Verkehrswende: Zu viele Emissionen im Verkehr
Der Expertenrat für Klimafragen bestätigt die Klimaschutzlücke im Verkehrssektor und fordert die Bundesregierung auf, gegenzusteuern. Der Verkehrsminister schürt derweil lieber Sorgen um Fahrverbote. NGOs machen Vorschläge für die Verkehrswende.
16.04.2024 – Der Verkehrssektor reißt zum dritten Mal in Folge seine Klimaziele. Mit rund 13 Millionen Tonnen wurden im Verkehr deutlich mehr Treibhausgase ausgestoßen als vom Klimaschutzgesetz vorgegeben. Das zeigt der Prüfbericht zu den Treibhausgasemissionen 2023 des Expertenrats für Klimafragen (ERK) der Bundesregierung. Der ERK bestätigt damit die Prognosen des Umweltbundesamtes. Klima- und Umweltorganisationen fordern von der Regierung, die Verkehrswende endlich umzusetzen.
Verkehrssektor hinkt hinterher
Deutschlands aktuelle Emissionsbilanz weist insgesamt betrachtet zum ersten Mal keine Klimaschutzlücke auf. Das liegt aber leider nicht am Verkehrssektor, der seine Emissionsminderungsziele erneut verfehlt hat. Stattdessen resultiert der Emissionsrückgang auf einer schwachen Konjunktur, einem milden Winter und dem Ausbau Erneuerbarer Energien. Um Emissionen dauerhaft zu senken und auf Klimazielkurs zu bleiben, müssen im Verkehrssektor entsprechende Weichen gestellt werden.
Das Klimaschutzgesetz gibt vor, dass bei einer Sektorverfehlung innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm mit Klimamaßnahmen erarbeitet werden muss. Die von Verkehrsminister Volker Wissing 2023 mit erheblicher Verzögerung vorgeschlagenen Maßnahmen reichten bei weitem nicht, um die Klimaschutzlücke im Verkehr zu schließen. Vergleichsweise einfache, emissionsreduzierende Maßnahmen wie ein Tempolimit, eine Reform des Dienstwagenprivilegs und der Kerosinsteuer, die von NGOs seit langem gefordert werden, lehnt er vehement ab. Auch diesmal fiel seine Reaktion kaum anders aus. Anstatt sich an die Arbeit zu machen, verbreitet Wissing lieber populistische Drohungen von Fahrverboten.
„Verkehrsminister Wissing muss jetzt ernsthafte Maßnahmen vorschlagen, anstatt mit irreführenden Aussagen über Fahrverbote von der eigenen Verantwortung abzulenken“, fordert Stefanie Langkamp, Geschäftsleiterin Politik der Klima-Allianz Deutschland.
Verkehrsminister droht mit Fahrverboten
„Der Expertenrat kontert Volker Wissings billig inszenierte Fahrverbots-Debatte mit dringend nötigem Realismus“, so Greenpeace-Mobilitätsexperte Benjamin Stephan. Auch das geltende Klimaschutzgesetz biete Möglichkeiten, Klimaschutz mit milderen Maßnahmen wie einem Tempolimit voranzubringen. „Strukturelle Veränderungen im Verkehr, etwa durch eine klar auf die Bahn ausgerichtete Infrastruktur oder eine ökologische Kfz-Besteuerung, werden erst nach und nach wirken. Der Verkehrsminister muss sie heute anschieben.“
Auch Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros von Germanwatch, sieht die Arbeitsverweigerung von Verkehrsminister Wissing kritisch. „Der Verkehrsminister hatte zweieinhalb Jahre Zeit, wirksame Maßnahmen anzustoßen. Wenn Volker Wissing stattdessen jetzt Nebelkerzen wirft und mit Fahrverboten an Wochenenden droht, leistet er nicht nur der Klimapolitik einen Bärendienst, sondern trägt auch ohne Not zur Politikverdrossenheit bei“, meint Weischer
Im Verkehr steht die Ampel auf gelb
Deutschland hat sich mit dem Klimaschutzgesetz selbst verpflichtet, Emissionen bis 2030 um rund 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Für verschiedene Wirtschaftsbereiche wurden deshalb Sektorenziele erarbeitet. Auf Drängen der FDP entschied sich die Ampel-Koalition im vergangenen Jahr, diese aufzuweichen. Eine entsprechende Gesetzesänderung soll Mitte dieses Jahres in Kraft treten.
Die Novelle wurde von Klima- und Umweltorganisationen klimapolitisch und rechtlich scharf kritisiert. „Es ist ein klimapolitisches Armutszeugnis, ausgerechnet jetzt die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes voranzutreiben“, kommentiert Tina Löffelsend, Abteilungsleiterin Klimaschutz des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Deutsche Umwelthilfe sowie der BUND haben Klimaklagen gegen die Bundesregierung eingereicht. Ziel ist die Einhaltung der Klimaziele im Verkehrs- und Gebäudesektor. „Ganz gleich wie der politische Streit über ein künftiges Klimaschutzgesetz ausgeht, der Verkehrsminister kann nicht länger jede Maßnahme ablehnen, die auf der Straße CO2 einspart“, sagt Stephan. Andernfalls werde Deutschland wegen des Problemfalls Verkehr seine langfristigen Klimaziele verfehlen.
Die Emissionsminderung nach Sektoren ist nicht nur in deutschem Recht verankert, sondern auch in der EU-Lastenteilungsverordnung. Es ist also gut möglich, dass die von der Regierung angestrebte Aufweichung der Emissionsziele in den Sektoren hohe Strafzahlungen für Deutschland bedeuten. Germanwatch beziffert einen drohenden Zukauf von Emissionszertifikaten mit einem zweistelligen Milliardenbetrag. Auch ein EU-Vertragsverletzungsverfahren ist möglich. jb