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Debatte um VersorgungssicherheitTeurer Kapazitätsmarkt für Gaskraftwerke

Luftaufnahme des Kraftwerks Irsching bei Vohburg an der Donau in Bayern. Mehrere große Gebäude, Kühltürme und Schornsteine mit rot-weißen Streifen sind zu sehen, daneben runde Tanks und Freiflächen mit Stromleitungen. Im Vordergrund liegt ein Fluss, im Hintergrund erstreckt sich eine Ortschaft mit landwirtschaftlich genutzten Feldern.
Gaskraftwerk im bayerischen Irsching (Bild: Ma. Gr. 1234, Wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Für Versorgungssicherheit und deren kosteneffizienter Bereitstellung soll möglichst schnell ein Kapazitätsmarkt implementiert werden. Doch an der Kosteneffizienz gibt es große Zweifel.

08.10.2025 – Die Frage nach einem Kapazitätsmechanismus in Deutschland wurde schon von der Ampel-Regierung in der vergangenen Legislaturperiode aufgebracht, aber nicht mehr zu Ende gedacht. In einem sich verändernden Strommarkt, mit der zunehmenden Einspeisung fluktuierender Erneuerbarer Energien, braucht es gesicherte Leistung, die bei Bedarf – wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint – für Stunden, Tage oder Wochen einspringen, um die sichere Versorgung Deutschlands mit Strom zu gewährleisten. Und für Bau und Betrieb der gesicherten Leistung braucht es finanzielle Anreize – den Kapazitätsmechanismus.

Dass es Technologien für die Versorgungssicherheit braucht, darüber sind sich alle einig. Nur die Fragen über Umfang und Art der Technologien sind Teil heftig geführter Debatten. Das Bundeswirtschaftsministerium unter der damaligen Führung des Grünen Robert Habeck, sah einen Mix aus staatlich gesteuerten zentralen Elementen und dezentralen Elementen vor, die marktorientiert sind. Über Ausschreibungen sollten jährliche Kapazitätszählungen an Anlagenbetreiber gezahlt und damit die Schaffung dieser Kapazitäten angereizt werden. Zusätzlich sollten dezentrale Akteure ihre Spitzenlast mit Kapazitäten absichern, indem sie Zertifikate kaufen oder selbst Reservekraftwerke oder Großspeicher bereithalten.

In einem zentralen Kapazitätsmarkt dagegen kauft eine zentrale Stelle Kapazitäten für das gesamte Land ein. Dafür gibt es rein zentrale Ausschreibungen und die Kosten werden anschließend über eine Umlage auf alle Stromverbraucher verteilt. Das gibt klar definierte, staatliche gegebene Reservekapazitäten vor.

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Auch der aktuellen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche sind Versorgungssicherheit und Kapazitätsmechanismus ein wichtiges Anliegen. Die Akzente jedoch sind andere als unter der Ampel-Regierung. Sprach Habeck noch von maximal 12,5 Gigawatt steuerbarer Gaskraftwerksleistung zur Versorgungssicherheit, die künftig bereit seien müssten für den Betrieb mit Wasserstoff, schweben Reiche Gaskraftwerke im Umfang von 20 GW oder mehr vor, bei denen H2-Ready eher nachrangig behandelt werden soll.

Die schnellstmögliche Implementierung des technologieoffenen Kapazitätsmarktes brauche es vor allem für erste Ausschreibungen für den Zubau von neuen Gaskraftwerken bis Ende des Jahres – so steht es im 10 Punkte Plan des Wirtschaftsministeriums, den die Ministerin im Rahmen des Monitoringberichts zur Energiewende veröffentlichte. Einen lang erwarteten Bericht, aus dem Reiche in den Augen vieler völlig falsch Schlüsse zog.

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Was Wirtschaftsministerin Reiche aus dem Monitoringbericht zur Energiewende folgert, verwundert. Diskrepanzen gibt es etwa beim künftigen Strombedarf. Und fossile Brennstoffe scheinen von einer kosteneffizienten Energieversorgung ausgenommen.

Der Monitoringbericht gab Anlass und Zahlen für den Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) die langfristigen Kosten eines möglichen zentralen Kapazitätsmarktes in den Blick zu nehmen. Denn die Kosten für die Versorgungssicherheit könnten die Verbraucher:innen tragen. Die Ampel-Regierung hatte eine Kapazitätsumlage von 2 Cent pro Kilowattstunde ins Spiel gebracht. Die 2029 starten soll.

Das klingt erst einmal wenig. Rechnet man dies aber anhand des prognostizierten Stromverbrauchs nach dem Monitoringbericht zwischen 2030 und 2050 hoch, kommen die Analyst:innen des bne auf Mehrkosten zwischen 340 und 435 Milliarden Euro. Und selbst bei dem unwahrscheinlichen Fall eines konstant bleibenden Strombedarfs lägen die zusätzlichen Kosten bei rund 200 Milliarden Euro.

Die hohen Kosten eines zentralen Kapazitätsmarktes seien auch der Grund dafür gewesen, weshalb das damalige Bundeswirtschaftsministerium ein anderes Modell gewählt hatte, das zum Ziel hatte, mit deutlich niedrigeren Kosten auszukommen, so der bne in seiner Analyse. Aus den Verlautbarungen der aktuellen Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium hingegen sei zu befürchten, dass ein zentraler Kapazitätsmarkt favorisiert werde.

Der sei gekennzeichnet durch administrative Orientierung an strukturell unsicheren Spitzenlastprognosen, verdränge Flexibilitätsoptionen und innovative Technologien, die zu einer Senkung der Spitzenlast beitragen können, begünstige im Zweifel Überdimensionierung (folglich Kostensteigerungen) und bleibe politischer Einflussnahme ausgesetzt.

Besonders eklatant sei dies im Angesicht der angestrebten 20 GW an Gaskraftwerken. „Die Kraftwerksstrategie etabliert bereits jetzt die institutionellen Strukturen für zentrale Kapazitätsplanung und hemmt gleichzeitig Investitionen aus dem freien Markt", so bne-Geschäftsführer Robert Busch.

Die Erfahrung benachbarter EU-Staaten

Reiche will – laut ihrem 10 Punkte Plan – die bürokratische Komplexität auf ein Minimum reduzieren und die Erfahrungen benachbarter EU-Staaten berücksichtigen. Großbritannien etwa bietet in einem Kapazitätsmarkt jährliche Auktionen an, wo Kraftwerksbetreiber Kapazitäten anbieten, die sie für einen bestimmten Zeitraum bereitstellen. Belgien, Irland, Italien, Frankreich und Polen bieten ähnliche Modelle an.

Eine Analyse von Beyond Fossil Fuels, auf Datenbasis von Aurora Energy Research, zeigt jedoch: ein Großteil der staatlichen Mittel für die Reservekraftwerke fließt in Gas, Kohle und andere CO2-intensive Prozesse. Von insgesamt rund 90 Milliarden Euro, ging mit über 50 Milliarden Euro, fast dreimal so viel an fossile Konzerne, wie in flexible und klimafreundliche Lösungen wie Stromspeicher, Lastmanagement oder smarte Netze. Getragen werden die Kapazitätszahlungen von den Stromkund:innen in den jeweiligen Ländern über Zusatzkosten auf der Stromrechnung.

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Rauchende Industrieanlage am Wasser bei Sonnenuntergang. Dichter Rauch steigt aus mehreren Schornsteinen in den Himmel, während große Tanks, Rohre und Frachtschiffe im Vordergrund sichtbar sind. Die Szene wirkt dramatisch durch das Licht der tiefstehenden Sonne, das den Rauch in goldene und graue Farbtöne taucht.
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Eine kostengünstige Alternative stellt nach Ansicht des bne eine Absicherungspflicht dar. Dabei müssen Versorger ihre Lieferverpflichtungen am Terminmarkt oder durch Eigenerfüllung absichern, was ohne neue Umlagen oder Subventionen auskommt. „Die Absicherungspflicht orientiert sich an marktwirtschaftlichen Grundprinzipien im Sinne Ludwig Erhards", so bne-Geschäftsführer Busch. Sie setze auf dezentrale Entscheidungen, und vollständige Preissignale statt auf planwirtschaftliche Kapazitätssubventionen. Gleichzeitig werde Investitionssicherheit für neue Kapazitäten hergestellt.

Der bne fordert Politik und Gesellschaft auf, die realen Kosten verschiedener Kapazitätsmechanismen transparent zu diskutieren. „Es ist höchste Zeit, dass wir ehrlich über die finanziellen Belastungen sprechen", so Busch. Die bne-Hochrechnung zeige, die Kosten für einen zentralen Kapazitätsmarkt seien ausgesprochen hoch und für die energieintensive Industrie schlicht nicht tragbar. Hinzu würden noch die nicht bezifferbaren Kosten aus unterbleibenden Investitionen in zukunftsfähige flexible Lösungen und aus ausbleibenden Innovationen kommen. mg

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