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Gleichstrom – Comeback auch in Niederspannungsnetzen?

Herkömmliche Schalter würden in DC-Netzen einen zerstörerischen Lichtbogen ziehen (Foto: TU Ilmenau)
Herkömmliche Schalter würden in DC-Netzen einen zerstörerischen Lichtbogen ziehen (Foto: TU Ilmenau)

Die Gleichstromtechnik spielt in Europas Versorgungsnetzen schon seit vielen Jahrzehnten kaum mehr eine Rolle. In einigen Unternehmen erlebt die Technik aber gerade europaweit ein kleines Comeback. Interessant werden könnte sie aber vor allem außerhalb Europas in ländlichen Entwicklungsregionen.

27.10.2017 – Die Firma Bachmann in Stuttgart, das Arcola-Theatre in London und die japanische Telefongesellschaft NTT in Tokio haben eines gemeinsam: Sie versorgen ihre Rechnerzentralen, Klimaanlagen und Beleuchtungen neuerdings mit Gleichstrom (DC). Sie stehen damit nicht allein – und sie werden sicher weitere Unternehmen und vielleicht bald auch Privatleute dazu motivieren, bestehende Wechselstrom- gegen Gleichstromnetze auszutauschen oder um solche zu ergänzen. Damit steht die Gleichstromtechnik möglicherweise vor einem bedeutenden Comeback, nachdem sie in Europa in Versorgungsnetzen schon seit vielen Jahrzehnten kaum noch eine Rolle gespielt hat.

Doch diese Wiedergeburt kommt nicht ganz überraschend. Auf der einen Seite steigt in Haushalt und Büro seit Jahren stetig die Anzahl an Elektrogeräten und LED-Beleuchtungen, die Gleichstrom verbrauchen. Den beziehen sie dann über Netzteile und AC/DC-Wandler, was die Kosten für Anschluss und Verbrauch in die Höhe treibt und obendrein häufig zu einer unansehnlichen Ansammlung eben jener elektronischen Zusatzgeräte auf oder unter dem Bürotisch führt. Auf der anderen Seite sind erfreulicherweise in zunehmendem Maße Batteriespeicheranlagen und Gleichstromgeneratoren wie zum Beispiel Photovoltaikanlagen in Betrieb, die Gleichstrom direkt liefern können. Dieser technische Befund führt nun unter Wissenschaftlern und Entwicklern dazu, sich wieder intensiver mit den Möglichkeiten von Gleichstromnetzen zu beschäftigen.

Gleichstrom benötigt neuartige Schalter und Kabel

Der Siegeszug der Wechselspannungstechnik seit Ende des 19. Jahrhunderts habe in jüngster Zeit zu einer paradoxen Situation geführt, sagte Frank Berger, Professor an der TU Ilmenau, in einem Vortrag vor Fachjournalisten aus der Elektrobranche. „In Büros und Haushalten arbeiten immer mehr Geräte mit Gleichspannung von wenigen Volt, vom Rasierer über das Notebook und den Flachbildfernseher bis zu LED-Leuchten. Versorgt werden sie aber mit 230-Volt-Wechselspannung aus der Steckdose“, erläuterte Berger, „und Dutzende Schaltnetzteile übernehmen die Wandlung – mit scheinbar kleinen Verlusten, die sich aber landesweit zu bedeutenden zusätzlichen Kosten summieren.“ Er plädiere deshalb dafür, in diesem Bereich DC-Niederspannungsnetze zu installieren.

Berger und sein Team an der TU Ilmenau beschäftigen sich überwiegend mit der Entwicklung von Schaltgeräten und Kabeln, die DC-geeignet sind. Gerade Schalter, aber auch Sicherungen, tun sich aus physikalischen Gründen schwer mit Gleichstrom, denn beim Ausschaltvorgang bildet sich ein kräftiger Lichtbogen, der ohne spezielle gerätetechnische Maßnahmen nicht verlöschen würde. Während das Trennen von Kontakten bei Wechselstrom zuverlässig funktioniert, weil Wechselstrom im Takt seiner Frequenz für den Bruchteil einer Sekunde auf null absinkt und dann bei einem geöffneten Schalter auch nicht wieder ansteigt, fließt Gleichstrom über einen entstehenden Lichtbogen kontinuierlich weiter und würde ohne Gegenmaßnahmen den Schalter in Brand setzen und zerstören. Deshalb kombiniere man die Mechanik des Schalters mit einer elektronischen Trennvorrichtung, verriet Berger. Im geschlossenen Zustand, so die physikalische Konsequenz aus dieser Anordnung, fließe der Strom fast verlustfrei über die Metallkontakte, beim Öffnen nehme er hingegen den Weg über die Leistungselektronik, die den Stromfluss dann ohne Lichtbogen unterbreche.

Auch Kabel brauchen in Gleichspannungsnetzen in vielen Fällen einen anderen Aufbau als in Wechselspannungsnetzen. Vor allem bei der Verwendung in Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssystemen (HGÜ) ist zu berücksichtigen, dass die elektrische Feldverteilung am Kabel völlig anders ist als in Wechselstromanlagen. Deshalb sind Isolierstoffe – zumindest für HGÜ-Kabel – teure Spezialanfertigungen, was sich aber dank der geringeren Energieverluste bei der HGÜ-Technik über große Distanzen dennoch rechnet. Auch dieses Thema ist Forschungsgegenstand an Prof. Bergers Lehrstuhl in Ilmenau. Und wie sieht es bei niedrigen DC-Spannungen aus? „Erste Laborversuche deuten darauf hin“, so Bergers Antwort, „dass ein Kabel auch in DC-Niederspannungsnetzen anders beansprucht wird als bei Wechselspannung. Die Ursache liegt in der Abhängigkeit der Spannungsfestigkeit von der Temperatur – und diese Festigkeit nimmt bei Gleichspannungsbeanspruchung bei hohen Temperaturen merklich ab.“ Weitere Tests sollen zeigen, wie sich dieses Verhalten insbesondere auf die Alterung des Materials bei gleichzeitiger mechanischer Belastung auswirkt.

Gleichstrom für abgelegene Regionen

Bergers Forschungsergebnisse zeigen, dass sich AC-Netze in Industrieanlagen und Haushalten nicht einfach zu DC-Netzen umwidmen lassen, da sie nicht nur spezielle Schalter und -Sicherungen, sondern in vielen Fällen auch spezielle Kabel benötigen. Deshalb werden sich Bauherrn zunächst wohl nur dazu entscheiden, Gleichstromnetze als Ergänzung zu den vorhandenen AC-Netzen einzusetzen – wenn überhaupt. Denn dass sich Gleichstrom in der Gebäudetechnik schon in naher Zukunft in großem Umfang durchsetzen wird, ist keineswegs sicher. Das sieht auch Prof. Berger so: „Deutschland ist mit seinem Wechselspannungsnetz sehr gut versorgt, und es wird schwer werden, es mit der DC-Technik zu verdrängen.“ Anders sehe es außerhalb Europas aus, nämlich dort, wo ein Viertel der Bevölkerung keinen Zugang zu Elektrizität habe, so Berger weiter. Beispielsweise seien in ländlichen Gebieten Indiens Inselnetze mit Gleichstromgeneratoren wie Photovoltaikanlagen der beste Weg, die Menschen in absehbarer Zeit mit Strom zu versorgen. Wilhelm Wilming


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