Ukraine„Wir hoffen auf einen grünen Wiederaufbau“

Mehrere Personen halten auf einem Platz Buchstaben hoch, die zusammen "Embargo Now" ergeben. Zudem hält eine Frau eine Flagge der Ukraine.
Am 22.04.2022 demonstrierte Ecoaction in Lwiw für ein sofortiges Embargo fossiler Brennstoffe aus Russland nach Europa. (Bild: Oleg Savitsky)

Der Krieg zerstörte jahrelange Arbeit der ukrainischen Umweltorganisation Ecoaction. Doch das Team fasste neuen Mut, wie Geschäftsführerin Natalia Gozak berichtet. Sie zeigen Umweltrechtsverletzungen im Krieg und machen Pläne für den Wiederaufbau.

27.04.2022 – Via Zoom erreichen wir Natalia Gozak von Ecoaction in der Ukraine.

Frau Gozak, wo befinden sie sich gerade?

Ich bin gerade in Lwiw, im Westen der Ukraine. Als Organisation haben wir zuvor von Kiew aus gearbeitet. Aber der Krieg hat uns dazu gezwungen in den Westen zu fliehen. Nun sind wir – Menschen der Organisation und meine Familie – seit mehr als 60 Tagen hier. Aber wir überlegen zurückzugehen nach Kiew, weil sich die Lage dort entspannt hat.

Wie haben Sie die vergangenen 60 Tage erlebt?

Am 24. Februar sind meine Familie und ich durch Explosionen aufgewacht und wussten, dass wir fliehen müssen. Wir sind sofort nach Lwiw und haben uns dann darum gekümmert, dass auch die anderen Mitarbeiter von Ecoaction in Sicherheit kommen. An unsere eigentliche Arbeit für Klima- und Umweltschutz in der Ukraine war erst einmal nicht zu denken. Für uns war es bis dato unvorstellbar von Explosionen in Kiew geweckt zu werden.

Wie sah die Arbeit von Ecoaction bis zum Beginn des Krieges aus?

Wir sind die größte nicht-staatliche Umweltorganisation in der Ukraine, mit 32 Mitarbeitern. Wir haben Politik und die Öffentlichkeit beraten und aufgeklärt – über Klimaschutz, Energiewende und Umweltrisiken. Besonders die Atomkraft ist ein Problem hierzulande. Bei der Stromversorgung sind wir in höchstem Maße abhängig von Kernenergie. Die bis zu Beginn des Krieges aktiven 15 Reaktoren, waren für fast 60 Prozent der Stromversorgung zuständig und darüber hinaus veraltet. Doch anstatt den Fokus vollständig auf Erneuerbare Energien zu legen, gab es vor dem Krieg Planungen für neue Atomkraftwerke – in dem Land, in dem die Ruinen der Tschernobyl-Katastrophe stehen.

Weitere fast 30 Prozent der Stromversorgung stammten 2021 aus Kohlekraftwerken. Wind- und Solarenergie waren mit einem Anteil von zusammen knapp sechs Prozent unter Ferner liefen. Gab es Programme des Staates die Energiewende zu fördern?

Es gab einen sogenannten Grünen Tarif-Mechanismus, mit dem Besitzer Erneuerbarer-Energien-Anlagen mit besonders guten Strompreisen belohnt wurden, wenn sie ins öffentliche Netz einspeisten. Der Mechanismus war jedoch so beliebt, dass die bereitgestellten Fördermittel der Regierung schnell an ihre Grenzen gestoßen sind. Der Staat konnte am Ende die versprochenen Verpflichtungen an die Besitzer der Energieanlagen nicht mehr leisten. Doch anstatt deutlich mehr Geld bereitzustellen, wurden lieber die Pläne für den Ausbau der Atomkraft vorangetrieben.

Die Ukraine ist zudem ein landwirtschaftlich geprägtes Land. Welche Probleme gab es im Agrarsektor?

Von lokalen Initiativen gab es viele Berichte über schlechte Zustände und umweltschädliche Einflüsse großer Agrarfabriken, wie zum Beispiel einer Schweinefleischproduktion oder einer Geflügelfarm. Während die lokale Bevölkerung unter den umweltschädlichen Einflüssen, wie der Verseuchung von Wasser durch Nitrat litt, erhielten die Agrarfabriken großzügige Subventionen internationaler Entwicklungsbanken und Finanzinstitutionen. Wir haben gemerkt, dass wir in den Einzelfällen schlecht gegen die finanzielle Übermacht der Agrarkonzerne ankommen, die viele gut bezahlte Anwälte ins Feld führen. Im Falle der Verseuchung von Wasser durch Nitrat haben wir daher angefangen uns auf die Nitratrichtlinie der Europäischen Union zu beziehen. Die besagt, dass in wassersensiblen Gebieten landwirtschaftliche Arbeit begrenzt werden muss. Und tatsächlich waren wir dabei die Regierung dazu zu bewegen, die entsprechenden EU-Regeln auf nationaler Ebene in der Ukraine zu implementieren, doch dann kam der Krieg.

Woran arbeitet ihr jetzt, angesichts des Krieges?

Der Krieg hat unsere gesamten Pläne und Strategien über den Haufen geworfen. Wir waren auch persönlich erst einmal paralysiert und nicht in der Lage unsere Arbeit fortzusetzen. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, plötzlich im Krieg aufzuwachen? Aber nachdem wir uns von unseren ersten Schocks erholt haben, haben wir gemerkt, dass wir mit unserem Wissen und Fähigkeiten helfen können. Wir haben von Anfang an über die drohenden Gefahren kriegerischer Auseinandersetzungen rund um Atomkraftwerke berichtet. Schüsse, unmittelbar an nuklearen Einrichtungen sind unbegreiflich und eine Verletzung des Völkerrechts. Das ukrainische Umweltministerium hat uns zudem beauftragt Umweltrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Krieg zu sammeln und zu untersuchen. Bislang haben wir etwa 150 solcher Verletzungen ermittelt. Wir sind dabei auf die lokale Bevölkerung angewiesen, die uns Beweise liefert. Es geht unter anderem um die Zerstörung von Industrie, die zum Ausfluss von Chemikalien führt, die Bedrohung nuklearer Einrichtungen, oder auch Fälle, in denen landwirtschaftliche Nutztiere allein gelassen wurden und qualvoll verendeten. Dies führte zudem zur Verunreinigung der Umwelt und gesundheitlichen Risiken für die Menschen in der Nachbarschaft.

Sollte der Krieg eines Tages enden und die Ukraine weiterhin frei sein, wie stellst du dir den Wiederaufbau der Ukraine vor?

Wir entwickeln bereits Pläne für den Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur. Wir hoffen sehr auf einen grünen Wiederaufbau, dass die Ukraine etwa die Chance nutzt, Gebäude mit einem hohen Effizienzstandard zu bauen. Viele der Gebäude in der Ukraine wurden schnell und billig in den 1960er und 70er Jahren hochgezogen, mit schlechter Dämmung und fossiler Beheizung, und seitdem nicht renoviert. Unsere Hoffnung ist auch, dass die Industrie so wiederaufgebaut wird, dass sie weniger Emissionen, weniger Ressourcen verbraucht und mit Filteranlagen gegen die Luftverschmutzung ausgestattet wird. Leider ist es häufig in der Welt nach kriegerischen Auseinandersetzungen oder Naturkatastrophen so, dass Staaten einen möglichst schnellen Wiederaufbau leisten wollen, ohne Rücksicht auf Umwelt- und Klimaschutz. Wenn aber die internationalen Geldgeber auf eine nachhaltige Rekonstruktion drängen, dann könnte es gelingen.

Ein Beitritt der Ukraine in die Europäische Union steht in Aussicht. Könnte das helfen, einen grünen Wiederaufbau voranzutreiben?

Schon unser Bestreben die europäische Nitratrichtlinie in der Ukraine zu implementieren, hat gezeigt, dass die politisch Verantwortlichen hierzulande gewillt sind, europäischen Regelungen zu folgen. Ein Wiederaufbau nach den Vorstellungen des europäischen Grünen Deals wäre ein Erfolg. Sollte die EU einen möglichst baldigen Beitritt der Ukraine in Aussicht stellen, könnte das Bestrebungen für Umwelt- und Klimaschutz hierzulande deutlich beschleunigen.

Ungeachtet der Konsequenzen setzt Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine fort. Was sind Ihre Erwartungen an die Europäischen Union in der jetzigen Situation?

Ich war mein ganzes Leben lang Pazifist und habe jegliche Gewalt abgelehnt. Doch auch ich sage wir brauchen Waffen, deutlich mehr Waffen, um den russischen Angriffskrieg abzuwehren. Zudem braucht es ein sofortiges Embargo fossiler Brennstoffe aus Russland. Ein Embargo, dass man schon vor acht Jahren, mit der Besetzung der Krim, hätte umsetzen müssen. Bei beiden Punkten sehe ich vor allem Deutschland in der Pflicht. Dass Deutschland ein Energie-Embargo aufgrund negativer wirtschaftlicher Auswirkungen ablehnt, während hier Menschen sterben, durch Waffen, die mit Geld aus fossilen Exporten finanziert werden, ist für mich unbegreiflich.

Das Interview führte Manuel Först

Wir danken der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald für die Vermittlung des Kontakts zu Ecoaction.

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