Umweltbelastung durch Agrarwirtschaft: Regierung schafft Stoffstrombilanz ab

Mit einer sogenannten Stoffstrombilanz müssen Agrarbetriebe transparent machen, welche Nährstoffe sie nutzen und in die Umwelt leiten. Nun hat das Bundeskabinett die Verordnung gekippt. Ein ökologisch unverantwortlicher Schritt, kritisieren Verbände.
27.06.2025 – Das Bundeskabinett hat auf Vorlage von Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) die 2018 eingeführte Stoffstrombilanzverordnung aufgehoben. In einer Stoffstrombilanz wird dokumentiert, welche Nährstoffmengen Agrarbetriebe verarbeiten, die so etwa über Düngung und Futtermittel in die Umwelt gelangen. Ziel ist, die Ursachen von Nährstoffüberschüssen in Umwelt und Trinkwasser transparent zu machen und zu vermeiden, besonders von Phosphor und Nitrat.
Nährstoffüberschüsse begrenzen
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), mehrere Umweltverbände und der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) kritisieren die Aufhebung als Rückschritt beim Monitoring der Umweltbelastung durch Nährstoffüberschüsse. Überdüngung und Massentierhaltung gelten etwa als Hauptursache für durch Nitrat und Phosphor belastetes Trinkwasser. Bei einem Viertel der Nitratmessstellen in Deutschland wurden zwischen 2020 und 2022 überhöhte Nitratwerte im Grundwasser festgestellt. Auf Grundlage der Daten aus Stoffstrombilanzen können Maßnahmen ergriffen werden, um die Belastung zu reduzieren.
Die Grenzwerte sind auch EU-rechtlich festgelegt. In der Vergangenheit hatte die EU bereits ein Verfahren gegen Deutschland wegen überhöhter Nitratwerte eingeleitet, das 2023 nach einem Jahrzehnt eingestellt wurde. Grund waren Verbesserungen im Düngerecht, unter anderen auch die Stoffstrombilanzverordnung.
„Die Abschaffung der Stoffstrombilanz ist ökologisch unverantwortlich. Statt ein wichtiges Instrument zur Kontrolle und Begrenzung von Nährstoffüberschüssen weiterzuentwickeln, wird es nun ersatzlos gestrichen – und das aus rein politischem Kalkül. Damit verschenkt die Bundesregierung eine zentrale Möglichkeit, Nährstoffüberschüsse wirksam zu begrenzen“, kritisiert NABU-Agrarexpertin Cäcilia von Hagenow. „Ambitionierte Betriebe, die sparsam düngen, werden weiterhin benachteiligt, während diejenigen, die überdüngen, auch künftig nicht zur Verantwortung gezogen werden. So geht keine verursachergerechte Agrarpolitik. Dieses Wahlversprechen geht an den realen Problemen in der Landwirtschaft und im Gewässerschutz komplett vorbei.“
Bürokratie abbauen, aber wo
Ende vergangenen Jahres hatten Agrarverbände verstärkt die Abschaffung der Verordnung gefordert. Mit der Aufhebung sollen Bürokratie abgebaut und Agrarbetriebe entlastet werden. Experten kritisieren jedoch, dass ohne die Stoffstrombilanz wichtige Daten verloren gehen, während das eigentlich reformbedürftige ‚Bürokratiemonster‘, die Gülleverordnung, nicht angetastet wird.
„Die Aufhebung der Stoffstrombilanzierung kommt faktisch einem Rückfall in die Gesetzlosigkeit im Bereich der Düngung gleich“, sagt Klaus Dittert Professor und Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen, und wissenschaftlicher Leiter des Institute of Applied Plant Nutrition (IAPN), Göttingen. „Unter großem Aufwand ist über mehrere Jahre ein Monitoring- und Kontrollsystem entwickelt und eingesetzt worden, welches den Betrieben, der Agrarverwaltung und der Agrarpolitik wertvolle Daten zur Verfügung stellt. Sie haben erheblich dazu beigetragen, Probleme der Überdüngung zu mindern.“ Trotz Klagen aus der Landwirtschaft sei festzuhalten, dass der Erfüllungsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehe. „Alle Parteien und Akteure Deutschlands fordern, dass im Zusammenhang mit der Überdüngung das Verursacherprinzip höchste Priorität haben muss. Bisher gibt es keine Alternativen zur Stoffstrombilanzierung, denn sie bietet ein Maximum an Verursachergerechtigkeit und durch Nachweisführung einen sehr guten Schutz gegen Missbrauch.“
Dabei ist der Bürokratieabbau in der Agrarwirtschaft durchaus notwendig. „Es gibt in vielen Bereichen der Landwirtschaft eine Überregulierung, die der Landwirtschaft nicht nur unnötige Bürokratie aufbürdet, sondern in einer Weise in die Betriebe eingreift, die der Unterschiedlichkeit der betrieblichen, standörtlichen und auch witterungsbedingten Gegebenheiten nicht gerecht wird und teilweise sogar kontraproduktiv wirkt“, greift Alfons Balmann, Professor und Direktor des IAMO und Leiter der Abteilung Strukturwandel, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle an der Saale auf. In diese Kategorie von Bürokratie falle die Stoffstrombilanzierung jedoch gerade nicht. Weder stelle sie Betriebe vor besondere bürokratische Herausforderungen, noch greife sie in überzogener Weise in die betrieblichen Prozesse ein.
Am Parlament vorbei
Die Kritik richtet sich auch gegen die Ministerverordnung, mit der die Stoffstrombilanz abgeschafft werden soll. Diese ermöglicht eine Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung ohne parlamentarische Beteiligung.
"Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang, dass Landwirtschaftsminister Rainer seinen hoch umstrittenen Erlass zur ersatzlosen Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung einfach ohne jede parlamentarische Beteiligung auf den Weg bringen möchte“, sagt Irene Mihalic, MdP und Erste Parlamentarische Geschäftsführerin, der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie fordert die Bundesregierung auf, die parlamentarische Beteiligung zu ermöglichen. jb