„Green Deal rückabwickeln und kein Verbrennerverbot“, sagte kürzlich CSU-Chef Markus Söder und untermauerte damit einmal mehr, wie ernst es die Union unter Merz mit dem Klimaschutz und dem Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft meint: Nämlich gar nicht. Der Kahlschlag beim Green Deal soll nicht nur einzelne Bereiche treffen, sondern gleich die gesamten fünf Jahre unter CDU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - das bestätigte auch kürzlich die konservative EVP in einem Papier. Für Europas Wirtschaft - allen voran die Auto- oder Stahlindustrie, aber auch alle anderen Bereiche - sind das düstere Aussichten.
Die Grundformel für eine neue Wirtschaft: Rahmen schaffen und konsequent umsetzen
"Wir haben unsere Komponenten (für den grünen Stahl) und das, was wir zu tun haben, aber die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen”, sagte kürzlich der Salzgitter-Chef Gunnar Groebler. Und ja, er hat vollkommen Recht. Salzgitter wird schon 2025 bis zu 30 Prozent der Produktionsmenge an CO2-armen Stahl herstellen. In sieben Jahren soll dann die vollständige Umstellung erfolgen und so 95 Prozent weniger CO2-Ausstoß gemeistert werden. Das ist beeindruckend. Denn allein die Stahlindustrie ist in Deutschland für fast 30 Prozent der gesamten Industrieemissionen Deutschlands verantwortlich.
Salzgitter steht damit stellvertretend für Europas Innovationskraft, die zeigt, was uns ausmacht: Vorsprung durch Technologie. Hier wird ein Weg beschritten, auf den 2019 auch aus klimatischer Notwendigkeit eingebogen wurde. Erst kürzlich zeigte das europäische Copernicus-Institut auf, dass wir weltweit 2024 die 1,5 Grad-Marke überschritten haben. Die Extremniederschläge mit über 200 Toten im spanischen Valencia oder die drei Jahrhundertfluten in Deutschland innerhalb eines Jahres zeigen eindrücklich auf, auf was für Zeiten wir uns zubewegen.
Auch weil es den Rahmen des Pariser Klimaabkommen von 2015 gibt, wurden politische Entscheidungen getroffen, so wie das Europäische CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM). Die Grundidee besteht darin, im Ausland produzierte emissionsintensive Güter mit dem gleichen CO2-Preis zu belegen wie in der EU hergestellte Güter. Damit soll verhindert werden, dass unsere Industrie, die im Rahmen des europäischen Emissionshandel steigende CO2-Kosten zu tragen hat, in Länder ohne vergleichbare CO2-Bepreisung verlagert wird. Die Einnahmen der Gelder wiederum fließen in den Aufbau der klimaneutralen Industrie hierzulande - also beispielsweise die Stahlwerke Salzgitters. Doch auch diesen CBAM will die konservative EVP erst einmal aussetzen.
Dabei sind Maßnahmen wie diese für Salzgitter und alle anderen Stahlhersteller in der Europäischen Union elementar, um sich gegen die Stahlflut aus China zu wappnen. Das Land produziert jedes Jahr so viel Stahl wie der Rest der Welt zusammengenommen - vor allem auf Kosten von billigen Arbeitskräften und Kohlekraft. Dieses Rennen können wir nur durch Innovation, Investition und die Schaffung eines klimaneutralen Marktes gewinnen. Genau das ist die Grundformel von Klimaschutz und Wirtschaft: Sie gehen Hand in Hand, wenn wir mutige Entscheidungen treffen und konsequent umsetzen.
Uns droht der Nokia-Moment
China weiß darum, weshalb das Land eine aggressive Strategie fährt. Alt eingesessene Industriezweige wie die Stahlindustrie werden bereits jetzt geflutet, bei der Erneuerbaren- oder der E-Autoindustrie war diese Strategie schon erfolgreich. Solarmodule, Batterien, Windkraftanlagen oder E-Autos: China dominiert nicht nur die Produktionskapazitäten, sondern auch fast die gesamte Lieferkette.
Doch das wird erst der Anfang sein. Der derzeit noch CO2-intensive Stahl wird in den nächsten Jahren rasant grüner. Neueste Daten aus China belegen: 64 Prozent der weltweit im Bau befindlichen Solar- und Windenergiekapazitäten findet dort statt - fast doppelt so viele Kapazitäten wie alle anderen Länder zusammen. Das Ergebnis: Rund 40 Prozent des chinesischen Wirtschaftswachstums entfallen bereits auf die Produktion und den Ausbau erneuerbarer Energien.
Parallel dazu wenden uns die USA unter dem neuen Präsidenten Donald Trump zunehmend den Rücken zu. Bereits jetzt kündigt er ad hoc Strafzölle gegen Kolumbien an, weil ihm Dinge nicht passen. Trump zeigt damit, dass er unberechenbar ist und einmal mehr bedeutet das für die EU, dass hier ein vormals verlässlicher sowie wichtiger Handelspartner ausfallen wird. Hinzu kommt, dass der vom vormaligen US-Präsident Joe Biden geschaffene Inflation Reduction Act (IRA) nun Früchte trägt. Bis 2030 werden die USA laut neuesten Berechnungen zur Folge zum Nettoexporteur von Solarmodulen und anderen Erneuerbaren-Industrien.
Auch wir könnten eine Rolle in dem Rennen spielen, wenn wir wollen. Dazu müssen wir aber nicht die Klimaziele oder die Rahmenbedingungen wie den CBAM, das Verbrenner-Aus 2035 oder sonstiges abschaffen, sondern sollten bestehende Gesetz nutzen – und vor allem investieren. Der europäische Net Zero Industry Act (NZIA) wäre ein Beispiel. Mit ihm haben wir die beste Grundlage, um zügig ohne viel Bürokratie Industriezonen in Europa zu schaffen. Doch was fehlt, ist schlicht Geld. Die USA investieren allein bis in die Mitte der 2030er Jahre weit über 500 Milliarden US-Dollar. Die neue Kommission muss jetzt im Clean Industry Deal zeigen, ob sie bereit ist, Gelder in die Hand zu nehmen.
Tun wir das nicht und schaffen uns mit dem Abschaffen der Rahmenbedingungen für eine klimaneutrale Wirtschaft einen Flickenteppich aus 27 unterschiedlichen Länderregeln, droht uns das, was der Ökonom Ottmar Edenhofer kürzlich sagte: "Wenn wir jetzt mitten im Umbau stecken bleiben, verlieren wir die Zukunft." Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Es droht der Nokia-Moment. Einst Vorreiter, versank das Unternehmen durch nur eine Neuerung: den Touchscreen. Und so wie wir beim Verbrenner Vorreiter sind, so sind es nun die Chinesen beim E-Auto.
Hören wir auf mit dem Düsterdenken
Ein anderer wichtiger Faktor ist, dass wir uns von der Schwarzmalerei lösen müssen. Hört man seit zwei Jahren der EVP zu, hat man den Eindruck, dass Europa bereits ein Industriemuseum ist. Das ist mitnichten der Fall. Im Gegenteil. Allein die Zahl der veröffentlichten Patentanmeldungen zu Solartechnik, Windkraft und Co. hat 2023 in Deutschland um knapp 20 Prozent zugelegt. Deutschland ist auf Platz 3 der Patentanmeldungen in der Batterietechnik und selbst bei der Solartechnik sind wir auf Top 1 - zusammen mit China.
Wir erleben nur einen Wechsel der Technologie und müssen den Sprung von Innovation in die Produktion schaffen, damit wir die Standards der Welt setzen. Das geht einerseits durch schlanke Regeln beim Bau von Fabriken und andererseits durch klare Investitionen. Hinzu kommen klare Ziele und Rahmenbedingungen. Ab 2035 darf kein Auto mehr CO2 aus dem Auspuff stoßen. Wie die Hersteller das machen, bleibt ihnen überlassen, aber bei all dem dürfen wir vor allem eines nicht aus den Augen verlieren: Dass wir uns derzeit in einer Klimakrise befinden, die sich weiterhin verschärft und damit die Grundlage einer soliden Wirtschaft gefährdet.