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GOGEL 2025Öl- und Gasindustrie expandiert ungebremst

Bau einer neuen Gasleitung
Öl- und Gaskonzerne erweitern ihre Förderung – auch mitten im Amazonasgebiet (Bild: Getty Images / Unsplash+ Lizenz).

Öl- und Gaskonzerne bauen ihre Förderung aus. Europa will klimaneutral werden und plant gleichzeitig neue Gaskraftwerke. Milliarden fließen in neue Öl- und Gasfelder, während das Fenster für das 1,5-Grad-Ziel schrumpft.

04.11.2025 – Keinen Schritt in Richtung fossiler Ausstieg: Kurzfristige Expansionspläne der Öl- und Gasindustrie zeigen, dass ein Drittel mehr Fossile gefördert werden sollen als 2021 – dem Jahr als die Internationale Energieagentur feststellte, dass keine neuen Öl- und Gasfelder erschlossen werden dürfen, wenn die Pariser Klimaziele Realität werden sollen. Das zeigt die Global Oil & Gas Exit List (GOGEL) 2025 von urgewald, die mit mehr als 1.800 Unternehmen umfangreichste öffentliche Datenbank zu Aktivitäten der globalen Öl- und Gasindustrie.

„Öl- und Gasunternehmen behandeln das Pariser Klimaabkommen wie eine höfliche Empfehlung – nicht wie einen Überlebensplan“, sagt Nils Bartsch, Leiter der Öl- und Gasrecherche bei urgewald. „Mit kurzfristigen Expansionsplänen im Umfang von 256 Milliarden Barrel Öläquivalent kann von einer Dekarbonisierung keinerlei Rede sein – das ist Verweigerung. Die Branche rast mit Vollgas auf den Klimakollaps zu.“

Weder Klimaabkommen und noch der auf der COP28 in Dubai vereinbarte Fossilausstieg hatten bisher einen dämpfenden Effekt auf die expandieren Öl- und Gasunternehmen. Gemeinsam die untersuchten Unternehmen in den vergangen drei Jahren durchschnittlich 60,3 Milliarden US-Dollar für die Suche nach neuen Öl- und Gasvorkommen ausgegeben. Jährlich investieren die chinesischen Staatskonzerne China National Petroleum Corporation (CNPC) und Sinopec am meisten in Öl- und Gasexploration. Auf der Liste der Top 20 finden sich zudem die europäischen Fossilriesen Shell (Platz 6), BP (Platz 7), Eni (Platz 11), Equinor (Platz 12) und TotalEnergies (Platz 16) – und auch der brasilianische Staatskonzern Petrobas (Platz 15).

Klimavorreiter Brasilien weitet Öl- und Gasförderung im Amazonas-Gebiet aus

Brasilien hatte sich seit der Wiederwahl von Präsident Lula eigentlich den Schutz des Regenwalds und eine konstruktive Klimapolitik auf die Fahnen geschrieben und richtet in der kommenden Woche die COP30 in Belém aus.

Die Daten zeigen allerdings, dass der brasilianische Staatkonzern Petrobas beim Thema Öl- und Gasexploration nicht hintenansteht. Die brasilianische Regierung erteilte zudem sowohl Petrobras als auch ExxonMobil, Chevron und CNPC eine Erlaubnis im Foz-do-Amazonas-Becken Explorationsbohrungen durchzuführen. Das Amazonas-Gebiet gehört zu den biodiversitätsreichsten der Erde. Das Foz-do-Amazonas-Becken beheimatet ein kaum erforschtes Korallenriff, das sich über 9.300 Quadratkilometer erstreckt und vor weniger als 10 Jahren entdeckt wurde. Es liegt nicht weit von Belén entfernt.

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Ungebremste fossile Expansion in Lateinamerika und der Karibik

Die Ausbeutung von Öl und Gas in Lateinamerika und der Karibik ist ungebrochen. Die fossilen Brennstoffe ziehen eine Schneise der Zerstörung über ihren gesamten Lebenszyklus. urgewald zeigt Unternehmen und internationale Geldgeber auf.

„Brasilien zeigt ein alarmierendes Maß an Doppelmoral – es präsentiert sich auf der COP30 als Klimavorreiter, während die Regierung gleichzeitig die Ausweitung von Öl- und Gasförderung direkt vor den Toren des Gipfels erlaubt und eines unserer empfindlichsten Ökosysteme gefährdet“, sagt Nicole Oliveira, Geschäftsführerin des Arayara International Institute in Brasilien.

Besonders beunruhigend ist, dass sowohl in Lateinamerika als auch im Rest der Welt sogenannte unkonventionelle Extraktionsverfahren wie Ultra-Tiefsee-Projekte und Fracking zunehmen. Das bedeutet, dass Fossilunternehmen zunehmend mit wenig erprobten Methoden, die noch anfälliger für Unfälle sind, Öl- und Gas fördern. Derzeit sind rund 38 Prozent der globalen Öl- und Gasproduktion unkonventionell – bei den geplanten Explorationsprojekten ist es sogar die Hälfte.

Mehr Gas für Europa

Ein Großteil der neuen Gasprojekte soll für den Export produzieren. Zu den großen Abnehmern gehört Europa, das nach Alternativen zu russischem Gas sucht. Europäische Importkapazitäten für Flüssiggas (LNG) sollen in den kommenden Jahren mehr als verdoppelt werden. An erster Stelle steht dabei Deutschland, das trotz sinkender Gasnachfrage, drohender geringer Auslastungsraten und Bürgerprotesten schwimmende sowie drei festangelegte Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel ausbaut.

„Wer neue LNG-Importanlagen baut oder betreibt, befeuert gleichzeitig eine weltweite Expansionsspirale. Neue Terminals gehen Hand in Hand mit einer rücksichtslosen Ausbeutung neuer Gasfelder und dem Betrieb von LNG-Exportterminals in den Lieferländern. Mit den aktuell nur mäßig ausgelasteten LNG-Anlagen macht sich Deutschland langfristig abhängig von fossilen Autokraten. Und dies in einer Zeit, in der die Klimakrise und eben jene fossilen Machthaber unsere Zukunft wie nie zuvor bedrohen“, sagt Moritz Leiner, Energie-Campaigner bei urgewald.

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Deutschlands übermäßiger Hunger nach Gas

Deutschland agiert beim Ausbau von Gas-Infrastrukturen in Europa an vorderster Front, zeigen neue Analysen. Dabei sind schon bestehende Strukturen bei weitem nicht ausgelastet. Noch ließe sich der immense Ausbau aufhalten.

Fossilunternehmen expandieren in Europa weiter aggressiv, obwohl der Kontinent Gas in den kommenden Jahren drastisch reduzieren will, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Pläne für neue Gaskraftwerke belaufen sich allein in Europa auf 68 Gigawatt (GW), was etwa einem Drittel der bestehenden Kapazitäten entspricht. Die meisten neuen Kraftwerke sind mit 15,1 GW im Vereinigten Königreich geplant, es folgen Deutschland mit 12,9 GW und Polen mit 7,3 GW. Fossile Infrastruktur, die heute gebaut wird, müsste bis weit in die 2050er-Jahre betrieben werden, um rentabel zu sein. Es ist unschwer erkennbar, dass dies nicht mit dem Netto-Null-Ziel bis 2050 vereinbar ist.

„Da Europa seinen Bedarf nicht selbst decken kann, bleibt Gas gleichbedeutend mit Importabhängigkeit“, sagt Johanna Frühwald, Expertin für die österreichische Energie- und Finanzwirtschaft bei urgewald. „Echte Unabhängigkeit bringen nur Erneuerbare, Energieeffizienz und ein flexibles Stromsystem – nicht neue Gasprojekte.“

Deutschland fördert den fossilen Lock-In

Der geplante Zubau in Deutschland würde die Gaskapazitäten um 43 Prozent steigern. Die geplante Kraftwerksstrategie sieht vor, dass Unternehmen staatliche Beihilfen für Bau und Betrieb neuer Gaskraftwerke erhalten. Mit einer Novelle des CO2-Speichergesetzes soll zukünftig sogar die Abscheidung von Kohlendioxid an Gaskraftwerken möglich und subventionsfähig werden. Ein teures Unterfangen – und ein fatales Signal für die Energiewende.

„Die geplante Kraftwerksstrategie ist gleichbedeutend mit einem Freifahrtschein für die Gasindustrie. Die Konzerne, die davon profitieren dürften, verschleppen die Energiewende und verschleiern die Tatsache, dass fossiles Gas genauso klimaschädlich sein kann wie Kohle. Sie werfen Nebelkerzen wie die vermeintliche Umstellungsoption der Kraftwerke auf Wasserstoff“, sagt Moritz Leiner.

Keine Finanzwende in Sicht

Der Finanzsektor steht weiterhin in großen Teilen hinter der Öl- und Gasindustrie. Trotz wachsender Bedenken haben bisher nur zwei systemrelevante Banken – BNP Paribas und Crédit Agricole – Anleihen für Öl- und Gasförderer für die Zukunft ausgeschlossen.

Die Folgen des Klimawandels stellen einen wachsenden Risikofaktor für die Finanzindustrie dar. GOGEL bietet fundierte Daten zu Expansionsplänen im Bereich Öl- und Gasförderung, Zubau von fossiler Infrastruktur und der Entwicklung neuer Öl- und Gaskraftwerke von mehr als 1.800 Unternehmen. In diesem Jahr enthält die Liste zudem erstmals Kennzahlen, die eine Einordnung von Unternehmen im Hinblick auf die EU-Paris-Aligned-Benchmark (PAB) ermöglichen. GOGEL schafft Transparenz für Finanzinstitutionen, Regierungen und der Zivilgesellschaft, um Unternehmen zu identifizieren, deren Geschäftsaktivitäten mit dem Pariser Klimaabkommen nicht kompatibel sind. jb

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