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Rheinisches RevierWie Lützerath einer Räumung entgehen könnte

Ein Mann fährt mit einem Fahrrad aus einem Tor heraus, dass mit einem Banner "Lützerath bleibt" versehen ist.
Über 200 Aktivist:innen aus aller Welt bevölkern inzwischen Lützerath. (Bild: Manuel Grisard)

Eine Räumung des Dorfes Lützerath für den Kohleabbau in diesem Jahr ist unwahrscheinlich. Die Polizei drängt auf einen Einsatz Anfang kommenden Jahres. Doch dem könnte der auslaufende Hauptbetriebsplan entgegenstehen.

24.11.2022 – Laut aktuell geltenden Hauptbetriebsplan für den Tagebau Garzweiler II besitzt RWE das Recht, die unter dem Dorf Lützerath liegende Kohle abzubaggern. Der Betriebsplan ist seit 2020 in Kraft, doch Rechtsstreitigkeiten um die Grundstücksabtretung des Landwirts Eckardt Heukamp verzögerten den Plan. Zudem waren die Planungen für den Kohleabbau seitens RWE ohnehin im Verzug. In der Zwischenzeit formierte sich in Lützerath der Widerstand eines breiten Bündnisses von Klima- und Umweltschutzaktivist:innen gegen den Braunkohleabbau.

Den Prozess gegen die Grundstücksabtretung verlor Heukamp schließlich Ende März 2022. Die neu formierte schwarz-grüne Landesregierung kündigte daraufhin an, bis zu einer neuen und endgültigen Leitentscheidung eine einvernehmliche Lösung mit RWE über die Inanspruchnahme von Flächen zu finden. Die Leitentscheidung wird für den Sommer 2023 erwartet. Im Oktober 2022 veröffentlichte die Landesregierung dann ein Gutachten zum „Braunkohleausstieg 2030“, in dem der Ausstiegspfad skizziert, aber auch der Abriss des Dorfes Lützerath als nötig für den Kohleabbau im Zuge einer sicheren Energieversorgung erachtet wurde.

Trotz eines früheren Kohleausstiegs liege der Braunkohlebedarf aus dem Tagebau Garzweiler II bis 2030 noch zwischen 175 und 187 Millionen Tonnen, laut Gutachten. Demnach müsste ab einem Bedarf von 170 Millionen Tonnen die Kohle unter Lützerath in Anspruch genommen werden. Die Polizei drängt auf den baldigen Auftrag zur Räumung. Man brauche acht Wochen Vorlaufzeit für einen entsprechenden Einsatz, so Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach gegenüber dem Spiegel. Eine Räumung in diesem Jahr sei daher ausgeschlossen. Doch bis zum Ende der Rodungssaison Ende Februar sollte die Räumung abgeschlossen sein, sagte Weinspach. „Aus Sicht der Polizei ist nichts gewonnen, wenn es in der laufenden Rodungssaison nicht mehr zur Räumung kommen sollte.“ Denn dann bestünde die Gefahr eines Dauerkonflikts, mit ständigen Einsätzen der Polizei am Tagebau Garzweiler.

Sollte die Kohle unter Lützerath verfeuert werden, könnte Deutschland seinen Beitrag zum 1,5 Grad Klimaziel nicht halten, warnen jedoch Wissenschaftler:innen wie Aktivist:innen. „Jetzt Entscheidungen für drei Jahre zu treffen, die den Abbau von mehr als 30 Millionen Tonnen Kohle jährlich erlauben, ist auch energiepolitisch absolut kurzsichtig“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bund für Umwelt- und Naturschutz NRW, im Gespräch mit der energiezukunft.

Eine Verlängerung des Hauptbetriebsplans für drei Jahre – 2023, 2024 und 2025 – hatte RWE im Sommer bei der zuständigen Behörde für Bergbau bei der Bezirksregierung Arnsberg beantragt, denn der bislang gültige Betriebsplan läuft zum Ende des Jahres aus. Damit komme es zu einer rechtlich anderen Situation, wie der auf Umwelt- und Bergrecht spezialisierte Rechtsanwalt Dirk Teßmer betont. NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur habe nun die Möglichkeit, unabhängig vom Kohlekonzern RWE ein Moratorium für Lützerath zu verhängen, ohne Entschädigungszahlungen auszulösen.

„Als zuständige Ministerin hat Frau Neubaur die Möglichkeit, sich von den geschaffenen Pfadabhängigkeiten der Vorgängerregierung zu lösen. Aus juristischer Sicht kann sie den Antrag von RWE ablehnen lassen und RWE auffordern, stattdessen einen Hauptbetriebsplan vorzulegen, der zunächst den Abbau der unter Immerath lagernden Kohle vorsieht und sich nicht auch auf Lützerath erstreckt“, führt Teßmer weiter aus. Einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge besteht bis 2030 ein Kohlebedarf von 271 Millionen Tonnen aus den beiden Tagebauen Hambach und Garzweiler II. Und es seien sogar 300 Millionen Tonnen abbaubar ohne Lützerath in Anspruch zu nehmen. Allein beim Tagebau Garzweiler stünden bis zu 190 Millionen Tonnen zur Verfügung.

Dafür müsste RWE von ihrer aktuellen Durchführung des Tagebaubetriebs abweichen. Ein Grund, warum der Energiekonzern so auf die Zerstörung Lützeraths drängt, vermutet Dirk Jansen. Momentan wird der Tagebau in einem sogenannten Parallelbetrieb gefahren. Um Lützerath nicht in Anspruch zu nehmen, müsste das Tagebaudesign geändert werden und in einzelne Felder hinein abgebaut werden. „Das wird komplex. Und deswegen will RWE weiter machen wie bisher, weil es die einfachste Variante ist“, so Jansen. Jansen, Teßmer und das Bündnis Alle Dörfer Bleiben appellieren jedoch an das NRW-Wirtschaftsministerium und die zuständige Behörde im Sinne des Bergrechts und Artikel und Paragraph 48, dass öffentliches Interesse über den Interessen RWEs zu einem für sie vorteilhaften Tagebaubetrieb zu stellen.

Jansen verweist in dieser Hinsicht auch auf die schwer vorauszusehende energiewirtschaftliche Lage. „Es ist durchaus möglich, dass die Kohle schon im nächsten oder übernächsten Jahr nicht mehr in diesem Ausmaße gebraucht wird, weil sich die Lage auf dem Gasmarkt entspannt und die Kohleverstromung marktgetrieben deutlich abnimmt“, sagt Jansen. Dann könnte Lützerath abgerissen worden sein, ohne dass die Kohle dort gebraucht wird. „Eine von Grünen mitgeführte Landesregierung sollte daher alles tun, um eine Eskalation zu vermeiden und alle Optionen offen zu halten“, so Jansen weiter.

Dass RWE aktuell Druck für eine schnelle Räumung mache, habe indes einen weiteren Grund, sagt Jansen. Dies sei anhand einer „entlarvenden Äußerung von RWE“ in einer PowerPoint-Präsentation nachzulesen, die sich im Anhang der Bewertung von MTC (Mining Technology Consulting GmbH) finde, die Teil des Gutachtens „Braunkohleausstieg 2030“ ist und von RWE in Auftrag gegeben wurde. Dort stehe, dass mit einem Lützerath als Hotspot der Klimabewegung und ständigen Kern des Widerstands, ein ordnungsgemäßer Betrieb des Tagebaus Garzweiler nicht möglich sei. „Ich glaube das ist der wesentliche Grund, der der ganzen Planung RWEs zugrunde liegt“, so Jansen.

Derzeit befinden sich deutlich über 100 Aktivist:innen in Lützerath, die angesichts der drohenden Räumung, Strukturen, wie Baumhäuser, errichtet haben, um sich Polizei und Sicherheitskräften RWEs entgegenzustellen. Viele weitere Umweltgruppen, Aktivist:innen und Betroffene des Tagebaus Garzweiler haben im Falle des sogenannten Tag X angekündigt, sich mit friedlichem zivilem Ungehorsam der Räumung ebenfalls in den Weg zu stellen. Verhindern könnte dies nach Ansicht der Unterstützer:innen und Betroffenen nun Wirtschaftsministerin Mona Neubaur mit einem Moratorium für Lützerath im neuen Hauptbetriebsplan, bis eine Leitentscheidung getroffen wird. Eine neue Leitentscheidung, in der möglicherweise angesichts einer veränderten energiewirtschaftlichen Lage, der Abriss Lützeraths nicht mehr für nötig erachtet wird. Manuel Grisard

Nachtrag: Im laufe des Donnerstages erklärte NRW-Innenminister Herbert Reul, dass er gemeinsam mit Mona Neubaur einen Brief an den Kölner Regierungspräsidenten verschickt habe, mit der Bitte die Räumungsverfügung auf den Weg zu bringen. Hintergrund sei die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten. Damit hat das Land den ersten Schritt vollzogen, die Räumung auf den Weg zu bringen. Nachdem der Regierungspräsident die Stadt Erkelenz und den Kreis Heinsberg aufruft den Einsatz auf den Weg zu bringen, würde die Stadt in einem weiteren Schritt die Polizei um Vollzug bitten.


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