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Nord Stream 2Fehlende rechtliche Grundlage?

Schiff mit Aufschrift Nord Stream
Nach der Gas-Pipeline Nord Stream 1 droht nun mit Nord Stream 2 ein parallel verlaufendes Gasnetz zusätzlich in Betrieb genommen zu werden. (Bild: Pjotr Mahhonin, WikiCommons, CC BY-SA 4.0)   

Laut EU-Recht darf der Gaslieferant Gazprom keine Pipelines selbst betreiben. Die Nord Stream 2 AG versucht sich nun als unabhängiger Netzbetreiber zertifizieren zu lassen. Das könnte scheitern. Und das nicht nur weil die AG faktisch Gazprom gehört.

28.10.2021 – Im Juni wurde die letzte Röhre verlegt, im September wurde vermeldet, dass der Bau von Nord Stream 2 abgeschlossen sei. Zwar hat der Betreiber, die Nord Stream 2 AG, bereits Gas in die Leitungen gefüllt und kündigte an, sofort mit den Gaslieferungen beginnen zu können, doch dem steht noch das EU-Recht und ein Zertifizierungsverfahren im Weg.

Laut Energierichtlinie der Europäischen Union darf der Gaslieferant, in diesem Fall der russische Energiekonzern Gazprom, nicht identisch sein mit dem Betreiber der Pipeline. Das gilt auch für Gasleitungen, die außerhalb Europas ihren Ursprung haben, aber durch europäisches Hoheitsgebiet verlaufen. Darüber hinaus muss die Pipeline grundsätzlich mehreren Gaslieferanten zur Verfügung stehen und Netzbetrieb und -entgelte transparent sein. Deutschland setzte die Richtline im Mai 2019 in deutsches Recht um.

Und da die Pipeline bis zu diesem Zeitpunkt nicht fertiggestellt war, fällt auch das Nord Stream 2 Projekt unter diese Richtlinie – so urteilte ebenfalls das Oberlandesgericht Düsseldorf im August. Die Nord Stream 2 AG hatte argumentiert, dass die Pipeline bis Mai 2019 im wirtschaftlichen Sinne fertiggestellt worden sei und legte Beschwerde gegen die Bundesnetzagentur ein. Diese hatte angekündigt, die Gasleitung nach europäischem und deutschen Recht zu behandeln, da die Leitung im Baulich-technischen Sinne noch nicht fertiggestellt war. Das Oberlandesgericht gab der Bundesnetzagentur recht.

Teil des Gazprom-Imperiums

Die Nord Stream 2 AG stellte daraufhin bei der Bundesnetzagentur den Antrag als unabhängiger Netzbetreiber zertifiziert zu werden – was Voraussetzung für einen europarechtskonformen Betrieb wäre. Doch faktisch ist die Nord Stream 2 AG Teil des Gazprom-Imperiums. Bei der Gründung der Projektgesellschaft 2015 hielt Gazprom zunächst 50 Prozent des Unternehmens. Jeweils 10 Prozent hielten BASF/Wintershall, Engie, Uniper, Shell und OMV – also Firmen aus Deutschland, Österreich und Frankreich. Bereits ein Jahr später jedoch zogen sich die westeuropäischen Energiekonzerne zurück. Daraufhin gründete Gazprom die Tochtergesellschaft Gazprom Gerosgaz Holdings mit Sitz in den Niederlanden. Diese hält alle Anteile an der Nord Stream 2 AG.

Die Verflechtung zwischen Gaslieferant und möglichem Netzbetreiber ist damit offensichtlich. Trotzdem hat die Bundesnetzagentur den Antrag der Nord Stream 2 AG angenommen und prüft eine Zertifizierung als unabhängiger Netzbetreiber. Anfang kommenden Jahres soll eine Entscheidung fallen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) weist jedoch darauf hin, dass schon für das Zertifizierungsverfahren die rechtliche Grundlage fehle.

Eine rechtliche Analyse im Auftrag der DUH kommt zu dem Ergebnis, dass die Fristen für eine Beantragung der Zertifizierung gemäß Energiewirtschaftsgesetz bereits seit mehreren Jahren abgelaufen seien. Diese seien gemäß dem Wortlaut der Paragraphen 2012 beziehungsweise 2013 abgelaufen. Die Bundesnetzagentur erklärte gegenüber der DUH, dass in diesem Fall eine Auslegung der gesetzlichen Fristenregelungen erforderlich sei. Werde der Betrieb eines Transportnetzes erst nach dem Stichtag aufgenommen, könne und müsse die Antragsfrist nicht eingehalten werden, so die Bundesnetzagentur.

Doch Rechtsanwältin Cornelia Ziehm, die das Gutachten für die DUH erstellt hat, erklärt ein solches Vorgehen nur für zulässig, „wenn die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in Rede steht“. Doch der Wortlaut der gesetzlichen Fristbestimmungen sei klar. Es bestehe kein Raum für unmissverständliche Regelungen. Die Überprüfung auf Unabhängigkeit müsse unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen erfolgen.

Wie wird eine neue Regierung vorgehen?

Solange es keine Änderung der Fristen gebe, müsse das Verfahren zur Zertifizierung von Nord Stream 2 eingestellt werden, fordert Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz der DUH. Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium hatte in den vergangenen Jahren nichts unternommen, Änderungsvorschläge für die Fristen im Energiewirtschaftsgesetz vorzulegen. Die DUH kritisiert, dass das BMWi das Verfahren trotz fehlender Rechtsgrundlage nun vorantreibt.

„Offenbar soll die Phase der Bildung einer neuen Regierung genutzt werden, um still und heimlich Fakten zu schaffen und die Zertifizierung auch ohne rechtliche Grundlage abzuschließen“, vermutet Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH. Zerger und Müller-Kraenner appellieren an die neue Bundesregierung, die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 gänzlich zu stoppen. Bündnis 90/Die Grünen und die FDP sprachen sich in der Vergangenheit wiederholt gegen das Projekt Nord Stream 2 aus und forderten ein Moratorium. Sie sind auch der Auffassung, dass Russland aktuell mit weniger Gaslieferungen aus anderen Pipelines Druck auf die EU ausüben will, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen.

Die SPD hingegen setzt sich seit Jahren für die Inbetriebnahme der Pipeline ein, zuvorderst Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die sich durch die Pipeline wirtschaftliche Vorteile für ihr Bundesland erhofft, sowie Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, wichtigster Lobbyist russischer Gasinteressen und noch immer gut vernetzt in seiner Partei. Und bislang scheint die SPD ihre Interessen durchsetzen zu können. Im Sondierungspapier für eine mögliche Ampelkoalition wird Nord Stream 2 nicht erwähnt. Es scheint als werde erstmal das Zertifizierungsverfahren der Bundesnetzagentur abgewartet. mf


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