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Tschernobyl39 Jahre nach dem Super-GAU

Loch in Schutzhülle des AKW in Tschernobyl
Die neue Schutzhülle über dem 1986 havarierten Reaktor 4 des ukrainischen AKW Tschernobyl wurde im Februar von einer russischen Drohne beschädigt (Bild: IAEA Imagebank, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons).

Nach 39 Jahren ist das Gebiet um das havarierte AKW Tschernobyl noch immer stark kontaminiert. Die Rückbauarbeiten gehen langsam voran und wurden zuletzt durch einen russischen Drohneneinschlag in der Schutzhülle gefährdet.

25.04.2025 – In der Nacht zum 26. April 1986 explodierte der Reaktorkern des Blocks 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl. Das AKW brannte tagelang. Ein katastrophaler Unfall, durch den radioaktive Stoffe über weite Teile Europas verteilt wurden, und der die Umgebung um Tschernobyl stark verstrahlte.

Es bleibt schwer zu bestimmen, wie viele Menschen durch die Nuklearkatastrophe umgekommen sind. Die UN, WHO und die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) gehen von weltweit 4000 Todesopfern aus, vor allem durch Krebserkrankungen. Teilweise waren dies die Arbeiter, innerhalb von kurzer Zeit eine Schutzhülle um den Reaktor errichteten, um austretende Strahlung einzudämmen.

Die Strahlung einschließen

Nahezu vier Jahrzehnte später gilt Tschernobyl noch immer als schwerster Unfall bei der nicht-militärischen Nutzung von Atomkraft. Das Gebiet in einem Radius von 30 Kilometern um das havarierte AKW ist weiterhin eine nukleare Sperrzone mit hoher Strahlenbelastung.

Die Schutzhülle, die auch Sarkophag genannt wird, wurde in jahrelanger Arbeit erneuert. Da die Ukraine dies allein nicht hätte stemmen können, finanzierten die EU sowie 45 weitere Länder das Projekt. Der Bau der neuen Hülle kostete 1,6 Milliarden Euro, der Betrieb weitere 8 Millionen jährlich. Da der Sarkophag aufgrund der hohen Kontamination nicht direkt über der Reaktorruine errichtet werden konnte, wurde die Schutzhülle daneben aufgebaut und anschließend langsam über den Reaktor 4 geschoben. Mit 110 Meter Höhe, 260 Metern Breite, 165 Metern Länge und 29.000 Tonnen Gewicht sei die Hülle „die größte technisch bewegbare Struktur, die jemals auf der Erde gebaut worden ist“, sagt Greenpeace-Experte Tobias Münchmeyer auf der Themenseite der Umwelt-NGO.

Der neue ‚New Safe Confinement‘ wurde 2016 fertig und 2019 offiziell in Betrieb genommen. Sie sollte die Strahlung für weitere 100 Jahre einschließen sowie einen kontrollierten Rückbau der innenliegenden Reaktorstrukturen ermöglichen.

Nukleare Gefahr im Kriegsgebiet

Nur knapp drei Jahre nachdem der Sarkophag offiziell in Betrieb genommen wurde, griffen russische Truppen im Februar 2022 die Ukraine an, und nahmen die nukleare Sperrzone Tschernobyl ein. Immer wieder gab es Kämpfe um die Reaktorruine, und zeitweise wurde die Stromzufuhr unterbrochen. Wie auch bei anderen Atomkraftwerken ist Strom für das havarierte AKW essenziell für die Kühlung radioaktiven Materials. Auch für die laufenden Rückbauarbeiten wurde und wird Strom benötigt. Die Atomruine ist inzwischen wieder unter ukrainischer Kontrolle, und Experten der IAEA unterstützen vor Ort.

Im Februar 2025 beschädigte dann eine russische Drohne die Schutzhülle schwer. Die Drohne schlug in das Schutzdach des Sarkophags ein und explodierte nach ukrainischen Berichten erst im Innern. Die Ukraine sowie die IAEA vermeldeten keine erhöhten Strahlenwerte, doch die langfristigen Folgen des Angriffs sind noch ungewiss. Moskau bestreitet, für den Angriff verantwortlich zu sein.

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Experten von Greenpeace, die die Situation vor Ort begutachtet haben, berichten von schweren Schäden. Der leitende Ingenieur für Tschornobyl und den Sarkophag, Artem Siriy, habe mitgeteilt, dass 50 Prozent des Norddachs sowie Teile des Süddachs und der Seitenwände durch den russischen Drohnenangriff schwer beschädigt wurden sowie kritische Strukturen, darunter das Kransystem, betroffen seien, berichtet Greenpeace. Sollte Schnee und Wasser ins Gewölbe eindringen, könne die Schutzhülle zudem von innen rosten, und ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Ein Ersatz könnte notwendig werden.

Umkämpfte Atomkraftwerke

Die Atomkraftwerke sind nicht darauf ausgelegt, Angriffen mit Kriegswaffen dauerhaft standzuhalten, bestätigt Rafael Grossi, Generaldirektor der IAEA. Die ukrainischen Atomkraftwerke bleiben ein Druckmittel Russlands nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen ganz Europa.

Nach Tschernobyl besetzten russische Truppen im März 2022 das mit sechs Reaktorblöcken größte Atomkraftwerk der Ukraine und Europas, Saporischschja, das inzwischen heruntergefahren wurde. Auch die AKWs in Riwne, Chmelnyzkyj und der Südukraine sowie das russische AKW in Kursk werden umkämpft. Letztere seien mit jeweils hunderten Tonnen hochradioaktivem Kernbrennstoff beladen, heißt es in einer Analyse von Greenpeace. Weitere neun Abklingbecken für Brennelemente seien mit insgesamt mehreren tausend Tonnen abgebranntem Brennstoff beladen, viele noch hoch-radioaktiv. Sie alle benötigen Strom zur Kühlung.

Der ukrainische Präsident Selenskyj forderte Russland über die vergangenen Kriegsjahre wiederholt auf, die Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur und die Atomkraftwerke zu beenden.

Atomkraft, nein danke?

Deutschland ist zwar 2023 aus der Atomkraft ausgestiegen. Doch im niedersächsischen Lingen betreiben Frankreich und Russland weiterhin eine gemeinsame Produktionsstätte für Brennelemente, die zuletzt ungenehmigt erweitert wurde. Deutsche und russische Aktivisten warnen weiterer der nuklearen Verstrickung mit Russland, das wenig Skrupel mit der gefährlichen Technologie bewiesen hat.

Auch andere europäische Länder schreckt die nukleare Gefahr im russischen Krieg gegen die Ukraine kaum ab – Frankreich, Polen, und andere europäische Länder planen bereits den Bau neuer AKWs und SMRs. Letztere sollen sogar von der EU priorisiert gefördert werden. Deutschland plant derweil zwar nicht den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg, dafür will die neue Bundesregierung das erste Fusionskraftwerk der Welt bauen. jb

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