Biodiversität: Artenvielfalt in Deutschland gefährdet
Der Faktencheck Artenvielfalt bildet erstmals ein umfassendes Bild der Biodiversität in Deutschland. Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten sind bedroht, zwei Drittel der Lebensräume in schlechtem Zustand. Die Natur muss anders genutzt werden.
02.10.2024 – Die erste umfassende Bestandsaufnahme der Biodiversität in Deutschland zeichnet ein trauriges Bild: Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten sind bedroht und zwei Drittel der Lebensräume in schlechtem Zustand. Untersucht wurden die fünf Hauptlebensräume Agrar- und Offenland, Wald, Binnengewässer und Auen, Küsten und Küstengewässer sowie urbane Räume.
Auf den nationalen Kontext zuschneiden
Für den Bericht haben etwa 150 Autor:innen ihr Wissen zu Trends und Entwicklungen in der Artenvielfalt sowie die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen zusammengetragen. Die Forscher analysierten dazu Erkenntnisse aus über 6000 Publikationen.
Der Faktencheck wurde auch vor dem Hintergrund erstellt, dass in den vergangenen Jahren eine Reihe politischer Entschlüsse wie die UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen, der europäische Green Deal und die Deutsche Biodiversitätsstrategie verankert wurden. Auch deshalb wird der Bericht durch eine Datenbank des verwendeten Wissens sowie eine Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger ergänzt.
„Der Faktencheck Artenvielfalt ist weltweit eines der ersten Beispiele, wie große internationale Berichte – wie die globalen und regionalen Assessments des Weltbiodiversitätsrates IPBES – auf einen nationalen Kontext zugeschnitten aussehen können“, erklärt Christian Wirth, Professor an der Universität Leipzig und Mitherausgeber des FA bei dessen Vorstellung. Ziel sei, Handlungsoptionen für die konkrete nationale und subnationale Politik aufzuzeigen und zu entwickeln.
Biodiversitätsschutz systematisch umsetzen
Die Forscher gingen fünf großen Themenbereichen nach. Diese umfassten erstens Trends und Treiber der Veränderung der Artenvielfalt, zweitens die Konsequenzen der Biodiversitätsveränderungen für Ökosystemleistungen und die Gesellschaft, drittens das Funktionieren von Instrumenten und Maßnahmen zum Schutz oder zur Steigerung der Biodiversität, viertens die Rolle der Biodiversität, und fünftens die notwendigen Veränderungen von Lebensweise, Wirtschaft und Landnutzung, um die Biodiversität wiederherzustellen.
Ökosysteme erbringen essenzielle Leistungen für die Gesellschaft. Je reicher die Artenvielfalt, desto stabiler die Ökosysteme und desto reichhaltiger sind auch die Ökosystemleistungen. Intensive Landnutzung, Verschmutzung und der Verlust von Lebensräumen wirken sich am stärksten negativ auf die Artenvielfalt aus. Technologische Innovation hatte bisher ebenfalls eher negative Auswirkungen für die Biodiversität. In Zukunft könnte sich das ändern, heißt es im Bericht. Präzisen Monitoringtools und andere technische Innovationen könnten in Zukunft dazu beitragen, die Natur wiederherzustellen. Bisher zeigten beispielsweise Maßnahmen zur Integration von Strukturelementen, besserer Wasserqualität und ähnlichem einen positiven Effekt.
„Das zeigt, dass wir mit gezielten Maßnahmen den Biodiversitätsverlust stoppen können,“ erklärt Nina Farwig, Professorin an der Universität Marburg und FA-Mitherausgeberin bei der Vorstellung des Berichts. „Für eine echte Trendwende müssen wir die Natur verstärkt wiederherstellen. Vor allem aber müssen wir lernen, mit der Natur zu wirtschaften – nicht gegen sie. Das kann auch bedeuten, dass wir ökologische Folgekosten in Wirtschaftsberichten bilanzieren. Vor allem müssen neue biodiversitätsbasierte Landnutzungssysteme entwickelt werden. Moderne Technologien können hierbei helfen“.
Der Wissenszuwachs der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte fließe bisher nur unzureichend in Maßnahmen ein, kritisieren die Autoren der Studie. Eine besondere Herausforderung bei der Analyse sei das Fehlen eines einheitlichen, arten- und lebensraumübergreifenden Systems, um biologische Vielfalt zu erfassen, erklärt Helge Bruelheide, Professor für Geobotanik an der Universität Halle und Mitherausgeber des FA bei der Veröffentlichung. Weiterhin sei der menschliche Einfluss auf den Artenverlust im Detail unzureichend erforscht. jb