Energieforschung: Kernfusion ist für die Energiewende irrelevant

Ein konkreter Pfad zur energetischen Nutzung von Kernfusion ist laut einer neuen DIW-Studie auch nach Jahrzehnten der Forschung nicht erkennbar. Dennoch treiben privat kofinanzierte Unternehmen mit hohen Investitionen die Forschung weiter an.
31.03.2025 – Eine kommerzielle Nutzung von Kernfusion zur Energieerzeugung ist derzeit nicht absehbar – denn trotz einzelner technologischer Fortschritte blieben fundamentale Herausforderungen ungelöst, so die zentralen Ergebnisse einer Analyse der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Gleichzeitig sei jedoch eine neue Dynamik in der Forschung erkennbar, insbesondere durch verstärktes privates Engagement. „Aus energiewirtschaftlicher Perspektive ist die Kernfusion heute von einer kommerziellen Nutzung genauso weit entfernt wie in den 1950er Jahren, als die Entwicklung für zivile Zwecke anlief“, sagt Studienautor Christian von Hirschhausen. „Für die Energiewende ist sie damit irrelevant.“
Jahrzehnte voller Erwartungen, aber keine Marktreife
Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts gilt die Kernfusion als vielversprechende Energiequelle der Zukunft. Zahlreiche Prognosen versprachen eine Marktreife innerhalb weniger Jahrzehnte – eine Erwartung, die allerdings bis heute nicht erfüllt wurde, heißt es in der Analyse. Ein zentrales Beispiel dafür sei das internationale Pilotprojekt ITER, ein Versuchs-Kernfusionsreaktor zur Grundlagenforschung in Frankreich, an dem 33 Länder beteiligt sind und dessen Zeitplan sich seit den 1980er Jahren kontinuierlich verzögert.
Ursprünglich war ein Demonstrationsreaktor für die 2020er Jahre geplant, inzwischen werde die Inbetriebnahme nicht vor der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts erwartet. Auch die Kostensteigerungen sind immens, konstatieren die Studienautoren. Wurde zunächst mit rund fünf Milliarden Euro kalkuliert, sei jetzt teilweise von mehr als 50 Milliarden Euro die Rede.
Analyse zeigt anhaltende Unsicherheiten
Die DIW-Studie analysiert umfangreiche wissenschaftliche Prognosen zur wirtschaftlichen Nutzung der Kernfusion. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die geschätzte Zeit bis zur kommerziellen energetischen Nutzung konstant zwischen 20 und 40 Jahren liegt – unabhängig vom Zeitpunkt der jeweiligen Vorhersage. „Man könnte auch von einer 'Fusionskonstante' sprechen: Die Zeit bis zur Marktreife verschiebt sich kontinuierlich in die Zukunft“, erklärt Studienautor Alexander Wimmers.
Private Kofinanzierungen treiben Innovationen voran
Andererseits habe sich in der Forschung zur Kernfusion seit einigen Jahren eine neue Dynamik entwickelt, getragen von privat kofinanzierten Unternehmen und der Zusammenarbeit privater Akteure mit öffentlichen Pilotprojekten, beobachten es die Wissenschaftler. Demnach flossen in den vergangenen zehn Jahren zweistellige Milliardenbeträge in etwa 80 private kleine und mittelgroße Unternehmen der Branche. Diese Unternehmen setzten auf innovative Ansätze, beispielsweise leistungsfähigere Magnetspulen und Lasertechnologien. Allerdings stehe auch hier die energetische Nutzung der Kernfusion nicht im Mittelpunkt. Die Entwicklung könnte der Analyse zufolge die Akteurslandschaft verändern sowie bestehende Forschungsstrukturen infrage stellen.
Vor diesem Hintergrund sprechen sich die Studienautor:innen dafür aus, die öffentliche Forschungsförderung anzupassen und Forschungskapazitäten, die bisher eher in der Grundlagenforschung lagen, in die angewandte Forschung zu verschieben. „Kernfusion bleibt ein langfristiges Forschungsprojekt ohne Perspektiven für die kommerzielle Energienutzung“, resümiert Studienautorin Claudia Kemfert. „Anstatt weiter unrealistische Hoffnungen auf eine baldige Marktreife der Kernfusion zu setzen und Milliarden in hypothetische Fusionskraftwerke zu investieren, sollte der Fokus auf anwendungsorientierte Forschung gelenkt werden.“ na
Kommentare
Peter Müller vor 3 Wochen
China steht kurz vor Baubeginn für das erste Fusionskraftwerk, melden andere Medien. Der Reaktor soll einen sogenannten Q-Wert von über 30 erreichen. Deutschland macht lieber Studien, dass es nicht geht.