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Auf der Kippe: Lausitzer Widerstand gegen Braunkohle

Zu sehen ist „Auf der Kippe“ auf vielen Veranstaltungen in Vorbereitung der Aktion „Ende Gelände“ und kann im Internet bestellt werden. (Bild: Screenshot „Auf der Kippe“)
Zu sehen ist „Auf der Kippe“ auf vielen Veranstaltungen in Vorbereitung der Aktion „Ende Gelände“ und kann im Internet bestellt werden. (Bild: Screenshot „Auf der Kippe“)

Der Film „Auf der Kippe“ begleitet die Bewegung gegen weitere Kohletagebaue in der Lausitz über Jahre. Er macht die Menschen hör- und sichtbar, die ihre Heimat verlieren sollen, aber Widerstand leisten. Das liefert der Aktion „Ende Gelände“, die an Pfingsten Kohle-Infrastruktur blockieren will, weitere Munition.

15.04.2016 – Marco Kühne macht von Beginn an klar, auf welcher Seite er steht. Er macht klar, dass sein Dokumentarfilm sich gegen die Überbaggerung von Dörfern zu Gunsten der Kohleförderung richtet. „Ein Mahnmal“ ist für ihn das brandenburgische Dorf Haidemühl an der Grenze zu Sachsen, dessen Ruinen er zu Beginn von „Auf der Kippe“ zeigt. „Was hier geschehen ist, soll sich nicht wiederholen“, sagt der Filmautor. Dazu erklingen schroffe Cello-Töne. Die bedrückenden Bilder des verfallenen Dorfes waren wohl nicht bedrückend genug.

Was in Haidemühl geschehen ist, war vorher schon das Schicksal vieler anderer Dörfer in der Region. Seit 120 Jahren wird in der Lausitz Kohle gefördert, erzählt Kühne. 1924, nach der Industrialisierung, sei dafür das erste Dorf entfernt worden. Mittlerweile habe es 136 Ortschaften getroffen. Haidemühl ist seit 2006 verlassen.

Fünf Tagebaue gibt es nur noch in der Lausitz, aber für drei von ihnen gibt es Erweiterungspläne. Die Verdrängung von Menschen aus ihrer Heimat, die Vernichtung von Lebensraum geht weiter, Klimaschutzplänen und Energiestrategien zum Trotz. Über dieses Thema hat Marco Kühne 2012 seine Abschlussarbeit im Fach Geographie geschrieben. Er wollte dann mehr daraus machen, wollte den Menschen, deren Widerstand ihn beeindruckte, helfen. Der 2015 nach vierjähriger Recherche erschienene Film ist das Ergebnis mehrerer Besuche in der Region. Und es ist ein Film „aus der Bewegung für die Bewegung“, wie in seinem Internetauftritt zu lesen ist.

Von einer ganzen Handvoll Initiativen kommen Menschen zu Wort. „Nach einem Krieg kann man wieder aufbauen“, sagt ein Dorfbewohner. „Aber mein Haus kann ich nicht mehr aufbauen, wenn es  zerstört ist. Da fehlt der Grund und Boden.“ Nicht einmal Landwirtschaft sei auf den zerstörten Böden später möglich, sagt der Filmemacher. In Sachsen sollen der 2014 beschlossenen Erweiterung des Tagebaus Nochten fünf Dörfer, beziehungsweise 1.600 Menschen weichen, erklärt er. Eine Aktivistin sieht in dem Zusammenhang ein generelles „Demokratiedefizit“ zu Tage treten: In Ausschüssen hätten die Betroffenen kein Rederecht, schriftliche Einwände würden nicht beantwortet. Das führe zu Frust. Der Pfarrer im brandenburgischen Atterwasch spricht von einer Häufung von Depressionsfällen bis hin zu Suizidgedanken. Viele Menschen hoffen demnach einfach, dass sie vor der Überbaggerung ihres Dorfes sterben.

Frust gibt es auch wegen gebrochener Versprechen auf Regierungsebene. Der damalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe verkündete einst, es würde kein Dorf mehr weggebaggert. 2007 beschloss die Landesregierung unter seinem Nachfolger Matthias Platzeck (wie Stolpe SPD) dann aber doch einen Kohleplan, der das Ende für 30 bis 40 Dörfer bedeutete, heißt es im Film. Die seit 2009 mitregierende Linke zieht sich dadurch aus der Affäre, dass sie sagt, es gebe wie versprochen keine neuen Tagebaue, sondern nur die Erweiterung bestehender.

„Auf der Kippe“ enthält Bilder vieler Protestaktionen, aber auch von Zerstörungen. Zu sehen ist die Umwandlung eines dschungelartigen Naturschutzgebiets mit „Märchensee“ in eine „Baumstumpfwüste“. Aber auch an Fachleuten mangelt es in dem Film nicht. So sagt ein Forscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dass die Ausweitung der Tagebaue nicht nur den Klimaschutzzielen der Bundesregierung, sondern auch der Energiestrategie Brandenburgs widerspreche. Er weist zudem darauf hin, dass die Braunkohleverstromung „auf ihrem heutigen Niveau nicht wirtschaftlich“ wäre, wenn ihre indirekten Kosten einbezogen würden, also alle Kosten für Gesundheitsschäden in der Bevölkerung und Umweltschäden.

Von der Erweiterung des brandenburgischen Tagebaus Welzow-Süd sind laut Film 800 Menschen betroffen, darunter die im Dorf Proschim. Dort kämpft unter anderen der CDU-Stadtverordnete Günter Jurischka gegen die Kohle-Lobby. Er berichtet im Film von der lokalen Energiewende: In Proschim werde nun mit Dachphotovoltaik, Windrädern und Gülle Energie produziert. 15 Megawatt seien installiert, an die 15.000 Haushalte könnten damit versorgt werden. Hingegen reiche die Kohle unter dem Dorf nur für ein halbes Jahr Kraftwerksbetrieb.

In Proschim findet in der Woche vor Pfingsten das Lausitzcamp statt. Das Programm ist noch nicht veröffentlicht, aber es ist „überraschenderweise bereits gefüllt“.

Von dort aus wird an Pfingsten die Blockade-Aktion „Ende Gelände“ stattfinden, zu der Menschen aus vielen Teilen Deutschlands und dem Ausland anreisen werden. Besetzungsaktionen gab es in der Region kürzlich bereits: am 5. März eine Baumbesetzung, die dann geräumt wurde, und am 4. April eine Besetzung im Tagebau Nochten.

Info-Veranstaltungen zu „Ende Gelände“ gab und gibt es in vielen Städten. Oft wurde und wird dabei „Auf der Kippe“ gezeigt. Der Film kann auch bestellt werden.Ralf Hutter

„Auf der Kippe“ läuft diesen Montag um 20 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs Marco Kühne und bei freiem Eintritt im Filmrauschpalast, Lehrter Str. 35 in Berlin-Moabit. Am Dienstag, den 26. April, läuft er um 19 Uhr in Verbindung mit einer Info-Veranstaltung zu „Ende Gelände“ beim „Biofilmabend“ an der Freien Universität Berlin, Königin-Luise-Str. 1-3 in Berlin-Dahlem. Weitere Termine in mehreren Teilen Deutschlands sind hier zu finden.


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Kommentare

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Peter 15.04.2016, 18:15:31

+231 Gut Antworten

Super!!! Zeigen wir der Kohlelobby wo Hammer und Schlegel hängen. Wir sind es unseren Kindern und Enkeln schuldig.

Schluss mit dem Raubbau an der Natur.

Keiner dieser "Arbeitsplätze" ist es wert , bezogen auf die Folgekosten für nachfolgende Generationen, erhalten zu werden.


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