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TransformationWie die deutsche Chemie- und Stahlindustrie wettbewerbsfähig bleiben könnte

Eine Straße mit Gleisen und Autos und im Hintergrund ein riesiges Industrieareal
Stammwerk des Chemieriesen BASF in Ludwigshafen (Bild: Metro Centric, flickr, CC BY 2.0)

Mit dem Wegfall russischer Gaslieferungen und angesichts der notwendigen grünen Transformation, steht die energieintensive deutsche Grundstoffindustrie vor einer unsicheren Zukunft. Forschende zeigen Lösungswege auf.

13.12.2024 – Es ist eines der wichtigen Themen im Wahlkampf: der Industriestrompreis. Auch wenn ein Vergleich laut Expert:innen schwierig ist, Deutschland und Europa haben im Gegensatz etwa zu den USA, Kanada und Japan relativ hohe Industriestrompreise. Das zeigen Daten der Internationalen Energieagentur. Ein Wettbewerbsnachteil insbesondere bei energieintensiven Prozessen in der Industrie. In Deutschland sind das vor allem die Chemie- und Stahlindustrie, die jahrzehntelang von billigem russischen Pipelinegas profitierten und mit russischen Unternehmen teilweise direkte Verträge abschlossen.

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Erst spät und weit nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, zogen sich deutsche Unternehmen aus Russlandgeschäften raus. Eine, angesichts russischer Aggressionen in der Ukraine, bereits vorher dringend nötig Diversifizierung von Gas-Importen wurde nicht angegangen, ebenso wenig die Transformation hin zu Erneuerbaren Energie-Trägern und Umstellung von Produktionsprozessen. Kurzfristig schlägt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor die Netzentgelte mit 5,5 Milliarden Euro zu subventionieren und damit unter anderem den Industriestrompreis für die Branche auf ein erträgliches Maß zu senken.

Langfristig müssen sich Produktionsprozesse in Chemie- und Stahlindustrie ändern, um mit der voranschreitenden globalen Transformation Schritt zu halten. Forschende des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kopernikus-Projekts Ariadne haben Lösungsvorschläge erarbeitet. Langfristige und hohe Subventionen seien dabei volkswirtschaftlich ineffizient und politisch kaum durchsetzbar, so die Forschenden. Auch den heutigen Import fossiler Energieträger vollständig durch grüne Energieträger ersetzen zu wollen, sei nicht realistisch — nicht nur weil grüner Wasserstoff und erneuerbarer Strom in Deutschland knapp sind, sondern auch, weil sie sich viel schlechter transportieren lassen als Kohle, Öl oder Gas.

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„Es ist aus fundamentalen physikalischen und ökonomischen Gründen unrealistisch, sämtliche energieintensiven Produktionsschritte grüner Grundstoffe in Zukunft in Deutschland durchzuführen“, konstatiert der Ariadne-Forschende Philipp Verpoort vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, „ein subventioniertes ‚Weiter so‘ droht in einer Sackgasse zu enden“. Stattdessen schlagen die Forschenden des Kopernikus-Projekts Ariadne vor, den heutigen Import von fossiler Energie und Rohstoffen hin zum Import von grünen Vorprodukten zu verschieben und sich stärker auf die hohe Wertschöpfung in der industriellen Weiterverarbeitung zu konzentrieren.

Konkret geht es aktuell um rund 9 Milliarden Euro Wertschöpfung und 121.000 Beschäftigte in der Stahlerzeugung und 41 Mrd. Euro und 337.000 Beschäftigte in der Chemievorerzeugung, die zunehmend unter Druck hoher Energiepreise und dem Weltmarkt geraten. Sie können nur zu höheren Preisen produzieren, was die ungleich größeren, nachgelagerten Bereiche zu spüren bekommen und sich schließlich in höheren Preisen bei den Endprodukten niederschlägt.

Die Stahlindustrie etwa produziert Grundstoffe für die Metallerzeugung, den Kraftwagenbau oder den Maschinenbau. Allein die TOP 6 der nachgelagerten Bereiche generieren in Deutschland eine Wertschöpfung von 467 Mrd. Euro, mit 5,62 Millionen Beschäftigten.  Hauptabnehmer der Chemieindustrie sind Unternehmen für Gummi- und Kunststoffwaren, Pharmazie und Baugewerbe. Die Wertschöpfung der TOP 6 nachgelagerten Bereiche, die chemische Erzeugnisse beziehen, beträgt 331 Mrd. Euro, mit 4,305 Millionen Beschäftigten in Deutschland.

Es gelte vor allem die nachgelagerten Bereiche mit hoher Wertschöpfung in der industriellen Weiterverarbeitung zu retten. Dafür müsste auch nicht die Grundstoffindustrie von Stahl und Chemie komplett abgeschafft werden. Laut den Forschenden könnte die Stahlindustrie statt wie heute Eisenerz zukünftig grünes Roheisen importieren und in Deutschland zu Stahl verarbeiten. Dann würde lediglich der energieintensivste Schritt ins Ausland verlagert. Arbeitsplätze der Stahlindustrie und der nachgelagerten stahlintensiven Unternehmen könnten in Deutschland gehalten werden. Bei der Chemieindustrie könnten zukünftig Vorprodukte wie grüner Ammoniak oder grünes Methanol importiert werden. Beim Import von grünem Roheisen könnten so Kosteneinsparungen von 18,3 Prozent erzielt werden, beim Import von Methanol 36,4 Prozent an Einsparungen.

Friendshoring

Bei Bezug von Vorprodukten aus anderen Ländern sei es aber wichtig sichere Versorgungswege aufzubauen. Dafür könnten Länder innerhalb der Europäischen Union mit hohem Potenzial für Erneuerbare Energien sorgen, so die Forschenden, die in ihrer Analyse weiterschreiben: „Die nötigen Rahmenbedingungen für ein solches Friendshoring können durch eine europäisch koordinierte Industriepolitik im Rahmen des erwarteten Clean Industrial Deal vorangetrieben werden.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte angekündigt in den ersten 100 Tagen, in denen die neue Kommission im Amt ist, einen Plan vorzulegen, der die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas verbessern und gleichzeitig den Übergang zur Klimaneutralität vorantreiben soll. Zuletzt hatte die EU im Februar einen Net-Zero-Industry-Act vorgelegt. Der ging einigen nicht weit genug. Grüne EU-Abgeordnete mahnten Verbesserungen an – unter anderem eine stärkere europäische Koordinierung.

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Dies gelte laut den Forschenden des Kopernikus-Projekts Ariadne auch für den Hochlauf der Wasserstoffproduktion in Europa. Zwar würde die Wasserstoffnachfrage in Deutschland, mit weniger energieintensiven Prozessen in der Chemie- und Stahlproduktion geringer ausfallen als aktuell oft angenommen, es bleibe aber ein substanzieller Wasserstoffbedarf in vielen anderen Industriesektoren. Zudem müsste der Wasserstoff an anderen Orten in Europa (mit hohem Potenzial Erneuerbarer Energien) weiterhin produziert werden, um vor Ort die energieintensiven Prozesse zu ermöglichen.

Ob kurzfristig der Industriestrompreis, wie von Wirtschaftsminister Habeck vorgeschlagen, abgesenkt wird, ist fraglich. Die SPD unterstützt die grüne Forderung. Die FDP lehnte eine Subventionierung der Industrie in dieser Form wiederholt ab. Auch wenn sich Abgeordnete der Union wiederholt für eine Senkung der Strompreise aussprachen, lehnen sie eine Zusammenarbeit im Bundestag und ermöglichen von Mehrheiten ab. Entscheidungen sollen erst unter einer neuen Regierung fallen. mg

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