Urbane EnergiewendeWie funktioniert Mieterstrom?

Drei Wohnhäuser aus der Vogelperspektive mit Photovoltaikanlagen auf den Dächern.
Mieterstromprojekt von NATURSTROM, WIRSOL und der Baugenossenschaft Familienheim Mosbach eG in Baden-Württemberg. (Foto: WIRCON GmbH)

Seit Inkrafttreten des Mieterstromgesetzes drängen immer mehr Akteure auf den Markt, Energieversorger wollen gemeinsam mit der Immobilienwirtschaft die Energiewende in die Städte bringen. Wir haben uns anhand von zwei Projekten in Berlin die Funktionsweise und Vorteile von Mieterstrom angeschaut.

27.06.2018 – Seit Juli 2017 ist das Mieterstromgesetz in Kraft, im November kam schließlich die beihilferechtliche Genehmigung der EU-Kommission hinzu. Seitdem können Mieterstromprojekte durchstarten, doch so einfach ist das offenbar nicht. Die Vorgaben sind kompliziert und das Gesetz nicht der ganz große Wurf, heißt es in der Energiebranche. Dennoch sei es ein wichtiges Signal besonders an die Mieter in den Städten. Endlich kommt auch bei ihnen die Energiewende an und sie können von vor Ort erzeugtem Ökostrom und günstigeren Stromtarifen profitieren.

Solarstrom vom Dach ist die gängigste Variante

Etliche Mieterstromprojekte gibt es bereits und bundesweit drängen immer mehr Akteure auf den Markt. So gewaltig das Potenzial ungenutzter Dachflächen in den Städten ist, so unterschiedlich sind die Projekte. Nicht überall lohnt sich Mieterstrom, mal sind es zu wenige Mieter und manchmal ist die neue Förderung eher hinderlich. Deshalb haben wir uns anhand zwei erfolgreicher Vorhaben im Berlin angeschaut wie Mieterstrom funktionieren kann.

Umgesetzt hat die beiden solaren Mieterstromprojekte der Ökostrompionier NATURSTROM, der bundesweit derzeit am meisten erfolgreiche Konzepte vorzuweisen hat und durch gute Voraussetzungen gerade in der Hauptstadt besonders aktiv ist. Das System ist stets das Gleiche: Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach versorgt die Mieter mit direkt vor Ort erzeugtem Sonnenstrom. Falls das nicht ausreicht, fließt Ökostrom von Wasserkraftwerken aus dem Netz. Der im Haus erzeugte Strom muss aber nicht vom Dach kommen. In einigen Mieterstrommodellen liefert ein mit Biogas oder Erdgas betriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) effizient Strom und Wärme. Da für dieses System im Mieterstromgesetz keine Förderung vorgesehen ist, bleibt der Solarstrom vom Dach meist die attraktivere Variante.

Neubau und Mieterstrom passen gut zusammen

So auch in der Haasestraße in Berlin-Friedrichshain. In der Partymeile zwischen Ostkreuz und Warschauer Brücke gelegen, kann man sich anschauen wie genau Neubau und Mieterstrommodell zusammenpassen. Projektpartner sind der Immobilienentwickler pro.b, die Umweltbank und NATURSTROM, herausgekommen ist ein ökologisch, soziales Mietshaus für Normalverdiener.

Auf dem Dach hat NATURSTROM eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 83,75 Kilowattpeak (kWp) installiert, die pro Jahr voraussichtlich über 77.400 Kilowattstunden (kWh) Sonnenstrom erzeugt. Durch die Ausrichtung der Module nach Osten und Westen produziert die Anlage vor allem in den Morgen- und Abendstunden Strom, orientiert sich also besser am Bedarf der durchschnittlichen Haushaltskunden als eine nach Süden ausgerichtete Anlage. Über die Hälfte des erzeugten Stroms kann auf diese Weise direkt im Haus genutzt werden, die Überschussmengen werden ins öffentliche Stromnetz eingespeist.

Wer profitiert?

Der Vorteil für die Mieter liegt auf der Hand: Sie können etwas zum Gelingen der Energiewende beitragen und dabei von einem günstigeren Strompreis profitieren. Denn für den Solarstrom vom Dach fallen keine Netzgebühren an, er wird direkt im Haus verteilt. Ebenfalls profitieren können Immobiliengesellschaften, insbesondere durch eine Wertsteigerung ihrer Immobilie und steigender Attraktivität für potenzielle Mieter. Obwohl gerade in Ballungszentren die wenigsten Immobilienunternehmen Probleme mit leerstehenden Wohnungen haben dürften. Schlussendlich zieht der Energieversorger seinen Nutzen, indem er neue Kunden gewinnt und den nicht verbrauchten Solarstrom zu Konditionen der EEG-Förderung ins Netz einspeisen kann.

Wenn alle Seiten profitieren, warum steht dann nicht längst auf jedem Dach eine Photovoltaikanlage? Weil das Gesetz und die Vorgaben wie bereits erwähnt sehr kompliziert sind und zur Abrechnung komplexe energiewirtschaftliche Systeme notwendig sind, die viele Energieversorger (noch) nicht beherrschen. Zudem lohnt sich Mieterstrom bislang vor allem in Neubauten, in denen die Anlagen direkt in Planung und Bau einbezogen werden können.

Mieterstrom im Genossenschafts-Quartier

Wie ein ganzheitliches und nachhaltiges Energiesystem mit Mieterstrom aussehen kann, lässt sich am Berliner Möckernkiez beobachten. Das größte urbane Genossenschafts-Wohnprojekt Deutschlands in Berlin-Kreuzberg setzt auf nachhaltigen Strom und Wärme. Photovoltaikanlagen auf dem Dach in Kombination mit einem BHKW im Keller, das zu 100 Prozent mit Biogas betrieben wird, ergeben einen vorbildhaften Primärenergiefaktor von 0,0. Geplant, gebaut und betrieben werden die Anlagen von NATURSTROM in Auftrag und Zusammenarbeit mit der Möckernkiez-Genossenschaft. Die Dimensionen übersteigen jeden einfachen Neubau: Auf einem 30.000 Quadratmeter großen Gelände umfasst das Genossenschaftsprojekt 14 Gebäude mit 471 Wohnungen und 20 Gewerbeeinheiten.

Auf fünf Dächer sind Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 135 kWp installiert. In der Heizzentrale versorgt das BHKW mit einer thermischen Leistung von 215 kWth und einer elektrischen Leistung von 140 kWel über ein Nahwärmenetz und das Stromnetz die Häuser mit Ökowärme und Ökostrom. Zwei Gas-Spitzenlastkessel mit einer Leistung von je 650 kWth sichern die Versorgung ab. Über den „Möckernstrom“ können alle Bewohner zusätzlich von den Anlagen profitieren, denn der Mieterstromtarif ist günstiger als vergleichbare Angebote. Die Resonanz unter den Mietern ist groß, wie bei allen Mieterstrommodellen sind die Mieter aber nicht verpflichtet, den Stromtarif mit dem Ökostrom vom Dach zu wählen. Die Erfahrungen zeigen allerdings: Fast alle sind vom eigenen Solarstrom überzeugt und freuen sich über ein paar Euro mehr in der Tasche.

Kommt der Durchbruch?

Ob der ganz große Mieterstrom-Schub nun wirklich kommt, wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. Derzeit setzen viele Energieversorger auf eigene Mieterstrommodelle und umgarnen die Immobilienwirtschaft. Darunter sind etliche Energieunternehmen, deren Konzepte sich noch beweisen müssen und einige wenige Vorreiter, die viel Erfahrung gesammelt und deren Modelle sich in der Praxis bewährt haben.

Wie so oft hängt zudem viel von der Politik ab. Das Mieterstromgesetz sieht einen durchaus attraktiven Mieterstromzuschlag vor, der die EEG-Einspeisevergütung für Solaranlagen abzüglich einer Pauschale von 8,5 Cent vorsieht – garantiert auf 20 Jahre. Das Risiko lässt sich also gut abschätzen und mit sicherer Förderung durchrechnen. Zudem gibt es keine Zeichen, dass das Gesetz so schnell geändert werden soll.

Insofern lässt sich feststellen: Die meisten Modelle sind erprobt, genügend geeignete Dächer vorhanden und das Risiko überschaubar. Dem Mieterstrom-Durchbruch steht nicht im Weg. Clemens Weiß

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