EU-Mercosur: Freihandelsabkommen wieder auf dem Tisch
Die EU treibt erneut einen Abschluss des Freihandelsabkommens mit Südamerika voran. Zuletzt hatten Klima- und Umweltschutzfragen eine Einigung verhindert. Drohende Zölle in Amerika bringen das Mercosur-Abkommen nun trotzdem wieder auf den Tisch.
02.12.2024 – Die EU treibt das umstrittene Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten nach einer Pause erneut voran. Europäische Unternehmen erhoffen sich einen größeren Markt, auch vor dem Hintergrund möglicher Handelseinschränkungen mit Amerika. Gegenwind kommt derzeit vor allem aus der Landwirtschaft, und auch NGOs bekräftigen erneut ihre Kritik.
Europas Landwirte fürchten Nachteile
Europäische Bauern befürchten Nachteile gegenüber südamerikanischen Produkten. Sowohl Tierschutzregelungen als auch Pestizid- und Anbauauflagen seien in großen Teilen Südamerikas weniger streng und damit günstiger. In Frankreich demonstrierten Bauern deshalb erneut in Straßburg.
Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, fordert, das Mercosur-Abkommen zu stoppen und grundsätzlich neu zu verhandeln. „Das Mercosur-Abkommen würde – anders als bei anderen Handelsabkommen – dazu führen, dass die heimische Erzeugung durch Agrarimporte zu Standards aus dem vergangenen Jahrhundert verdrängt wird, zum Nachteil von Verbrauchern, Landwirten, Tieren, Umwelt und Klima“, kritisiert er. Die EU-Landwirtschaft könne nur bestehen, wenn Instrumente und Mechanismen entwickelt werden, mit denen die Unterschiede zwischen internationalen und europäischen Umwelt-, Klima- und Tierwohlstandards ausgeglichen würden. Zwingend erforderlich sei es daher, den Agrarteil des Mercosur-Abkommens neu zu verhandeln und die hohen europäischen Standards darin zu verankern.
Zwar soll der Markt für Agrarprodukte nicht vollständig liberalisiert werden, sondern sieht Quoten für empfindliche Produkte wie Rindfleisch, Geflügel Zucker und Ethanol vor. Mögliche Probleme in diesem Bereich erkennt die EU allerdings an. In Reaktion auf die aktuellen Proteste hat die EU-Kommission einen Fond vorgeschlagen, mit dem Landwirte für negative Auswirkungen des Abkommens kompensiert werden könnten.
Menschenrechte, Tier-, Umwelt- und Klimaschutz verankern
Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen aus Lateinamerika und der EU kritisiert das Mercosur-Abkommen auch über den landwirtschaftlichen Teil hinaus. Eine Ausweitung des Handels mit Agrarprodukten und Rohstoffen fördere die Entwaldung im Amazonas und heize die Klimakrise an, heißt es in einem gemeinsamen Statement von nahezu 400 Klima-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, wie urgewald, Oxfam und PowerShift. Das Abkommen sieht Handelserleichterungen für Bergbau, Fleischproduktion und den fossilen Individualverkehr vor, weswegen Greenpeace es in der Vergangenheit auch als „Autos-gegen-Fleisch-Deal“ bezeichnet hat. Das aktuell von der EU vorgeschlagene Zusatzprotokoll gehe nicht ausreichend auf die in einer Resolution des Europäischen Parlaments 2020 hervorgehobenen Umwelt- und Nachhaltigkeitsprobleme ein. Ein Rechtsgutachten der Umweltorganisation Greenpeace hält es für unvereinbar mit geltendem EU- und internationalem Recht, da es zum Anstieg von CO2-Emissionen und Regenwald-Zerstörung führen würde.
„Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein Gift für die Biodiversität und die ländlichen Gemeinschaften im Mercosur. Es wird die Exporte von toxischen Pestiziden aus Europa in die Mercosur-Länder ankurbeln, einschließlich Chemikalien, die in der EU tatsächlich verboten sind. Dieses Abkommen verschärft soziale und ökologische Ungleichheiten, fördert Abholzung, beschleunigt die Klimakrise und verletzt Menschenrechte“, sagt Francisco Vladimir Silva von Jubileo Sul Brasil und der Frente Brasileira contra o acordo UE-Mercosur.
Das Bündnis kritisiert weiter den intransparenten Aushandlungsprozess über die Konditionen des Abkommens, an dem keine Vertreter der Zivilgesellschaft bzw. betroffener Gruppen teilnehmen durften. Auch der eigene europäische Bürgerbeauftragte der EU habe das Vorgehen kritisiert. Sie unterstreichen zudem die Gefahr eines derartigen Handelsabkommens mit Staaten wie Argentinien und Paraguay, deren Regierungen die Klimakrise leugnen. Die unterzeichnenden Gruppen fordern das Ende des “toxischen Abkommens“ und einen Handel, der Menschenrechte, Umwelt und Klima berücksichtigt.
Eine andere Tür öffnen
Das Abkommen liegt seit Trumps Wahlsieg Anfang November wieder auf dem Tisch. Trump hatte wiederholt die Absicht geäußert, hohe Zölle gegen u.a. Produkte aus Südamerika und möglicherweise auch der EU zu verhängen. Auf dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro berieten die EU und die Mercosur-Staaten nun erneut darüber, das Abkommen zu verabschieden – wohl auch, um möglicherweise wegbrechende Absatzmärkte in den USA auszugleichen.
Das EU-Mercosur-Abkommen wurde zuvor bereits über mehr als zwei Jahrzehnte verhandelt. Mit dem Abkommen soll mit über 770 Millionen Einwohnern die größte Freihandelszone der Welt geschaffen werden. Nachdem es 2019 kurz vor dem Abschluss stand, verzögerten Uneinigkeiten über Umwelt- und Nachhaltigkeitsauflagen die Verhandlungen auf den letzten Metern. Hintergrund war ein Versuch der EU, Regeln zu Klimaschutz, ein Entwaldungsverbot und die Wahrung der Rechte indigener Völker zu sichern.
Die Mercosur-Länder sind Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Sie gehören zu den größten Absatzmärkten der deutschen und europäischen Wirtschaft. Bereits jetzt beträgt das Handelsvolumen zwischen den beiden Gebieten etwa 88 Milliarden Euro. Die EU erwartet durch das Abkommen eine Ausweitung des Handelsvolumens um bis zu 30 Prozent. Durch niedrigere oder wegfallende Handelsbeschränkungen könnten in diesem Fall auf europäischer Seite rund vier Milliarden Euro an Zöllen gespart werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Brasiliens Präsident Lula bekräftigten öffentlich ihre Absicht, das Abkommen voranzutreiben. Frankreich und Polen stellen sich dagegen, und hinter ihre protestierenden Landwirte. jb