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Kommunaler KlimanotstandKonstanz auf dem Weg zur Klimaneutralität

Luftaufnahme von Konstanz
Konstanz am Bodensee hat wenig Durchgangsverkehr und Industrie. Klimaneutral bis 2030 zu werden, ist dennoch eine Mammutaufgabe. (Foto: Holger Uwe Schmitt auf Wikimedia / CC BY-SA 4.0)

Seit der Ausrufung des Klimanotstandes ist einiges passiert in Konstanz. Neben vielen konkreten Maßnahmen ringt die Stadt um einen Weg zur Klimaneutralität. Doch was bedeutet das konkret und welche Hebel hat die Kommune selbst in der Hand?

21.04.2021 – Als erste Stadt Deutschlands rief Konstanz vor zwei Jahren den Klimanotstand aus und kämpft seitdem auf kommunaler Ebene gegen den Klimawandel. Zuvor hatten Metropolen wie Los Angeles, London oder Vancouver mit diesem symbolischen Zeichen weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt – ein Erfolg der internationalen Klimaschutzbewegung Fridays For Future. Auch in Konstanz hatten die Aktivisten Druck gemacht, beispielsweise kritisierten sie die langsame Gebäudesanierung in der Stadt. Der Konstanzer Gemeinderat beschloss mit der Ausrufung des Klimanotstands, bei allen Entscheidungen fortan die Auswirkungen auf Klima und Umwelt zu berücksichtigen und solche Lösungen zu bevorzugen, die sich positiv auf Klima, Umwelt und Artenschutz auswirken.

Zwei Jahre sind seitdem vergangen und das Anliegen und das Ringen darum lebendiger denn je. Als ersten Schritt hatte der Gemeinderat neben der Taskforce Klimaschutz das Vorhaben personell gestärkt und es damit in den Strukturen verankert – mit einer Stabsstelle für Klimaschutz, einer Mobilitätsmanagerin und einem Mitarbeiter für das Energiecontrolling im Gebäudebereich. Ein Expertenrat wurde etabliert, regionale Vernetzung vorangebracht und ein Klimabürgerrat nahm seine Arbeit auf. Letzterer vergibt Fördermittel für lokale Klimaschutzprojekte.

Klimaneutrale Stadt – was bedeutet das?

Im Sommer 2020 wurde ein neues Ziel hinzugefügt: Die Stadt Konstanz will schnellstmöglich Klimaneutralität erreichen. Klimaneutralität auf kommunaler Ebene – geht das überhaupt, welche Indikatoren zieht man heran und welchen Einfluss hat die Stadtpolitik darauf?

Zuvor war die Forderung der lokalen Fridays For Future Aktivisten nach einem klimapositiven Konstanz bis 2030 mit einer Stimme Mehrheit im Gemeinderat abgelehnt worden. Man wollte zunächst schauen, ob dieses Ziel realistisch erreichbar ist und wie es überhaupt definiert werden soll.

Die Stadt holte sich die Expertise des ifeu-Instituts ins Haus. Die Akteure mussten sich darüber verständigen, wie sie den Begriff der Klimaneutralität auslegen wollen. Eva Rechsteiner vom ifeu-Institut erläutert: „Es gibt viele Berechnungsmethoden, wie Klimaneutralität erreicht werden kann. Wir vom ifeu befürworten strenge Kriterien, die zum Beispiel eine Verrechnung mit Kompensationsmaßnahmen im globalen Süden ausschließen.“

Knapp die Hälfte der Emissionen kommt aus der Beheizung von Gebäuden

Die Experten des Instituts ermittelten in einer Bestandsanalyse allgemeine Voraussetzungen, aber auch Verbräuche und Emissionen der Stadt und ihrer Bürger. Der Endenergieverbrauch resultiert nahezu zur Hälfte (46 Prozent) aus dem Sektor private Haushalte, rund 30 Prozent fallen im Bereich Gewerbe, Handel und Dienstleistungen an.

Der Verkehr hat einen Anteil von 20 Prozent – dabei kann Konstanz davon profitieren, dass keine Autobahn durch die Stadt führt und es auch wenig Durchgangsverkehr gibt. Darüber hinaus ist die Binnenmobilität mit drei Vierteln aller Wege innerhalb des Stadtgebiets im Umweltverbund bereits vergleichsweise umweltfreundlich.

Das verarbeitende Gewerbe hat einen Anteil von vier Prozent am Endenergieverbrauch, kommunale Einrichtungen ein Prozent. Anhand dieser Verbräuche wurde eine Treibhausgasbilanz erstellt. Die Emissionen der einzelnen Sektoren entsprechen in etwa ihrem Anteil am Endenergieverbrauch, sind aber nicht damit identisch.

Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Der Gebäudebereich ist für fast die Hälfte der erfassten Treibhausgasemissionen in Konstanz verantwortlich. Damit spielen Maßnahmen, die auf eine Reduktion des Wärmebedarfs zielen und eine CO2-ärmere Wärmeversorgung garantieren, eine große Rolle. Gut ein Drittel der Emissionen kommt aus dem Stromverbrauch, der ebenfalls hauptsächlich in Gebäuden stattfindet. Maßnahmen, die den Stromverbrauch in Gewerbe und Haushalten senken und den Ausbau Erneuerbarer Energien fördern, leisten hier einen wichtigen Beitrag.

Wo die Stadt etwas bewirken kann

Nicht alle Emissionen sind durch die Stadt beeinflussbar. Deshalb hat das ifeu-Institut auch untersucht, wie viele Treibhausgasemissionen die Stadt tatsächlich durch kommunale Maßnahmen vermeiden kann. Beispielsweise kann sie zukünftige Verbräuche der städtischen Liegenschaften beeinflussen. Über die Beteiligung an kommunalen Unternehmen ergeben sich weitere Spielräume für Klimaschutzmaßnahmen. Weil die Stadtwerke zu 100 Prozent im Besitz der Kommune sind, kann auch die Nah- und Fernwärmeerzeugung direkt beeinflusst werden.

Insgesamt kann die Stadt nach Schätzung des ifeu-Instituts 20 bis 50 Prozent ihrer Emissionen aus dem Gebäudebereich ohne Verkehr direkt beeinflussen. Rechsteiner ordnet dieses Ergebnis ein: „Konstanz hat damit im Vergleich zu anderen Kommunen einen relativ großen Spielraum, weil es in der Stadt keine Industrie gibt und auch keine anderen großen Emissionsquellen, wie beispielsweise einen Flughafen, dessen Emissionen zwar in der Kommune anfallen, aber von ihr nicht beeinflusst werden können. Da stehen andere Städte vor ganz anderen Herausforderungen.“

Aber dieser Befund ist keine Hängematte. Gerade im Gebäudebereich gibt es mehrere Herausforderungen. Zum einen können auf kommunaler Ebene keine Vorgaben für Bestandsgebäude gemacht werden. Hier kann nur auf Anreize und Förderprogramme gesetzt werden. Aufklärung und der unbedingte Wille zum Anpacken aller Akteure sind für diese Aufgabe vonnöten. Für die städtischen Immobilien werden Sanierungskonzepte erarbeitet – aber auch das ist ein Prozess, der einen langen Atem braucht.

Mehr Vorgaben für Bestandsgebäude

Lorenz Heublein, Leiter der Stabsstelle Klimaschutz in Konstanz, sieht wichtige Stellschrauben auch auf übergeordneter Ebene und berichtet von einem Beispiel: „Wir hatten den Anliegern eines Neubauareals im Stadtgebiet die Anbindung an das dort errichtete und vergleichsweise klimafreundliche Wärmenetz angeboten. Das Angebot konnte sich preislich durchaus mit Stand-Alone-Alternativen messen. Dennoch hat sich eine Hauseigentümergemeinschaft stattdessen für eine neue Ölheizung entschieden, weil auch dies noch bis Ende 2025 erlaubt ist. Da konnte die Kommune wenig ausrichten.“

Mehr ordnungsrechtliche Vorgaben, die Gebäudeeigentümer verpflichten, die Häuser auf einen bestimmten Standard zu bringen, sieht Heublein als notwendig an. Er weiß aber auch, dass es dafür Finanzierungsinstrumente braucht, die das ermöglichen.

Ein Gebot der Fairness: Teure Maßnahmen jetzt anpacken

Mit gutem Beispiel vorangehen und bei den städtischen Immobilien eine hohe Sanierungsrate erreichen, ist das erklärte Ziel. „Doch auch da stoßen wir an unsere Grenzen“, sagt Heublein. Die Sanierung in Relation zur eingesparten Emission ist doch sehr teuer, zumindest wenn man sie ganzheitlich betrachtet. Beispielsweise ist teils eine Dachsanierung sinnvoll, bevor man eine Solaranlage aufs Dach montieren kann. Regenerative Wärme kann nur sinnvoll genutzt werden, wenn gut gedämmt ist. Und will man ein Gebäude dämmen, muss man viele andere Dinge auch angehen.

Heublein bringt einen anderen wichtigen Gedanken zum Ausdruck: „Wenn wir Klimaneutralität erreichen wollen, müssen wir auch die teuren Maßnahmen angehen. Im Sinne der Fairness und Generationengerechtigkeit sollten wir diese Punkte nicht auf die Zukunft verschieben.“

Sanierung braucht Handwerksbetriebe

Auf einen weiteren Aspekt macht Rechsteiner vom ifeu-Institut aufmerksam: das vorhandene Potenzial an Handwerksbetrieben mit entsprechendem Fachpersonal. „Da sind Engpässe überall in Deutschland sichtbar. Für Konstanz haben wir errechnet, dass eine jährliche Sanierungsquote von fünf Prozent notwendig ist. Das ist enorm viel. In der Region Konstanz gibt es rund 700 Handwerksbetriebe, die im Bereich Sanierung tätig sind, gebraucht würden deutlich mehr. Gleichzeitig gibt es innerhalb der Stadt wenig Flächen, wo sich Handwerksbetriebe ansiedeln könnten – auch hier eröffnet sich eine Aufgabe für die Kommune. Doch ohne zentrale Instrumente auf Bundesebene ist vieles nicht zu schaffen. Dazu gehört nach Meinung von Rechsteiner eine effektive CO2-Bepreisung, damit sich ein Heizungstausch viel schneller rechnet.

Den Individualverkehr halbieren

Neben dem Gebäudesektor ist der Verkehr eine große Quelle von Emissionen. Eine Halbierung des PKW-Verkehrs bis 2035 soll erreicht werden. Mobilität in Städten ist nach dem Thema Ernährung das emotionalste Feld der Auseinandersetzung, sagt Heublein. Letztlich muss der Individualverkehr eingeschränkt und gleichzeitig die Alternativen attraktiver gemacht werden. Bislang traut man sich nicht unbedingt, die vielen Flächen, die für den Autoverkehr in Benutzung sind, zugunsten anderer Fortbewegungsmittel einzuschränken.

Handlungsfelder sieht Heublein beim Quell- und Zielverkehr. Viele Touristen kommen mit dem Auto nach Konstanz, auch viele Einkaufstouristen aus der Schweiz. Diese Besucherströme sollten lieber bequem ohne Auto in die Stadt kommen können. Aber auch wenn sich die Konstanzer in andere Regionen aufmachen, könnten sie das öfter mit der Bahn tun. Auf die Bahnanbindung hat die Kommune aber wiederum nur wenig Einfluss.

Gleichzeitig steht der notwendigen Halbierung des Individualverkehrs eine Verdopplung der Angebote im öffentlichen Personennahverkehr gegenüber. „Diese Angebote können wir nur schaffen, wenn wir sie beispielsweise über eine Nahverkehrsabgabe finanzieren können. Dann zahlt nicht nur der einzelne Kunde seinen Anteil, sondern zum Beispiel die ganze Bevölkerung einer Region. Dafür sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch nicht vorhanden“, berichtet Heublein.

Klare Zwischenziele sind das Gebot der Stunde

Im Zwischenbericht des ifeu-Instituts wurden drei Szenarien für die Zukunft näher beleuchtet. Es zeigt sich, dass die Klimaziele 2050 nicht linear erreicht werden können. Je weiter die Anstrengungen und Maßnahmen in der Zukunft liegen, umso höher müssen sie sein – und damit umso schwieriger zu schaffen. Deshalb ist ein ambitioniertes Zwischenziel essenziell, um die Treibhausgase wirksam zu reduzieren.

Wir brauchen einen schnelleren Absenkungspfad“, sagt Rechsteiner. Das vorgeschlagene Szenario Klima-Plus enthält Maßnahmen, die für Rechsteiner eine echte Mammutaufgabe darstellen: „Die notwendigen fünf Prozent Sanierungsrate und die notwendige Halbierung des PKW-Verkehrs sind wirklich harte Nüsse, die zu knacken sind. Wir haben den Anspruch, reale und umsetzbare Szenarien vorzuschlagen, mit diesem Szenario kommen wir schon an die Grenzen des Machbaren.“

Andererseits gehe es ohne die Orientierung an anspruchsvollen Zwischenzielen nicht, denn sonst werde immer alles verschoben. Die vorgezogene Zielsetzung ist für das Erreichen des Pariser Klimaabkommens unabdingbar: Sie erhöht den Umsetzungsdruck und lässt vieles konkreter werden. Mitte März hat der Gemeinderat einstimmig das Szenario Klima Plus als Grundlage seines Handelns in Sachen Klimaschutz angenommen. Bis 2035 will Konstanz weitgehende Klimaneutralität erreichen.

Dass die Kommune das nur gemeinsam mit allen Bürgerinnen und Bürgern schaffen kann, sagt sich leicht dahin, ist aber essenziell. In kurzer Zeit wird es zu enormen Veränderungen kommen, die von den Menschen mitgetragen und mitgestaltet werden müssen. (Petra Franke)


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