Fusionsreaktor Iter„Zu teuer, zu spät und zu ungewiss“

Die Baustelle des Kernfusion-Testreaktors Iter
Die Baustelle des Kernfusion-Testreaktors Iter im Mai. (Foto: ITER Organization/EJF Riche)

In Frankreich beginnt die Montage des Kernfusion-Testreaktors Iter. Damit investiert die EU weitere Milliarden in eine Technologie, die eventuell nie funktionieren wird – und für den Kampf gegen die Klimakrise eh viel zu spät kommt.

30.07.2020 – Es klingt einfach zu schön, um wahr zu sein: Eine klimafreundliche, nahezu unendlich verfügbare Energiequelle, die praktisch keinen Abfall produziert. In der Realität befindet sich die Kernfusion jedoch noch in einem ganz anderen Entwicklungszustand: Und zwar noch immer viele Jahre vor der Testphase. Nachdem das milliardenschwere internationale Kernfusionsforschungsprojekt Iter viele Jahre auf der Kippe stand, wird nun doch im französischen Cadarche mit der Montage des Testreaktors begonnen.

Die riesige Reaktorhalle steht bereits, die Hochvakuum-Druckkammer wird gerade errichtet. Sie soll später den Reaktorkern umschließen und kühlen. Bis zum Jahr 2025 sollen die Montagearbeiten abgeschlossen werden – wenn alles nach Plan läuft. Das heißt aber nicht, dass dann der Schalter umgelegt und Energie erzeugt werden kann. Denn: Erst drei Jahre später starten die ersten Experimente mit Plasma. Ab 2035 soll der Reaktor mit Deuterium und Tritium beladen werden, wodurch weltweit zum ersten Mal Energie aus der Kernfusion entstehen könnte. Jedoch nur für wenige Sekunden.

Iter soll keinen Strom erzeugen

Selbst wenn all das wirklich funktioniert – wofür zurzeit wohl niemand seine Hand ins Feuer legen würde – erzeugt Iter nie eine einzige Kilowattstunde Strom, das ist nicht Ziel des Forschungsprojekts. Tatsächlich soll der Testreaktor der sieben Vertragspartner, darunter die EU, USA, Russland und China, bereits ab dem Jahr 2042 wieder rückgebaut werden.

Damit könnte in mehr als 20 Jahren ausschließlich die Machbarkeit der Kernfusion nachgewiesen werden. Bis eine industrielle Nutzung möglich wird, dauert es vermutlich erneut mehrere Jahrzehnte. Während die Projektverantwortlichen davon ausgehen, dass die Technologie ab dem Jahr 2055 erstmals einen Anteil an der Energieversorgung haben könnte, sehen das Kritiker ganz anders.

Kernfusion ist keine Lösung für die Klimakrise

„Die kommerzielle Anwendbarkeit dieser Technologie steht in den Sternen und wird im besten Fall gegen Ende des Jahrhunderts möglich sein“, sagt Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen, der energiezukunft. So werden jetzt weitere fünf Milliarden Euro für ein Projekt ausgegeben, das auf absehbare Zeit nichts zur Lösung der akuten Klimaprobleme beitragen kann. Dieses Geld könnte viel zielgerichteter investiert werden – zumal die Preise für Erneuerbare Energien immer weiter sinken.

ITER entpuppt sich immer deutlicher als Milliardengrab„Zu teuer, zu spät und zu ungewiss - ITER entpuppt sich immer deutlicher als Milliardengrab ohne Happy End“, so Kotting-Uhl weiter. „Deutschland und die EU steuern mit Vollgas in die Sackgasse, anders kann man diesen Wahnsinn nicht bezeichnen.“

Geforscht wird an den Möglichkeiten der Kernfusion schon seit den 1960er Jahren. Im Inneren der Brennkammer laufen theoretisch die gleichen Prozesse ab wie im Inneren der Sonne: Zirkulierendes Wasserstoffplasma wird auf etwa 150 Millionen Grad Celsius erhitzt und von Magneten beschleunigt sowie von den Wänden ferngehalten. Dadurch verschmelzen die Wasserstoffatomkerne zu Helium, energiereiche Neutronen werden freigesetzt. Mit dieser Energie kann dann Wasser erhitzt und Turbinen zur Energiegewinnung angetrieben werden.

Bereits im November 2019 hatte eine wissenschaftliche Analyse aufgedeckt, dass große Verzögerungen, Kostensteigerungen und stark reduzierte Erkenntnispotenziale zu einer kompletten Zielverfehlung von Iter geführt haben. Obwohl das Projekt seit Jahren nur mit Rückschlägen und Problem Schlagzeilen macht, wird es von der EU weiter gegenüber aller weiteren Energieforschung privilegiert – auch gegenüber der Energiewende. jk

Kommentare

Colibru am 31.07.2020

+212 Gut Antworten

Teuer ist auch das Militär. Und ja Forschung kostet Geld - was für eine Überraschung. Zu behaupten "ach das wird wohl nie funktionieren" ist schlicht eine Primitive Einstellung.

Früher dachte man auch Schallgeschwindigkeit sei unüberwindbar. Aber da es das Militär als wichtig empfand wurde auch viel Geld in die Hand genommen, also warum sich wegen ein paar Milliarden gegen ein so wichtiges Projekt stellen?

Joschua Katz / Redaktion am 31.07.2020

+184 Gut

Hallo Colibru,

 

niemand ist gegen Grundlagenforschung, die daraus gewonnenen Erkenntnisse können sehr wichtig sein.

Ziel des Kernfusion-Testreaktors Iter ist jedoch, die Energiegewinnung mit dieser Technologie zu ermöglichen. Und genau hier liegt das Problem: Selbst wenn alles funktioniert, wie von den Projektverantwortlichen angenommen, kommt die Technologie doch schlichtweg viel zu spät. In dreißig, vierzig, fünfzig Jahren müssen wir doch weltweit schon längst auf Erneuerbare Energien umgestellt haben, wenn die Klimakrise noch halbwegs begrenzt werden soll.

 

Das ist die - m.E. berechtigte - Kritik der Grünen an Iter.

 

Viele Grüße

Joschua Katz

tobmat am 03.08.2020

+196 Gut

@Joschua Katz: Das Klimaargument zieht bei Kernfusion nicht. Es geht nicht darum das Klima zu retten. Es geht darum eine der effizientesten und größten Energiequellen im uns bekannten Universum nutzbar zu machen. Das macht auch dann Sinn, wenn sie erst in 100 Jahren bereit steht. Es gibt gar keine Konkurrenz mit dem aktuellen EE-Ausbau. Klar wenn Kernfusion einmal marktfähig ist, ist das EE-Zeitalter vorbei. Aber wie gesagt dauert das noch ziemlich lange.

 

„In dreißig, vierzig, fünfzig Jahren müssen wir doch weltweit schon längst auf Erneuerbare Energien umgestellt haben, wenn die Klimakrise noch halbwegs begrenzt werden soll.“

Falsch. Laut diversen hochrangigen Wissenschaftlern (z.Bsp. Rahmstorf) hat Deutschland 15 Jahre Zeit und Länder wie China und Indien 20-25 Jahre. Ein vollkommen utopischer Zeitplan.

Dr. rer. nat. Peter Volkmer, Physiker am 31.07.2020

+189 Gut Antworten

Es ist immer wieder ein Märchen aus "Tausend und einer Nacht".

Die Menschheit wird beruhigt, dass nun alle Klima-Probleme gelöst werden.

Wenn´s klappt, wird Wärmeenergie im großen Maße zur Verfügung stehen

aber kein Strom ohne fossiles CO2.

Nur mit dieser Wärme wird man real wenig anfangen können, denn das Fusions-Plasma

hat Oberflächen-Temperaturen von einigen Tausend Grad.

Wir können aber mit dieser Hochtemperaturwärme nichts Richtiges anfangen.

Dampfturbinen laufen bei 500 °C.

Andere Techniken zur Nutzung sind nicht bekannt.

Es führt zu einem riesigen Exergieverlust und die Abwärme geht in die Umgebung und heizt uns ein.

Ein Fusionsreaktor hat also keinen praktischen Nutzen.

Wieder so ein Spielzeug für Hobby-Groß-Forscher,

die mal zeigen wollen, dass sie das auch können, was unsere Sonne kann.

Da haben sich fachlich unbedarfte Politiker wieder beschwatzen lassen von der "Forschungseliete".

Und diesen schon bestehenden Fusionsreaktor Sonne,

der uns nichts kostet, sollte man nutzen mit Technik die wir kennen,

die geht und dann was kostet, aber weniger als der Fusionsreaktor.

Erforderlich wäre, die Arbeiten am Test-Fusionsreaktor schnellstens einzustellen und mit dem noch vorhandenen Geld die globale Energiewende voranzubringen und das möglichst schnell.

Und wer glaubt, es gibt bei ITER keine radioaktiven Rückstände,

für den ist dieses Märchen aus 100 und einer Nacht auch gedacht.

Tom Tailer am 02.08.2020

+188 Gut

Physiker? Thermodynamik abgewählt?

Wenn Sie Ballistik studiert haben, lassen sie sich die Sache noch mal durch den Kopf gehen.

Roman Baumgaertner am 03.08.2020

+188 Gut

Sehr geehrter Herr Dr. rer. nat. Peter Volkmer, Physiker ",

 

eine explizit Erwähnung der Bezeichnung "Physiker" ist unnötig, da dies bereits durch rer.nat. ausgedrückt wird. Jemand der das nicht weiß interessiert sich nicht dafür und muss es demzufolge auch nicht wissen.

 

Meine Frage an sie, in welcher Welt leben sie, haben sie das Prinzip der Fusion und Umsetzung im Reaktor von Iter überhaupt verstanden? Ich bezweifele es stark!

Das einige Millionen Grad heiße Plasma, welches von Magnetfeldern fixiert, im Kern des Reaktors rotiert erhitzt die Reaktorwand damit die dahinter liegenden wasserführenden Rohrleitungen genau so wie in einem Kernkraftwerk mittels Dampferzeuger Frischdampf für große Turbinengruppen generieren. Aber nicht auf einige tausend Grad C.

Wo wird hier ein riesiger Energieverlust erzeugt und die Umgebung aufgeheizt? Haben sie überhaupt einen Schimmer von Energieerzeugung in Kraftwerken?

 

Übrigens betrug 1914 die Dampftemperatur (Eintritt HD Turbine Leitschaufel-1) bereits 500°C. Heute arbeitet man, um den Wirkungsgrad zu erhöhen mit Temperaturen > 600°C und 350 bar Druck.

tobmat am 03.08.2020

+213 Gut

„Ein Fusionsreaktor hat also keinen praktischen Nutzen.“

Sie sind bisher nicht auf die Idee gekommen, dass man „Hochtemperaturwärme“ in diversen Medien soweit reduzieren kann, das sie in Dampfturbinen nutzbar ist? Nennt sich Kühlung.

Klar man verliert durch Abwärme viel Energie, aber Stromerzeugung ist dadurch definitiv möglich.

 

„Und diesen schon bestehenden Fusionsreaktor Sonne, der uns nichts kostet“

Die Nutzung dieses kostenlosen Fusionsreaktors Sonne, kostet uns jedes Jahr einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag. Für Iter sind im deutschen Haushalt 2020 gerade mal 140 Millionen € eingeplant.

 

„Erforderlich wäre, die Arbeiten am Test-Fusionsreaktor schnellstens einzustellen und mit dem noch vorhandenen Geld die globale Energiewende voranzubringen und das möglichst schnell.“

Die Einsparung durch eine Einstellung von Iter reicht nicht mal um weitere 5% der deutschen Energieversorgung auf EE umzustellen.

Alexander Prokein am 28.12.2020

+179 Gut

Vielleicht ersetzt die Überschusshitze ja Fernwärmekraftwerke oder die antiken CO²-intensiven Lichtbogenöfen für die Stahlschmelze...

ZarrDom am 02.08.2020

+190 Gut Antworten

Die Kernfusionsforschung erfährt aktuell eine steile Lernkurve. Bei einem derartig komplexen System überhaupt nicht von einer Testphase sprechen - das ist schlichtweg keine Maschine die man mal ausprobiert und dann gegebenenfalls kurz nachbessert. Dank der heutigen Rechenleistung von Servern ist man mittlerweile soweit, dass mit numerischen Methoden Kammern entwickelt wurden, in denen das Plasma ohne komplzierte Regelung stabil gehalten werden kann und so die eingebrachte Energie stark reduziert werden kann.

 

Die Kritik der Grünen empfinde ich als total unverantwortlich. Da wird von einer Frau mit Abschluss in Germanistik (bei allem Respekt) Kritik an einem ihr völlig fremden Fachgebiet ausgeübt und wird dabei von den Medien als Atom-Expertin bezeichnet. Darüberhinaus müssen wir mittelfristig, egal ob wir an Kernfusion forschen oder nicht, eine Lösung finden.

 

Zu guter Letzt steckt die Botschaft in dem lateinischen Wort Iter: Der Weg. Allein der Traum aus einem einzigen Liter Meerwasser die Menge an Energie, die in einem Barrel Öl steckt zu erzeugen, zu erzeugen verpflichtet uns unseren Nachkommen gegenüber alles Erdenkliche zu tun um diese letzte ungenutzte und saubere Energiequelle zu erforschen. Ich glaube viele verstehen nicht, dass man erneuerbaren Energien längst nicht mit ausreichender Sicherheit in hinreichendem Umfang Energie erzeugt werden kann.

Friedrich Reinhard Schmidt am 02.08.2020

+185 Gut Antworten

Die Kernfusion ist ein Klimaverbrechen! Würde sie zur Realität, würde die Erde mit einer zweiten Sonne versehen, um den Hunger der Menschheit nach Energiewandel zu stillen. Auch bei aller Freiheit vo CO 2 würde nicht alle zusätzliche Energie in den Weltreum abgestrahlt. Nach dem Energieerhaltungssatz wäre sie auch nicht zu verbrauchen sondern würde zur Klimaerwärmung beitragen. Wann begreifen das die an der Entwicklung der Kernfusion beteiligten Physiker?

tobmat am 03.08.2020

+186 Gut

Ein Kernfusionsreaktor ist keine zweite Sonne. Vergleichen sie mal die Größenordnungen. Und wo würde denn die Energie hingehen, die nicht ins Weltall abgestrahlt wird?

André van den Berg am 02.08.2020

+194 Gut Antworten

In meiner Jugend in den 70er Jahren wurde die Verfügbarkeit der Kernfusion "in etwa 50 Jahren" prognostiziert. Einer Karotte gleich wandert dieses Zeitfenster mit den Jahren mit. Das ist ernüchternd. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass die Menschheit einst die techn. Herausforderungen der Kernfusion meistern wird. Dazu ist es aber notwendig, weiterhin Geld in die Forschung zu stecken. Ob multinationale Projekte mit dem damit verbundenen Bürokratismus und nationalen Eitelkeiten zielführend sind, steht auf einem anderen Blatt. Doch solange es keinen "Elon Musk" der Kernfusion gibt, ist die Grundlagenforschung von staatlicher Seite voranzutreiben. Es ist nun einmal das Prinzip von Forschung, dass in der Regel nicht klar ist, ob und wann sie zu vermarktungsfähigen Ergebnissen führt. Auch Brennstoffzellen wurden über Jahrzehnte mit hohen Forschungsausgaben bedacht. Doch erst jetzt gewinnt diese Technik als essentieller Baustein der Energiewende Marktanteile.

Der Aussage, dass die Kernfusion uns nicht hilft, die gegenwärtigen Klimaziele zu erreichen, stimme ich zu. Doch langfristig benötigen wir, die Menschen, Kernfusion in unserem Energiemix. Daher ist die Forschung aufrechtzuerhalten - und zugleich sind die Kosten im Auge zu behalten.

tobmat am 03.08.2020

+175 Gut Antworten

„wird es von der EU weiter gegenüber aller weiteren Energieforschung privilegiert – auch gegenüber der Energiewende.“

Dieser Satz ist Realitätsfremd. Die aktuelle Kostenschätzung für Iter liegt bei ca. 20 Milliarden Euro. Verteilt über eine Zeit von 30 Jahren und verteilt auf 7 Partner.

Die Energiewende kostet Deutschland alleine jährlich deutlich über 30 Milliarden Euro (EEG-Umlage, Offshore-Umlage, KWKG-Umlage, Emissionshandel, Netzausbau, Forschung, Anlagenbau, Speicherbau etc.).

Wie kann man bei den Zahlen davon sprechen Kernfusion sei stärker privilegiert als die Energiewende? In die Energiewende fließt etwa das 100 fache an Mitteln pro Jahr in Deutschland

tobmat am 03.08.2020

+197 Gut Antworten

Hier mal ein schöner Beitrag der meine Meinung gut wiedergibt.

 

"Für die Bekämpfung des Klimawandels kommt die Kernfusion zu spät."

 

"Und trotz allem ist es klug, Geld in Kernfusion zu investieren. ITER kostet über 20 Milliarden Euro – das ist sehr viel Geld, aber es ist deutlich billiger als die Raumstation ISS, es ist weniger als weltweit in einem Monat für Smartphones ausgegeben wird, und es ist ein lächerlich winziger Betrag verglichen mit einem mittelgroßen Krieg. Wofür soll die Menschheit eigentlich Geld ausgeben, wenn nicht für eine potenziell revolutionäre Technologie? "

 

https://futurezone.at/meinung/kernfusion-das-ewige-wunderkind/400987157

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