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Netzschwankungen: Stromhandel schlägt Ökostrom

In Europa ist der Stromhandel für größere Schwankungen verantwortlich als die Einspeisung von Erneuerbaren Energien. Das haben Forscher am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation herausgefunden. (Foto: <a href="https://pixabay.com/" target="_blank">pixabay</a>, <a href="https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de" target="_blank">CC0 1.0</a>)
In Europa ist der Stromhandel für größere Schwankungen verantwortlich als die Einspeisung von Erneuerbaren Energien. Das haben Forscher am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation herausgefunden. (Foto: pixabay, CC0 1.0)

Wind- und Solarenergie werden gerne als Hauptverantwortliche für Schwankungen im Stromnetz gebrandmarkt. Forscher des Max-Planck-Instituts Göttingen haben dagegen herausgefunden: Der Stromhandel ist für stärkere Schwankungen verantwortlich.

13.01.2018 – Wenn das deutsche Stromnetz unter Druck gerät und die Übertragungsnetzbetreiber mit teuren Maßnahmen eingreifen müssen, ist für viele der Sündenbock klar: Solar- und Windkraftanlagen mit ihrer fluktuierenden Einspeisung von Ökostrom gefährden die Netz- und Versorgungssicherheit. Zuletzt hatte Netzbetreiber Tennet den Erneuerbaren die Schuld in die Schuhe geschoben. Daraufhin monierten Energieexperten, dass Kohle- und Atomstrom die wahren Schuldigen seien und die Netze verstopften. Nun kommen weitere Indizien hinzu, die Wind- und Solarstrom entlasten.

Wissenschaftler am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) haben herausgefunden: Der Stromhandel ist für stärkere Schwankungen im Stromnetz verantwortlich als die Einspeisung von Erneuerbaren Energien. Zusammen mit Kollegen aus Dresden, Jülich, London und Tokyo analysierten sie die Abweichungen der Netzfrequenz in Stromnetzen in verschiedenen Regionen der Welt, mit Hilfe mathematischer Modelle erstellten sie Vorhersagen über mögliche Anfälligkeiten und Ursachen.

Alles dreht sich um 50 Hertz

Schwankungen im Stromnetz sind erst einmal völlig normal. Denn wenn ein Verbraucher dem Stromnetz elektrische Energie entzieht, muss mehr produziert werden, um die Netzfrequenz von 50 Hertz zu halten. Geschieht dies nicht, können elektrische Geräte beschädigt werden. Wenn ein Kraftwerk zudem mehr elektrische Energie einspeist, als zunächst vorgesehen, müssen andere Kraftwerke ihre Leistung drosseln. Soweit die Theorie, Hüter der Netzfrequenz in Deutschland sind die vier Übertragungsnetzbetreiber.

Wind- und Solaranlagen verursachen mehr Schwankungen als Atom- und Kohlekraftwerke, die Natur in Form von Wind und Sonnenstrahlen hält sich nun einmal nicht an die europäische Netzfrequenz. Deshalb wollte das internationale Forscherteam wissen: Beeinflussen die Erneuerbaren Energien die Netzfrequenz und damit die Versorgungssicherheit so dramatisch wie oftmals behauptet wird? Und wie wahrscheinlich ist eine Abweichung von der Sollfrequenz. Dazu werteten die Wissenschaftler Messdaten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Finnland, Mallorca, Japan und den USA aus.

Stromhandel für große Schwankungen verantwortlich

Die Analyse barg zwei Überraschungen. Erstens zeigte das zusammenhängende europäische Verbundsystem alle 15 Minuten starke Abweichungen. Dies sei genau der Zeitraum, in dem sich Erzeuger auf dem Strommarkt in Europa auf eine neue Verteilung für die Erzeugung einigen und sich damit ändere, wo wie viel Strom in das Netz eingespeist werde, so die Forscher. „Interessanterweise erscheinen die durch Stromhandel hervorgerufenen Frequenzschwankungen im Netz bedeutender als solche aufgrund der Einspeisung erneuerbarer Energien“, sagt dazu Prof. Marc Timme vom MPIDS.

Die zweite Überraschung: Die statistischen Abweichungen um den Sollwert von 50 Hertz folgten nicht einer Gauß-Verteilung, stattdessen seien extreme Schwankungen viel wahrscheinlicher als nach Gauß vorhergesagt. Deshalb entwickelte das Forscherteam ein neues mathematisches Modell für Fluktuationen im Stromnetz.

Große Netze sind stabiler

Darauf aufbauend fanden sie heraus, dass kleine Stromnetze wie auf Mallorca aber auch das britische stärkeren Schwankungen ausgesetzt sind als das weit verzweigte Netz Kontinentaleuropas. „Unsere Studie weist darauf hin, dass eine Aufteilung eines großen und damit sehr trägen Netzes, wie des kontinentaleuropäischen Netzes, in viele kleine Netze (Microgrids) zu größeren Frequenzschwankungen in diesen kleinen Netzen führt als es in dem gemeinsamen europäischen Verbundnetz der Fall ist“, fasst Studienautor Benjamin Schäfer vom MPIDS zusammen.

Ein Vergleich der Regionen zeige, dass größere Abweichungen in Netzen mit einem größeren Anteil an Erneuerbaren Energien auftreten. Das gelte etwa für Großbritannien, dort sei der Anteil an Wind- und Solarenergie deutlich höher als in den USA, was auch zu größeren Netzschwankungen führe. Um dennoch den Anteil der Erneuerbaren Energien zu erhöhen, empfehlen die Forscher verstärkte Investitionen in sogenannte Primärregelung und Demand Control, also eine intelligente Anpassung der Erzeuger und Verbraucher an die Frequenz. cw


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