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Gefährdete ArtenvielfaltPestizide aus Apfelplantagen wandern hinauf in die Berge

Apfelplantage, im Hintergrund Kirchturm von Lana
Apfelplantage in Südtirol. Mit Pestiziden werden Schädlinge bekämpft – aber die Gifte verbreiten sich weiter als gedacht.  (Foto: böhringer friedrich auf Wikimedia / CC BY-SA 2.5 DEED)

Der Apfelanbau in Südtirol gelingt auch deshalb so gut, weil Pestizide eingesetzt werden. Unbekannt war bisher, dass die Gifte sich sehr weit ausbreiten, bis in die Höhenlagen der umliegenden Berge, und dort die Ökosysteme beeinflussen.

14.2.2024 – Der Vinschgau im Westen Südtirols ist das größte zusammenhängende Apfelanbaugebiet in Europa. In der nördlichsten Provinz Italiens sind über 7.000 Apfelbauern tätig, die zehn Prozent aller europäischen Äpfel produzieren. Der Südtiroler Apfel ist bekannt für sein perfektes Aussehen.

Allerdings hat der großflächige konventionelle Anbau auch eine Schattenseite. Die Bauern setzen bei der Bekämpfung von Schädlingen wie dem Apfelwickler und Pilzkrankheiten, die Schorf auf den Früchten auslösen, vor allem auf synthetische Pestizide, die mit Gebläse verteilt werden. Dadurch ist vor allem bei Wind eine hohe Abdrift in die Umgebung möglich.

Lange gingen selbst Fachleute davon aus, dass die synthetischen Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel im Wesentlichen in der Apfelanlage verbleiben. Doch eine
aktuelle Studie der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) und der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) zeigt, dass diese Pestizide nicht auf der Anbaufläche bleiben, sondern im ganzen Tal bis in Höhenlagen zu finden sind.

Weniger Schmetterlinge auf Bergwiesen

Im Vinschgau wurde bereits vor einigen Jahren ein Rückgang von Schmetterlingen auf den Bergwiesen beobachtet. Fachleute vermuteten einen Zusammenhang mit dem Einsatz von Pestiziden im Tal, aber es gibt kaum Studien zur Frage, wie weit aktuelle Pestizide tatsächlich transportiert werden und wie lange sie in Boden und Pflanzen verbleiben.

Die Forschenden untersuchten die Pestizid-Belastung auf Landschaftsebene – entlang des ganzen Tals bis in Höhenlagen. Dafür entnahm das Team zwischen 500 Metern Seehöhe bis auf die Berggipfel mit 2.300 Metern an 53 Standorten Pflanzenmaterial und Bodenproben.

Die anschließende Analyse zeigte: Insgesamt nehmen die Pestizide in den Höhen und mit Abstand zu den Apfelplantagen zwar ab, aber selbst im oberen Vinschgau mit kaum Apfelanbau haben die Forscher noch mehrere Substanzen in Mischungen im Boden und in der Vegetation nachgewiesen. „Wir fanden die Mittel in entlegenen Bergtälern, auf den Gipfeln und in Nationalparks. Dort haben sie nichts verloren“, unterstreicht Umweltwissenschaftler Carsten Brühl von der RPTU in Landau. Die Stoffe verbreiten sich aufgrund der teilweise starken Talwinde und der Thermik im Vinschgau weiter als man aufgrund ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften annehmen könnte.

Giftiger Pestizid-Cocktail

Bereits in den gemessenen niedrigen Konzentrationen können Pestizide auf Organismen einwirken, die nicht Ziel der Bekämpfung sind. Für Schmetterlinge könnte das beispielsweise eine Verringerung der Eiablage bedeuten, was dann zu einer Populationsreduktion führt. Nur an einer einzigen Stelle haben die Forscher in den Pflanzen keine Wirkstoffe gefunden – interessanterweise gibt es an jener Stelle auch sehr viele Schmetterlinge.

In fast der Hälfte aller Boden- und Pflanzenproben konnten die Forscher das Insektizid Methoxyfenozid messen, dass in Deutschland seit 2016 aufgrund der Umweltschädlichkeit nicht mehr zugelassen ist. Auf eine weitere Gefahr weist Brühl hin: Bei der Zulassung werden die Stoffe nur einzeln bewertet, in der Realität werden allerdings die Stoffe bunt gemischt, das Wissen über Wechselwirkungen verschiedener Substanzen sei gering.

Wie weit verbreitet die Pestizidbelastung im Boden und in den Pflanzen war und dass selbst Nationalparks betroffen sind, die eigentlich zum Schutz gefährdeter Pflanzen und Tiere eingerichtet wurden, beunruhigt die Forscher. Aus frühreren Studien wisse man, dass Kinderspielplätze in der Nähe der Apfelanlagen mit Pestiziden belastet sind, zum Teil sogar übers ganze Jahr hindurch. Die Ergebnisse der Studie zeigen eine neue Dimension des Problems.

Funktionale Biodiversität als Alternative zum Pestizideinsatz

Mögliche Maßnahmen wären eine Reduktion oder gar ein Verbot des Pestizideinsatzes, zumindest der in entlegenen Gebieten nachgewiesenen Stoffe. Im Gegenzug sei es wichtig, Bewirtschaftungspraktiken zu forcieren, die auch die Nützlings-Schädlingsinteraktionen, die sogenannte funktionale Biodiversität in der Apfelanlage und in der näheren Umgebung fördern. Gemeint sind damit beispielsweise naturnahe und blütenreiche Grasländer verteilt in der Landschaft, um den Gegenspielern von Apfelschädlingen einen Lebensraum zu bieten. Darüber hinaus müsste ein systematisches Monitoring eingeführt werden, das Messungen an verschiedenen Stellen übers Jahr vorsieht, um den ganzjährigen Pestizideintrag abschätzen zu können.

Die Verantwortung für die Verringerung des Pestizideinsatzes liegt nicht nur bei den Apfelbauern, sondern auch bei den großen Supermarktketten, so die Forscher: Diese könnten eine Akzeptanz von nicht ganz so perfekt aussehenden Äpfeln fördern. Das sei durchaus realistisch. Denn dass auch die Bevölkerung einem Pestizideinsatz kritisch gegenübersteht, zeigte etwa 2014 ein Bürgerentscheid der Marktgemeinde Mals im oberen Vinschgau: Hier sprach sich die Mehrheit gegen den konventionellen Apfelanbau aus. pf
 


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