Stahlindustrie: Klimaschädliches Koks unter dem Radar

Kohle für die Stahlindustrie wird in Sachen Klimaschutz bislang wenig Beachtung geschenkt. Unternehmen erhalten für sogenannte Met-Kohle ausreichend Kredite und Versicherungsschutz. Das soll sich mit einer neuen Datenbank ändern.
23.01.2025 – Es ist der Teil der Kohleindustrie, der in Sachen Klimaschutz bislang unter dem Radar lief: die metallurgische Kohle – kurz Met-Kohle – besser bekannt als Hüttenkohle. Sie ist eine Unterart von Kohle und besitzt im Gegensatz zur thermischen Kraftwerkskohle die Eigenschaft der Backfähigkeit. So kann die Kohle in Koks umgewandelt und als Reduktionsmittel zur Produktion von Eisen in Hochöfen eingesetzt werden. Lange galt die Stahlindustrie als schwer zu dekarbonisierender Zweig. Und ist trotzdem ein wichtiger Pfeiler der Energiewende, etwa zur Produktion von Windkrafträdern. Inzwischen aber gibt es Alternativen zu Koks. Aus Erneuerbaren Energien hergestellter grüner Wasserstoff gilt als naheliegende und bereits erprobte Lösung. Weitere Möglichkeiten werden erforscht. Dem Think-Tank Agora Industry zufolge ist ein Ausstieg aus der Kohle im Stahlsektor bis Anfang der 2040er Jahre technisch machbar.
Doch bei der Finanzindustrie scheint die industrielle Energiewende noch nicht angekommen zu sein. Während Finanzinstitute für Kraftwerkskohle immer stärkere Regularien einführen, diese teilweise inzwischen vollständig meiden und damit Unternehmen keine Kredite und Versicherungen auf entsprechende Minen und Kraftwerke erhalten, ist dies bei Met-Kohle noch nicht der Fall. Die Finanzwirtschaft hält dafür bislang den Geldbeutel offen.
Lia Wagner, Finanzexpertin bei der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald, konstatiert: „Während es inzwischen zahlreiche interne Investmentrichtlinien zu thermischer Kohle gibt, fehlen solche Vorgaben für metallurgische Kohle fast vollständig. Aufgrund der mangelnden Aufmerksamkeit für das Thema in der Bevölkerung gibt es auch nur ein geringes Reputationsrisiko für Finanzinstitutionen, die noch immer Geschäfte mit dem Met-Kohle-Sektor machen.“
Wagner verweist auf Daten der Partnerorganisation Reclaim Finance, wonach von 386 großen Finanzinstitutionen, 183 Richtlinien zur Einschränkung von Finanzgeschäften bei der Kraftwerkskohle haben, aber nur 16 vergleichbare Richtlinien für metallurgische Kohle. Die meisten Richtlinien würden auf die Einschränkung direkter Projektfinanzierung abzielen. Untersuchungen von Reclaim Finance zeigen jedoch, dass Projektfinanzierung nur einen winzigen Teil der Gesamtfinanzierung von Unternehmen ausmacht, die im Bereich Met-Kohle expandieren.
Einziger echter Lichtblick: der Schweizer Versicherer Zurich, der sowohl neue metallurgische Kohleminen ausschließt als auch Unternehmen, die sie entwickeln. „Es gibt heute keinen Grund, warum metallurgische Kohle anders eingestuft werden sollte als Kraftwerkskohle. Aus Klimasicht ist jede Kohle schädlich, unabhängig davon, ob sie im Stahlwerk oder im Kraftwerk verbrannt wird“, sagt Cynthia Rocamora, Finanz-Campaignerin bei Reclaim Finance. Zwar wird bei der Verbrennung von Braunkohle mehr CO2 freigesetzt als bei Steinkohle (als Basis für die Koksproduktion), doch dafür kommt Met-Kohle oft in tieferen Gesteinsschichten vor und setzt daher bei der Förderung mehr Methan frei. Zudem wird auch nur ein Teil der Steinkohle als Met-Kohle klassifiziert. Steinkohle wird genauso als Kraftwerkskohle verwendet wie Braunkohle. Nach Angaben von urgewald und mit Verweis auf einen Bericht des Think Tank Global Efficency Intelligence, ist die Nutzung der Kohle durch die Eisen- und Stahlindustrie für 11 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
Eine neue Liste für die Finanzindustrie
Vor diesem Hintergrund hat urgewald gemeinsam mit 10 Partnerorganisationen heute die erste Metallurgical Coal Exit List (MCEL) veröffentlicht. Es ist eine öffentliche Datenbank von Unternehmen, die den Abbau von Kohle, die zur Stahlerzeugung genutzt wird, ausweiten wollen. Im Portfolio von Urgewald und Partnerorganisationen sind bereits die Global Coal Exit List (GCEL) und die Global Oil and Gas-Exit List (GOGEL), die von Finanzinstituten, wie Banken, Versicherern und Investmentfirmen, genutzt wird, um Kohle, Öl und Gasinvestments aus ihren Portfolios auszuschließen.
Im Rahmen der Recherche zur MCEL haben urgewald und Partnerorganisationen 160 Bergbauunternehmen identifiziert, die in 18 Ländern weltweit insgesamt 252 Projekte zur Erweiterung ihrer Förderung vorantreiben. Aus diesen geplanten neuen oder erweiterten Minen würde die jährliche Produktion bei 551 Millionen Tonnen pro Jahr liegen. Dies würde die derzeitige Weltproduktion von Met-Kohle um 50 Prozent erhöhen. Dabei würde die weltweite Produktion schon jetzt die Nachfrage um 37 Prozent übersteigen, so urgewald mit Verweis auf Zahlen des Industrieverband Critical Raw Material Alliance.
Es sind vor allem Unternehmen aus China, Russland, Australien und Indien die den Ausbau von Met-Kohle-Minen vorantreiben. Mit Blick auf die Unternehmen selbst, stechen die russische A-Property Holding JSC, Coal India und die australische BM Alliance Coal Operations Pty Ltd als wichtigste Entwickler von Met-Kohle-Minen weltweit hervor.
Auch europäische Unternehmen mischen im Met-Kohle-Markt mit. Es sind vor allem die britische Anglo American PLC und die schweizerische Glencore PLC, die den Abbau von Kokskohle vorantreiben. Ebenso das polnische Unternehmen Jastrzebska Spolka Weglowa SA, das wahrscheinlich für das massive Fischsterben in der Oder im Sommer 2022 maßgeblich verantwortlich war, indem es verunreinigte Abwässer aus ihrem Bergbau in einen Nebenfluss der Oder einleitete. Das deutsche Unternehmen HMS Bergbau ist ebenfalls unter den größten Entwicklern neuer Met-Kohle-Minen in Europa und will, nach Recherchen der NGOs, eine Abbaugenehmigung über 1,5 Millionen Tonnen Kokskohle pro Jahr im schlesischen Kohlerevier Polens beantragen.
„Viele Kraftwerkskohleproduzenten versuchen, ihr schmutziges Image in der Öffentlichkeit aufzupolieren und den Zugang zu Finanzmitteln zu erhalten, indem sie mehr Met-Kohle in ihr Portfolio aufnehmen“, so Lia Wagner. Ein Paradebeispiel dafür, sei das australische Unternehmen Whitehaven Coal, dessen Kraftwerkskohleproduktion im vergangenen Jahr 95 Prozent seiner Einnahmen ausmachte. Immer mehr Versicherer meiden jedoch Kraftwerkskohle-Unternehmen, daher hatte Whitehaven Schwierigkeiten seine Aktivitäten zu versichern. Mit der Übernahme mehrerer Met-Kohle-Minen aber macht das Geschäft mit metallurgischer Kohle inzwischen mehr als die Hälfte der Kohleeinnahmen aus. Die Nachrichtenagentur Bloomberg zitierte vergangenen Oktober einen Sprecher von Whitehaven, wonach die Diversifizierung wieder einen ausreichenden Versicherungsschutz gewährleistet hätte. Manuel Grisard