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Lokale Energiewende auf Augenhöhe

Foto: elektrische Autos unter einem Dach mit Solarpanels ausgestattet
Inselwerke eG: Ein E-Ladenetz für Usedom. (Foto: Matthias Gründling / © Inselwerke eG)

Bundesweit gestalten unzählige Bürgerenergiegesellschaften die Energiewende entscheidend mit. Sie realisieren lokal eine Vielzahl an Projekten. Dabei sind sie nicht nur im Strombereich tätig, sondern wirken auch in den Bereichen Mobilität und Wärme mit ihren Aktivitäten an der Energiezukunft mit.

16.11.2017 – Das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) hat im Jahr 2017 erstmalig den Wettbewerb Bürgerenergieprojekt des Jahres veranstaltet. 17 Projekte haben sich daran beteiligt. Mittels Internet-Voting und Jurywahl wurden die drei Gewinnerprojekte ermittelt. Es sind die Energiegenossenschaft Inn-Salzach eG für die Kombination von Ökostrom und Lärmschutz, die Inselwerke eG für den Aufbau eines E-Ladenetzes auf Usedom und die Bürgerenergiegenossenschaft Emmendingen eG für ihr Gesamtkonzept. Das BBEn hat die drei Gewinnerprojekte nun diesen Sommer besucht und portraitiert.

Inselwerke eG: Ein E-Ladenetz für Usedom

Die Idee, ein umweltfreundliches Mobilitätsangebot auf der Ostsee-Insel Usedom zu schaffen, entstand im Jahr 2014: Usedom ist eine der sonnenscheinreichsten Regionen Deutschlands, im Sommer kommen die Touristen in Scharen und erfreuen sich an der ursprünglichen Natur. Die äußeren Zutaten für eine solarstromgetriebene Mobilität waren gegeben. Die Genossenschaft betreibt heute an 13 Standorten insgesamt 18 Ladestationen, die meisten davon auf der Insel sowie weitere in Wolgast, Libnow und Nechlin. Wer von der Inselwerke eG eine Strom“tanke“ installiert haben will, kann zwischen einer einfachen oder einer Doppel-Ladestation wählen oder sich für einen Carport mit Solarmodulen entscheiden – und muss einen passenden Standort bereitstellen sowie sich als „Standortpartner“ an der Investition beteiligen.

Besitzer und Betreiber der Ladestation bleiben aber in den meisten Fällen die Inselwerke eG, die auch für mögliche Fördergelder sorgt. Die Partner der eG – darunter Hotels und Kommunen, aber auch ein Biocafé, eine Kanustation oder ein Segwayanbieter – kümmern sich, wenn es kleinere technische Probleme mit „ihrer“ Station gibt und erhalten auch eine eigene Ladekarte. „Nutzer, die selbst keine Karte besitzen und keine App nutzen wollen, können so auch spontan ihr Auto aufladen“, berichtet Frank Haney vom Vorstand der Inselwerke eG. Bei den Carports mit Solarmoduldach geht ein Teil des Sonnenstroms direkt an die Ladestation und dann in die Autobatterie, der Rest wird ins öffentliche Netz eingespeist oder auch direkt vor Ort genutzt.

Vision: Genossenschaftliches Ladenetz

Am Stromgeschäft mit den überregionalen Ladekarten verdient die Genossenschaft nicht direkt, sie stellt aber für jedes Aufladen an den jeweiligen Standorten eine kleine Gebühr in Rechnung. Im Sommer wird im Schnitt jeden Tag drei Mal im Usedomer Ladenetz getankt, schätzt Frank Haney. Strandnahe Stationen werden dabei deutlich stärker genutzt. Geht es nach Frank Haney, sollen sich die Bürgerenergie-Genossenschaften gerade bei der E-Mobilität ins Zeug legen. „Den Stromkonzernen wird es nicht noch einmal passieren, dass sie einen Trend verpassen wie zuletzt bei Solarstrom und bei der Windkraft“, ist sich der Geophysiker sicher. Seine Vision ist es, bundesweit ein genossenschaftliches Ladenetz zu etablieren. „Jetzt sind noch viele Firmen beim E-Tanken aktiv – ein Zeichen dafür, dass der Markt noch am Anfang steht“, erläutert Haney. Längerfristig könnten sich aber für den Kunden teure Monopole herausbilden. Ein genossenschaftliches Netz von Ladestationen könnte da eine Alternative sein. Zwar kooperieren die Inselwerke bereits mit der Bürgerwerke eG, um das Usedomer Konzept anderen Genossenschaften bundesweit zur Verfügung zu stellen – tatsächlich aber steht eine Energiegenossenschaft, die sich für die E-Mobilität engagiert, noch recht allein auf weiter Flur. Ihr Konzept, das auf regionale Kooperation setzt, lässt sich aber leicht übertragen, so die Meinung Fachjury des Bündnis Bürgerenergie.

BürgerEnergiegenossenschaft Emmendingen eG: Musterbeispiel kommunaler Vernetzung

Sie kamen recht spät, aber dafür umso engagierter. Als sich die BürgerEnergiegenossenschaft Emmendingen im Jahr 2012 zusammenfand, ging die Zahl der Neugründungen in Deutschland bereits leicht zurück. Die Südbadener konnte das nicht schrecken, sie setzten vor allem auf eine ganzheitliche Energiewende – und gingen, gedrängt durch die sich wandelnden Rahmenbedingungen, einen anderen Weg. Denn in der Kreisstadt nördlich von Freiburg geht es nicht nur um Strom, sondern auch viel um Wärme und effiziente Energienutzung. Es geht zudem um die direkte Belieferung der Abnehmer vor Ort, um Contracting-Modelle – und nicht überwiegend um das einfache Einspeisen von Ökostrom. „Das funktioniert nur durch unsere gute Vernetzung in der Stadt“, sagt Vorstand Werner Strübin.

Nun wird die effiziente Wärmeversorgung von fünf Häusern der städtischen Wohnungsbaugesellschaft realisiert. Die Objekte umfassen 60 Wohneinheiten. Sie werden komplett saniert und erhalten künftig ihre Wärme von der Genossenschaft im Rahmen eines Contractingmodells aus Kraft-Wärme-Kopplung. An einem ergänzenden Mieterstromkonzept wird unterdessen noch gebastelt.

Ähnliche Energiekonzepte gibt es inzwischen mehrfach in Emmendingen, darunter auch in einem Familienzentrum und einem Kindergarten. In einem Wohnobjekt wurde das Blockheizkraftwerk durch eine thermische Solaranlage ergänzt. So kann das Aggregat im Keller ruhen, wenn alleine Brauchwasser und keine Heizenergie benötigt wird. Ein weiteres Projekt umfasst mehrere Gewerbebetriebe, unter anderem einen Bioladen mit 500 m² Verkaufsfläche, der Wärme und Strom direkt aus dem Keller bezieht. Klaus Pleuler, Geschäftsführer des Biomarktes ist auch im Vorstand der Genossenschaft aktiv.

Geduldiges Kapital

Das Erfolgsrezept der Emmendinger Genossen liegt in den örtlichen Kontakten und den Fachkompetenzen. Vorstand Strübin ist dafür ein gutes Beispiel. Er war einst Ortsvorsteher im Stadtteil Mundingen und arbeitet als Beratender Ingenieur, weshalb er in Fragen der Heiztechnik fachkundig ist. Wie er selbst arbeiten auch die anderen Vorstände für die Genossenschaft unentgeltlich. „Das macht immer Spaß, wenn in den Jahresabrechnungen unter dem Punkt Personalkosten eine Null steht“, sagt Strübin. Auf diese Weise werden auch Projekte möglich, die Energieversorger nicht zu stemmen vermögen. Zumal sich die Genossenschaft auch mit einer durchaus bescheidenen Rendite zufrieden gibt.

Die Emmendinger Genossen nutzen in diesem Zusammenhang gerne einen anschaulichen Begriff: „Unsere Mitglieder stellen uns geduldiges Kapital zur Verfügung.“ Neun realisierte Projekte listet die Genossenschaft inzwischen auf. Natürlich sind auch Photovoltaikanlagen darunter, eine auf dem Dach der Musikschule. Auch bei einem Bürgerwindrad sind sie mit im Boot. Im Oktober wurde eine weitere PV-Anlage mit 250 Kilowatt in Betrieb genommen, auf dem Ziegenstall eines Biohofs auf dem Emmendinger Wöpplinsberg. Die Investitionen in Höhe von 200.000 Euro sind für die Genossenschaft mit ihren 190 Mitgliedern gut zu stemmen.

EnergieGenossenschaft Inn-Salzach eG: Stromerzeugung statt Straßenlärm

Die Photovoltaik sorgt hier für Ruhe. Wenn auf der Staatsstraße 2550 im bayerischen Neuötting ein LKW vorbei donnert, bleibt es vor der nahegelegenen Montessori-Schule erstaunlich ruhig – einer mit Solarmodulen bestückten Lärmschutzwand sei Dank. Die EnergieGenossenschaft Inn-Salzach eG (EGIS) hat sie initiiert. „Wir haben bei vielen Firmen angefragt, aber nur eine davon war bereit, die Photovoltaikwand mit uns zu entwickeln“, sagt Pascal Lang, Vorstandsvorsitzender der EGIS eG. Anderthalb Jahre an Vorlauf waren nötig, dann wurden die Lärmschutzelemente mit Solarmodulen binnen drei Tagen in die neu aufgebaute Wand eingelassen. „Jetzt hoffen wir, dass unser Projekt möglichst viele andere Energiegenossenschaften motiviert, ähnliches aufzubauen“, sagt Lang.

234 Meter lang, fünf Meter hoch, zieht sich die Lärmschutzwand seit September 2016 entlang der Landstraße. Knapp 76.000 Euro investierte die Genossenschaft in die Solaranlage. Im oberen Teil sind Solarmodule eingelassen, die in der Summe eine Nennleistung von 64,4 Kilowatt erreichen. Der jährliche Ertrag ist mit 50.600 Kilowattstunden prognostiziert. Der gute Wert resultiert zum einen daraus, dass die Wand nicht ganz senkrecht steht; man hat sie um fünf Grad geneigt, um die Sonne noch besser einfangen zu können. Zum anderen erzielt man im Winter eine Ausbeute, die jede Dachanlage schlägt, weil dann die Sonne flach steht.

Der Strom fließt zu einem guten Teil in die unmittelbar angrenzende Montessori-Schule. Sie wird von einem Trägerverein geführt, was gegenüber einer städtischen Schule von Vorteil war, weil kommunale Einrichtungen oft über Bündelausschreibungen mit Strom versorgt werden. Eine solche Konstellation macht es immer etwas schwerer, Eigenverbrauchskonzepte umzusetzen. Die Schule, die sich seit einem Jahr in dem Neubau befindet, war sofort für die Idee zu haben. Rund 40 Prozent der von der Lärmschutzwand erzeugten Strommenge können direkt vor Ort verbraucht werden. Die Schule bekommt zugleich einen attraktiven Stromtarif. Im Foyer zeigt ein Monitor die Ertragsdaten der Anlage und den aktuellen Verbrauch der Schule. „Wir nutzen das Projekt natürlich auch im Unterricht“, sagt Ursula von Hofacker, Geschäftsführerin der Schule.

Groß denken, konservativ rechnen

Erst im Januar 2013 hat sich die EGIS eG gegründet. „Wir hatten zur Gründung noch nicht einmal ein konkretes Projekt“, erinnert sich Elmar Wibmer, einer der Väter der Genossenschaft und heutiges Vorstandsmitglied. Und dennoch kamen aus dem Stand bereits 153 Gründungsmitglieder zusammen. Heute hat die EGIS eG 680 Mitglieder und rund drei Millionen Euro an Anteilen ausgegeben. Auch in den Rathäusern der Umgebung ist die Genossenschaft hoch angesehen: 23 von 24 Kommunen im Landkreis sind Mitglied. Nicht nur innovativ, auch groß ist in Altötting mitunter die Devise. Eine der größten Aufdachanlagen Deutschlands realisierte die EGIS eG mit 4 MW auf einem Logistikzentrum in Frankenthal (Pfalz). Und eine Freiflächen-Photovoltaikanlage mit 8,7 MW im thüringischen Wachenbrunn gehört heute ebenfalls zum Portfolio. Gleichwohl bleiben die Oberbayern bodenständig: „Wir versprechen keine großen Renditen, wir rechnen immer sehr konservativ“, sagt Vorstandsmitglied Lang. Zielrendite seien drei bis vier Prozent im Jahr, und die wurde erstmalig letztes Jahr erreicht. Dominique Saad

Alle Informationen zum Wettbewerb, den Bewerbern und den Gewinnern: www.wettbewerb.buendnis-buergerenergie.de


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