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Europäische UnionAtomkraft droht Teil von Europas Wasserstoffmarkt zu werden

Blick auf das Kernkraftwerk Chooz in Frankreich, mit zwei rauchenden Wasserdampfschloten
Das Atomkraftwerk Chooz trägt zu Frankreichs Stromerzeugung bei, die zu rund 70 Prozent aus Kernenergie besteht. (Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons))

Nach Entwürfen der Europäischen Union droht die Kernenergie einen Platz in der künftigen Wasserstofferzeugung Europas einzunehmen. Frankreich und einige osteuropäische Staaten treiben das Atomkraft-Revival voran.

14.12.2020 – Im Juli veröffentlichte die Europäische Kommission erstmals eine Strategie zur künftigen Wasserstofferzeugung und Nutzung in Europa. Schon da war die Kritik groß, dass neben dem Fokus auf grünen Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien auch sogenannter blauer Wasserstoff aus Erdgas in die Planungen einbezogen wurde. Entstehende CO2-Emissionen sollen mit sogenannter Carbon-Capture Speicherung (CCS) abgesaugt und im Boden gespeichert werden. Umweltverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisierten vor allem die Investitionen, die damit weiter in Gas-Projekte fließen werden. Die Atomkraft war im Juli hingegen noch kein Thema.

Doch Mitte November zeichnete sich ab, dass die Kommission auch Atomkraft in die Überlegungen zur Herstellung von Wasserstoff einbezieht. Wie Euractiv berichtete, erklärte eine hochrangige EU-Beamtin aus der Energiedirektion der Kommission vor dem EU-Parlament, dass man aus Kernenergie erzeugten Wasserstoff als CO2-Arm betrachten werde. Das Endprodukt wird dann als violetter Wasserstoff bezeichnet und sei laut der EU-Beamtin im Vorteil gegenüber grauem Wasserstoff – der reinen Wasserstoffgewinnung aus Gas ohne CO2-Abscheidung – der aktuell vor allem zum Einsatz kommt.

Vorrang für grünen Wasserstoff aufgeweicht

Zwei Entwürfe des Rates der Europäischen Union, indem die Regierungen der Mitgliedsstaaten zusammenkommen, zeigen nun: die Überlegungen nicht nur Erdgas, sondern auch Kernenergie in die Wasserstoffstrategie der Europäischen Union einzubeziehen, werden konkreter. In einem Entwurf des Manifests „für die Entwicklung einer europäischen sauberen Wasserstoff-Wertschöpfungskette“ wurde der Vorrang für grünen Wasserstoff durch die offene Kategorie „sauberer Wasserstoff“ aufgeweicht.

Ein weiterer Entwurf des Rates der EU zeigt, wo die offene Kategorie „sauberer Wasserstoff“ hinführen soll. Der Entwurf „Schlussfolgerungen des Rates – In Richtung eines Wasserstoffmarktes für Europa“ enthält den Vorschlag verschiedene „sichere und nachhaltige CO2-arme Technologien“ unterschiedslos als Klimaschutzoptionen und Erzeugungsquellen für Wasserstoff anzuerkennen. Öffentlich gemacht hatte die Entwürfe der BUND.

Deren stellvertretende Vorsitzende Verena Graichen erklärt: „Anstatt Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen klar Vorrang zu geben, soll dem Wortlaut der Förderkriterien nach künftig allgemein ‚sauberer‘ Wasserstoff gefördert werden. Wasserstofferzeugung aus erneuerbaren Energien würde so mit der aus Erdgas und Atomkraft gleichgestellt.“ Der BUND befürchtet, dass damit neben Erdgas auch neue Atomenergie-Projekte gefördert werden können.

Europas Atomkraft-Lobby

Die Lobby für die Atomkraft in Europa ist stark. Erst kurz vor dem EU-Gipfel setzten sich die osteuropäischen Länder Polen, Ungarn, Tschechien, Rumänien und Bulgarien sowie Frankreich für mehr Technologieoffenheit bei der Art der Energieerzeugung ein. Die Kernenergie solle gleichberechtigt behandelt werden, hieß es aus diesen Kreisen.

Und wie der Spiegel berichtete, sagte der französische Staatschef Macron kürzlich bei einer Rede vor Industrievertretern: „Unsere ökologische und energetische Zukunft hängt auch von der Atomkraft ab“. Macron könnte auf zusätzliche Gelder aus dem EU-Rettungsfonds hoffen, der zum Teil an Klimaschutz-Forderungen gebunden ist. Sollte die Kernenergie künftig tatsächlich Teil einer EU-Klimastrategie sein, könnten auch an Frankreichs Atomenergie entsprechende Gelder fließen.

Doch Verena Graichen macht noch einmal deutlich: „Unabhängig vom Folgeprodukt und dessen Nutzen bleibt die Erzeugung von Atomstrom hochriskant, die Urangewinnung eine horrende Umweltverschmutzung und die Endlagerung von Atommüll ein ungelöstes generationenübergreifendes Problem.“

Der BUND fordert die Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft auf, dem entschieden entgegen zu treten. Deutschland dürfe seinen eigenen Atomausstieg nicht durch die europäische Hintertür rückgängig machen. Doch bislang hat sich die Bundesregierung zu den Bestrebungen der europäischen Partner nicht geäußert. Die EU-Energieminister werden heute weiter über die Entwürfe beraten. Am Mittwoch den 16.12 will die EU-Kommission das fertige Manifest für die künftige Wasserstoffstrategie Europas der Öffentlichkeit präsentieren. mf  


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Kommentare

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Peter Heusch 21.12.2020, 21:15:00

Solange es immer noch Menschen gibt, die glauben, dass die Zeit nach der Energiewende (abgesehen von den CO2-Emmissionen) genauso aussieht wie die Zeit vor der Energiewende (Verschandelung ganzer Landschaften, aber eben nur punktuell, z.B. im Rheinischen und im Lausitzer Braunkohlerevier oder im Ruhrgebiet), solange für diese Menschen der Rotmilan nur im eigenen Dorf schützenswert ist, weil sein Schutz ja eigentlich nur ein Vorwand zur Verhinderung der Windkraft ist, solange selbst unterirdische HGÜ-Leitungen bekämpft werden wie die Eisenbahn vor 180 Jahren, ja solange werden wir damit leben müssen, dass Atomkraftbefürworter sich immer wieder ins Gespräch bringen können.

Raimund Kamm 10.01.2021, 14:50:12

+107 Gut Antworten

Ja, die Energiewende muss im System gedacht werden. Und dabei helfen uns die vor vielen Jahren formulierten Leitlinien mit 3 x E: Einsparen, Effizienz und Erneuerbare Energien.

 

Eine 100 % EE-Versorgung anfangs mit Strom und auch parallel in den anderen drei Sektoren Verkehr, Wärme und industrielle Stoffprozesse (Chemie, Stahl, Zement, ...) ist notwendig und gut machbar.

 

Dazu müssen und können wir konsequent die preiswerten Quellen Solar und Windkraft ausbauen und den Mix der EE (Bioenergie, Erdwärme & Geothermie, Solar, Wasser- und Windkraft) nutzen. Die PV- und Windkraftanlagen müssen großräumig verteilt werden, um die Wetterunterschiede zu nutzen, und durch HGÜ-Leitungen verlustarm verbunden werden.

 

Das Ziel 100 % EE-Versorgung ist klar und gut machbar. Immer weitere technische Fortschritte werden das Erreichen erleichtern. Dementsprechend können wir den Weg immer wieder anpassen. Wenn beispielsweise bei der Batterieentwicklung technische Sprünge gelingen, ändert dies etwas den Weg.

 

Zwei wichtige Aufgaben haben wir Umweltschützer und die EE-Vertreter:

 

1. Unsere EE sind Naturenergien. Wir müssen wissenschaftlich erarbeitete Erkenntnisse über die Auswirkungen unserer EE-Arten auf Flora und Fauna einfordern - oder entsprechende Studien anstoßen. Und dann im Dialog abwägen.

 

2. Unsere EE verändern die Landschaft. Umso wichtiger ist es, bei der Planung und beim Ertrag die BürgerInnen zu beteiligen.

 

Raimund Kamm, LEE Bayern


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