das kulturelle Phänomen Yakuza und in deren Verstrickung in die AKW-Branche, an der sie sehr gut verdiente.

Ironischerweise hat der Autor aber wegen seiner Investigativrecherchen weniger Angst, als es bei Leuten, die über mafiöse Strukturen berichten, zu erwarten wäre. Die Yakuza muss Menschen, die sich mit Japan nicht auskennen, zunächst unverständlich bleiben. Sie ist gesellschaftlich so verankert, dass sie mit Suzukis Veröffentlichungen kein Problem zu haben scheint, solange er beim Abdruck von Gesprächsauszügen keine Namen nennt.

Dennoch: „Ich habe verstanden, dass viele Dinge in Japan schief laufen – nicht nur im Energiesektor“, betonte Suzuki bei der erwähnten Buchvorstellung. „Das atomare Dorf“ wird in Japan das Konglomerat aus Industrie, Politikern und Medien genannt, das die Bevölkerung seit Jahrzehnten auf die radioaktive Stromerzeugung einschwört und AKW-Pannen eher unter der Decke gehalten hat. Tomohiko Suzuki zeigt nun, wer die sichersten Opfer dieses Netzwerks sind: die Aufräumarbeiter in Fukushima, die nicht genug geschult, gewarnt und geschützt wurden.

Solche schlecht informierten und betrogenen Leiharbeiter wurden auch in Deutschland in den am stärksten belasteten Kraftwerksteilen eingesetzt, berichtet Günter Wallraff in seinem Vorwort. Er schreibt das aus eigener Undercover-Erfahrung aus den 1980ern – als er sich als vermeintlicher türkischer Leiharbeiter ins AKW Würgassen einschleuste – und mit größtem Respekt für den Bericht aus der „Hölle“ von Fukushima. Ralf Hutter

Tomohiko Suzuki: Inside Fukushima. Eine Reportage aus dem Inneren der Katastrophe 


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