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Sanierung statt AbrissAlter Plattenbau wird zum Mehrfamilienhaus mit hoher Energieautarkie

Mehrfamilienhaus mit PV an der Fassade
Energetisch sanierter Plattenbau in Aschersleben: Gute Dämmung, Photovoltaik, Infrarotheizung und dezentrale Warmwasserboiler bilden das technische Konzept. Vermietet wird moderner Wohnraum mit Energieflatrate. (Foto: Timo Leukefeld)

Mit klarem Blick auf die Interessen von Vermietern und Mietern saniert das Autarkieteam Plattenbauten. In Aschersleben entstand ein energetisch nachhaltiges Mehrfamilienhaus mit hohem Autarkiegrad, zudem bezahlbar dank weniger Technik.

31.08.2023 – Mit der Sanierung eines Plattenbaus in Aschersleben zeigt das Autarkieteam mit Timo Leukefeld, Klaus Hennecke und Jürgen Kannemann Wegweisendes. Man will den sich abzeichnenden negativen Trends begegnen: dem Handwerkermangel und den immer kostspieliger werdenden Reparaturen, den steigenden CO2-Preisen, die auf die Mietrendite drücken und der sinkenden Kaufkraft der Mieter, die sich mit teurer Technik sanierte Wohnungen nicht leisten können. Mit weniger Technik, die zudem weniger wartungsintensiv und komplex ist, hat das Dreier-Team ein modernes Mehrfamilienhaus mit hohem Autarkiegrad in der Sanierung begleitet.

Das fünfgeschossige Gebäude mit 60 Wohneinheiten wurde Anfang der 70er Jahre erbaut. Zehntausende solcher Plattenbauten aus den 70er und 80er Jahren kommen jetzt in die Jahre. Auch deshalb ist es an der Zeit, über den Umgang mit diesen Immobilien nachzudenken. Häufig stehen sie zudem in Regionen mit rückläufigen Bevölkerungszahlen, wie auch in Aschersleben. Vom ursprünglichen Bau blieben nur die Außenwände aus Betonfertigteilen und die tragenden Innenwände stehen. Die oberen beiden Etagen wurden abgetragen, die Gebäudehülle gut gedämmt.

Sanierung statt Abriss

„Wir haben eine gute Substanz, einen soliden Beton, der uns auch in den nächsten Jahrzehnten begleiten wird“, sagt Mike Eley, Geschäftsführer der Ascherslebener Gebäude- und Wohnungsgesellschaft. Abriss kam nicht in Frage, auch um die graue Energie – die bei der Herstellung des Betons aufgewandt wurde – jetzt nicht auf den Müll zu werfen. Es sollte in die Zukunft gebaut werden mit einem energetisch nachhaltigem Sanierungskonzept.

2019 fand man sich für die ersten Gespräche zwischen Wohnungsgesellschaft und Autarkieteam zusammen. Die Vision: Von der Platte zum hochgradig energieautarken Mehrfamilienhaus. 2021 begannen die Arbeiten zum Entkernen und das Abtragen der zwei oberen Geschosse. Nach einer längeren Pause fingen ab Frühjahr 2022 die handwerklichen Arbeiten für die Sanierung an. Auf das Flachdach wurde ein Obergeschoss gesetzt mit einem großen Pultdach – viel Platz für Photovoltaik. 22 Wohnungen mit neuen großzügigen Grundrissen entstanden. Sie sind inzwischen allesamt seit Mai 2023 bezogen.

Die Technik: Photovoltaik, Speicher, Autarkieboiler, Infrarotheizung

Photovoltaikmodule auf Dach und an der Fassade mit 184 Kilowatt Leistung erzeugen von März bis Oktober genügend Strom für das Haus, in den Wintermonaten wird Ökostrom von regionalen Anbietern bezogen. Ein Batteriespeicher mit einer Kapazität von 120 Kilowattstunden im Keller sowie eigens entwickelte Autarkieboiler zur Warmwasserbereitung in jeder Wohnung schaffen Puffer für Strom und Warmwasser.

Die Heizwärme kommt von Infrarotheizungen, die in jedem Raum zentral an der Decke angebracht sind. So entfallen alle wasserführenden Rohrleitungen – ein großer Batzen Geld und Material – und fast immer auch Ursache von hohen Energieverlusten. Über die Heizwärme kommt ein drittes Element der Energiespeicherung zum Tragen, die Bauteilaktivierung: der Baukörper selbst speichert Wärme. Die drei Säulen der Energiespeicherung werden vom Autarkie-Team vorab in dynamischen Gebäudesimulierungen bis ins kleinste Detail bzw. in vielen Szenarien durchgespielt, um ein Optimum der Energienutzung zu erreichen.

Heizen ohne Wärmepumpe und ohne Gas

Dass das Haus ohne Wärmepumpe, Wand- oder Fußbodenheizungen auskommt, kommt einem Tabubruch gleich. Mike Eley erläutert: „Die Wärmepumpe hätte große Heizflächen benötigt, wir hätten Fußbodenheizungen in eine gedrungene Bauweise einbringen müssen, hätten schwierige Fußbodenaufbauten gehabt. Die Infrarotlösung vereinfacht vieles und spart ungefähr die Hälfte der Kosten im Vergleich zu einer Lösung mit Wärmepumpe und Fußbodenheizung.“ Die Infrarotheizung ist von der Planung her zwar ähnlich aufwändig wie eine Wärmepumpe, es muss viel gerechnet und simuliert werden, aber die Montage ist sehr viel einfacher, wie Architekt Klaus Hennecke ausführt.

Warmwasser aus dem eigenen Pufferspeicher

Die in jeder Wohnung verbauten großen Warmwasserboiler heben den Autarkiegrad um fünf bis zehn Prozent. Da es keine geeigneten Industrieprodukte gab, hat das Team kurzerhand selbst einen Prototyp entwickelt, getestet und bauen lassen. „In einem zentralen Warmwassersystem gehen Unmengen Energie verloren, weil das Wasser eine bestimmte Temperatur haben und ständig zirkulieren muss“, erklärt Leukefeld. Wir wollten eine dezentrale Lösung, einen Boiler mit zwei Heizpatronen. Die eine arbeitet mit überschüssigem PV-Strom vom Dach, die andere mit Netzbezug. Zuerst wird natürlich der selbst erzeugte Strom genutzt und in Form des warmen Wassers bis zu zwei Tagen gespeichert. Die Simulationen ergaben, dass in über 90 Prozent der Fälle tatsächlich der Überschussstrom ausreichend ist. Aber anstatt eines komplexen Bus- und Steuerungssystems entschied man sich für eine einfache Zeitschaltuhr, die zwischen März und Oktober zu verschiedenen Tageszeiten bestimmte Boiler zuschaltet, so dass die Boiler im Haus zeitversetzt den PV-Strom aufnehmen.

Pauschalmiete mit Energieflatrate

Zum technischen Konzept gehört auch ein geschäftliches: eine Pauschalmiete. In den 11,50 Euro Miete pro Quadratmeter sind die Kosten für Wohnen, Energie, Heizung und ein Kontingent an der Ladesäule enthalten. „Wir nehmen damit dem Stromversorger, dem Gasversorger und der Tankstelle das Geld weg und lenken es in die Tasche des Vermieters“, erzählt Timo Leukefeld. Vermieter profitieren, weil sie ansonsten die steigenden CO2-Preise zum großen Teil tragen müssen. Sie zahlen weniger und die Mietrendite steigt.

Das Geschäftsmodell bringt aber auch Vorteile für die Mieter. Sie bewohnen ein modernes Haus mit höchsten Energiestandards in etwa zum gleichen Preis wie vor der Sanierung. Die Kaltmiete war zwar niedrig, aber die Quadratmeterkosten für Strom, Heizung, Warmwasser und Tanke in etwa genauso hoch wie die Kaltmiete. Dem Ascherslebener Projekt ist keine Forschungsphase vorangegangen, es hat keine Sonderförderung als Pilotprojekt erhalten, aber es zeigt, dass der notwendige Wandel im Gebäudesektor schon heute Realität sein kann.

Vermieter profitiert von gut funktionierender Gebäudetechnik

Timo Leukefeld macht auf den Paradigmenwechsel aufmerksam, der diesem Modell innewohnt: „Dem Vermieter konnte es bisher völlig egal sein, wie effizient das Gebäude und die Heizung funktioniert. Wenn eine Wärmepumpe oder Solaranlage schlecht läuft, kommt das vor allem beim Mieter an. Er zahlt die Betriebs- und Nebenkosten. Mit der Pauschalmiete ändert sich das. Der Vermieter hat höchstes Interesse, dass sein Gebäude, seine Solaranlage, seine Heizung gut laufen, sonst macht er miese.“ Das bedeutet zwar auch, dass jedes Gebäude ein Monitoring braucht – aber da alles strombasiert läuft, sei das einfach machbar. Das Monitoring ist bei jeder PV-Anlage heute Standard und wird in diesen Projekten nur etwas erweitert.

Was ebenfalls unabdingbar ist: eine sehr gute Gebäudehülle. Dann spiele es kaum noch eine Rolle, ob der einzelne auf 20 oder 23 Grad hochheizt. Im Ascherslebener Beispiel wurde für jede Wohnung eine großzügige Obergrenze für den Energieverbrauch errechnet und im Mietvertrag vereinbart. Das Zählermodell ist denkbar einfach, ein Elektrozähler aus dem Handel, der im Keller für jede Wohnung die Verbräuche misst. Der Vermieter schaut jeden Monat mal drauf. Überzieht ein Mieter dauerhaft, wird ihm die Flatrate gekündigt und er kann einen eigenen Liefervertrag abschließen.

Vom „intelligenten Verschwenden“ spricht Leukefeld und meint damit, mit guten Geschäftsmodellen und mit viel Sonne den Mietern eine sehr gute Lebensqualität zu bieten, ohne Umwelt oder Portemonnaie zu belasten.

Das Modell des Autarkieteams lebt vom Knowhow seiner Macher. Von der Verschattungsanalyse, der Beurteilung des konkreten Baukörpers, den unzähligen Simulationsschleifen, der architektonischen Planung, der Projektsteuerung bis hin zum rechtssicheren Mietvertrag – alles kommt von den eng verbundenen Experten. Das Auftragsbuch ist gut gefüllt, und wie anderswo auch, wird nach neuen Mitarbeitern Ausschau gehalten.

Mit seiner Philosophie und Herangehensweise stößt Leukefeld aber auch auf mächtige Gegner. Keine Wärmepumpe? Keine Flächenheizung? Keine Messeinrichtungen an jedem Heizkörper? Da bleiben viele außen vor, die sonst kräftig mitverdienen. Doch darum macht sich Leukefeld keine Sorgen. In der Wohnungswirtschaft und bei Banken kommt das Modell gut an. Bis 2025 sollen allein in Aschersleben zwei weitere Plattenbauten im Wohngebiet nach diesem Muster umgebaut werden. Petra Franke


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Kommentare

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Max Beckmann 15.12.2023, 11:25:10

Die Trinkwasser-Lösung finde ich innovativ. Aber dass im Winter dann noch auch nur 1 kWh PV-Strom für die Stromdirektheizung (euphemistisch Infrarotheizung) übrig bleibt, muss der "Proven Expert" Leukefeld erst mal proven, was als "Experte" im "Proven" für ihn kein Problem sein sollte, oder so ähnlich.

Gegenthese: Bei einer Komplettsanierung sollte 55°C Vorlauf am Auslegungspunkt drin sein, ohne Flächenheizung, zur Not mit neuen Heizkörpern. Dann schafft eine Propan-Wärmepumpe eine JAZ von ca. 4 - also 1/4 Verbrauch gegenüber der Stromdirektheizung. Verbleibt noch das Problem des Aufstellorts für die WP. Aber der Netzbetreiber dankt es. Sonst heißt es zukünftig für die Bewohner: E-Auto laden oder heizen - was hat heute Priorität?


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