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Nachgefragt
23. Dezember 2023

„Gezielte Verteuerung von Gas, Öl und Kohle“

Dänemark macht vor, wie die Wärmewende funktionieren kann. Tragende Säule ist die Fernwärme, die jetzt schon zu 75 Prozent erneuerbar ist. Und die nächsten ehrgeizigen Schritte zur Dekarbonisierung stehen an – gestützt von einem breiten politischen Konsens.

Christian Bjerrum Jørgensen ist Botschaftsrat für Energie bei der Königlich Dänischen Botschaft in Berlin. Er gilt als der „Fernwärmepapst“ in Europa.

Christian Bjerrum Jørgensen ist Botschaftsrat für Energie bei der Königlich Dänischen Botschaft in Berlin. Er gilt als der „Fernwärmepapst“ in Europa.
Christian Bjerrum Jørgensen ist Botschaftsrat für Energie bei der Königlich Dänischen Botschaft in Berlin
Foto: Kasper Jensen

Herr Jørgensen, Dänemark gilt seit vielen Jahren als Vorreiter in Sachen Wärmewende. Wie weit sind Sie schon gekommen. Wo stehen Sie derzeit?

Unsere Wärmewende hängt stark mit unserem Fernwärmesystem zusammen. Zwei Drittel der rund drei Millionen Haushalte in Dänemark werden mit Fernwärme versorgt und wir haben bei der Fernwärme einen Anteil von 75 Prozent Erneuerbaren Energien. Gut die Hälfte der Fernwärme kommt aus zertifizierter Biomasse, vor allem Holz. Diesen Anteil möchten wir bis 2035 auf 35 Prozent reduzieren. Bis 2030 wollen wir mit der Fernwärmeversorgung in Dänemark zu 100 Prozent klimaneutral werden. Hierbei setzen wir stark auf Elektrifizierung und Großwärmepumpen. Wir möchten für die Fernwärme mehr Geothermie nutzen, mehr Abwärme aus der Industrie, mehr Umgebungswärme aus Klärwasser, Wärme aus Rechenzentren sowie mehr solaren Überschussstrom für Tages- und Saisonspeicher.

Wie wollen Sie die Wärmeversorgung derjenigen Gebäude dekarbonisieren, die noch nicht an die Fernwärmeversorgung angeschlossen sind?

Wir haben derzeit rund 400.000 Haushalte, die noch mit Gas versorgt werden, wovon wir wegkommen wollen. Hierzu hat unsere Regierung im Sommer 2022 einen strategischen Plan „Dänemark kann mehr – Zwei“ verabschiedet. Ziel ist eine Umstellung bis 2030 auf 100 Prozent Biogas und das vollständige Auslaufen der Gasversorgung für den Gebäudebereich bis zum Jahr 2035. Die Lösung sind dann entweder Wärmepumpen oder der Anschluss an die Fernwärmeversorgung, je ungefähr zur Hälfte. Hierzu hat die dänische Regierung eine beschleunigte Wärmeplanung eingeführt, welche auf unserer langjährigen Erfahrung mit der verpflichtenden kommunalen Wärmeplanung aufbaut, die es schon seit 1979 in Dänemark gibt und ein wesentliches Instrument zur Erreichung unserer Klimaziele ist.

Was beinhaltet die beschleunigte kommunale Wärmeplanung?

Alle dänischen Kommunen mussten in 2022 innerhalb von sechs Monaten alle Hauseigentümer, die noch mit Gas heizen, digital anschreiben und darüber informieren, ob sie bis zum Jahr 2028 einen Fernwärmeanschluss bekommen. Falls nicht, müssen die betroffenen Hauseigentümer auf andere fossilfreie Lösungen setzen. Derzeit machen alle Stadtwerke die Umsetzungspläne, wo im Einzelnen berechnet und festgelegt wird, bis wann genau in den entsprechenden Gebieten ein Fernwärmeanschluss kommt.

Im Vergleich zu Deutschland ist das sehr ambitioniert und strikt. Gibt es denn in Dänemark nicht auch hitzige Debatten über eine vermeintliche staatliche Verbotspolitik zu Lasten von marktwirtschaftlichen Freiheitsrechten und der „kleinen Leute“?

Eigentlich nein. Wir haben hier ein Phänomen, das nennen wir „politisk forlig“, also breite, konsensorientierte Abkommen, die von allen Parteien mitgetragen werden. So wird unser Klimagesetz von neun von zehn Parteien unterstützt, quer durch alle politischen Lager. Für eine Politik weg von den fossilen Brennstoffen und hin zu einer erneuerbaren Wärmeversorgung gibt es in Dänemark schon seit der ersten Ölkrise 1973 eine breite Unterstützung. Dazu zählt auch eine gezielte Verteuerung von Gas, Öl und Kohle mittels einer Energie- und CO2-Steuer. Die Wärmeversorgung von Häusern mit Gas ist mittlerweile die teuerste Variante und die Fernwärmeversorgung ist deutlich günstiger.

Was kostet denn Fernwärme aktuell in Dänemark?

Derzeit liegen die Durchschnittskosten für die Fernwärmeversorgung eines Standard-Hauses mit einem Jahresverbrauch von 18,1 Megawattstunden bei jährlich etwas unter 2.000 Euro. Wichtig ist uns hierbei auch die Transparenz. Die rund 400 Unternehmen in Dänemark, die Fernwärme produzieren und verkaufen, müssen zweimal jährlich die Preise an die Dänische Aufsichtsbehörde für Versorgung schicken. Die Aufsichtsbehörden veröffentlichen dann die Preise im Internet. Auch sind die Unternehmen gesetzlich verpflichtet, die Fernwärme nicht nur möglichst klimaneutral, sondern auch möglichst kosteneffizient anzubieten und Gewinne an die Kunden auszuschütten bzw. zu reinvestieren. Zudem sind viele Fernwärmeunternehmen genossenschaftlich organisiert und die Bürger sind an ihnen beteiligt oder sie sind in der Hand von kommunalen Stadtwerken.

Gibt es also keine Querfinanzierung von anderen kommunalen Aufgaben der Daseinsvorsorge über Erträge aus der Fernwärmeversorgung?

Nein, eine Cross-Finanzierung ist nicht erlaubt und es dürfen bei der Fernwärmeversorgung keine Gewinne erwirtschaftet werden. Für langfristige kommunale Investitionen in den Ausbau der klimaneutralen Wärmeversorgung spielt die Kommunale Bank eine wichtige Rolle, an der alle dänischen Städte und Gemeinden beteiligt sind. Diese bietet Unternehmenskredite zu günstigen Konditionen an. Zudem ist die Kommune bei uns die zentrale Behörde für die Wärmeplanung, welche sämtliche Projekte genehmigen muss. Insgesamt ist die Fernwärmeversorgung in Dänemark viel stärker reguliert als in Deutschland.

Wie geben Sie denn ihre Erfahrungen im Bereich der Wärmeplanung und dem Ausbau der kommunalen Wärmeversorgung an die deutschen Nachbarn weiter?

Auf sehr vielen Ebenen. So arbeiten wir sowohl eng mit dem Bundeswirtschaftsministerium, Verbänden und Stadtwerken als auch mit Bundesländern wie Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg und mit einzelnen Kommunen zusammen, sei es über Beratung oder in Workshops. So orientierte sich beispielsweise Baden-Württemberg bei der Einführung der kommunalen Wärmeplanung an unserem Technologiekatalog und wir kooperierten bei der Erstellung eines Wärmeplanungs-Leitfadens sowie von kommunalen Wärmekatastern.

Wir nehmen viel von Deutschland mit nach Dänemark, um unsere Wärmewende zu verbessern. Unsere Zusammenarbeit ist eine Two-Way-Street von Wissenstransfer über die Grenze. Beispielsweise Förderprogramme, Kompetenzzentrum für Wärmewende, Technologien wie Geothermie und Abwärme.

Welchen Stellenwert hat eine solide Datengrundlage bei der kommunalen Wärmeplanung?

Die ist enorm wichtig. Aber die Kommunen sollten hier pragmatisch vorgehen. Die Wärmepläne müssen nicht zu 100 Prozent fertig sein, bevor man startet. Die kommunale Wärmeplanung ist ein Prozess. Hier fließen weitere politische Beschlüsse ein und Pläne können im Laufe der Zeit näher konkretisiert werden. Entscheidend sind zudem die weitere Digitalisierung und Standardisierung der Wärmepläne. Superwichtig ist auch, dass die Kommune die großen örtlichen Stakeholder wie Industrieunternehmen, Krankenhäuser, Rechenzentren oder Schulen und auch die Stromnetz- und Gasnetzbetreiber an einen Tisch bringt, um Wärmenutzungspotenziale zu eruieren und Planungen abzusprechen.

Welche weiteren Stellschrauben sind aus ihrer Sicht wichtig bei der Transformation der Wärmeversorgung? Was sind hierbei Ihre „Lessons Learned“?

Neben Transparenz, Investitionssicherheit und passenden Rahmenbedingungen für die Kommunen ist die Diversifizierung beim Umstieg auf eine klimaneutrale Fernwärmeversorgung wichtig. Wir in Dänemark haben hier bisher stark auf Biomasse gesetzt. Die Einbeziehung von mehr Energieträgern, der Elektrifizierung und Sektorenkopplung erhöht auch die Versorgungssicherheit und Resilienz des Gesamtenergiesystems. Deshalb sind wir nun dabei, die Photovoltaik in Dänemark stark auszubauen. Solarthermische Großanlagen sind ebenfalls ein wichtiger Baustein unserer Wärmewende, hier haben wir eine installierte Kapazität von 1,2 Gigawatt. Über Saisonspeicher können Solarwärme, Solar- und Windstrom für Zeiten gespeichert werden, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Dies ist günstiger als Batteriespeicher und schafft einen Mehrwert für das gesamte Energiesystem.

Danke für das Gespräch!

Das Interview führte Hans-Christoph Neidlein.


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