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Die Meinung
21. Dezember 2021

Das Jahr der Schiene geht zu Ende

2021 war das Europäische Jahr der Schiene – ob dieses Jahr tatsächlich die Renaissance des europäischen Bahnverkehrs einläuten konnte, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Germanwatch sieht gute Chancen für eine Europäisierung des Bahnsystems.

Christoph Bals ist politischer Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch.

Christoph Bals ist politischer Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch.
Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch
Foto: Germanwatch

Die politische Unterstützung für mehr Zusammenarbeit beim Ausbau des Bahnsystems ist aktuell so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Hinzu kommt, dass die meisten Bürger:innen gerne in Europa die Bahn nützen würden – und dabei auch deutlich längere Reisezeiten gegenüber dem Flug in Kauf nehmen würden. Das zeigt eine repräsentative Umfrage in der EU, die das Institut YouGov in Deutschland, Polen, Frankreich, Spanien und den Niederlanden durchführte und die Transport&Enviroment gemeinsam mit Germanwatch im März 2021 veröffentlichte:

  • Eine große Mehrheit der Bürger:innen (69 Prozent) wären bereit Nachtzüge zu nutzen;
  • Mehr als ein Drittel der Befragten würde Reisezeiten von mehr als fünf Stunden bei Zugreisen akzeptieren;
  • Fast drei Viertel der Befragten (73 Prozent) sprechen sich dafür aus, dass Züge auf derselben Strecke prinzipiell kostengünstiger als Flüge sein sollen.

Dafür ist aber auch zentral, dass es mehr direkte Tag- und Nachverbindungen zwischen europäischen Metropolen auf bereits bestehender Infrastruktur gibt, dass die Buchung von internationalen Verbindungen vereinfacht wird und dass in grenzüberschreitende Infrastruktur und EU-Schlüsselkorridore investiert wird.

Deutschland ist wegen seiner geografischen Lage und relativen Größe ein wichtiger Knoten- und Transitpunkt für europäische Bahnverbindungen. Nicht nur führen viele der schon vorhandenen europäischen Langstreckenverbindungen durch Deutschland – auch sechs der neun Korridore im Rahmen des geplanten europäischen Verkehrsnetzes (Trans-European Transport Network, TEN-T) verlaufen durch Deutschland.

Bislang zeigte der Mangel an Dynamik, dass sich Bundestag und Bundesregierung offenbar der zentralen Bedeutung Deutschlands für die Europäisierung des Bahnverkehrs noch nicht vollumfänglich bewusst sind. Kann der Regierungswechsel in Deutschland nun eine Kehrtwende einleiten?

Eintausend neue Züge auf die Schiene bringen

Kürzlich hat die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, um einen Aufbruch für den Europäischen Langstrecken-Zugverkehr zu erreichen. Das könnte tatsächlich gelingen, wenn die vorgelegten Pläne in den nächsten Monaten so beschlossen und dann umgesetzt werden. Deutschland, das sich bisher bei solchen Vorschlägen fast immer wegen der Meinungsverschiedenheiten enthalten und damit auf EU-Ebene eher blockiert hat, könnte nun – wenn die entsprechende Zusage der Unterstützung der Vorschläge der EU-Kommission eingehalten wird -, endlich eine unterstützende Rolle spielen. Ein Lackmustest für den neuen Minister Wissing.

Positiv ist aus Sicht von Germanwatch, dass die Kommission für ein schnelles Hochfahren neuer europäischer Zugverbindungen unter anderem über die Europäische Investitionsbank ein Finanzpaket für das Anschaffen grenzüberschreitender Züge voranbringen will. Um das Ziel tatsächlich zu erreichen, ist auch der Kommissionsvorschlag nur ein substanzieller Startpunkt. Um den Hochgeschwindigkeitsverkehr bis 2030 zu verdoppeln, brauchen wir in der EU in etwa 1.000 zusätzliche Züge. Durch den Vorschlag und diese gezielte Investitionsförderung könnte es gelingen, mit dem Anschaffen nun schnell zu starten. Das ist essenziell, denn Züge zu bauen dauert seine Zeit. Ob er ausreicht, die Zahl der Züge im Hochgeschwindigkeitsverkehr entsprechend zu erhöhen, lässt sich auf dieser Grundlage noch nicht vorhersehen.

Der ebenfalls wichtige Vorstoß, dass die Bahnen bei Passagierdaten zusammenarbeiten sollen, würde endlich eine einfachere Buchung internationaler Verbindungen ermöglichen und Anschlussverbindungen garantieren. Entscheidend für ein Ende des europäischen Flickenteppichs beim Bahnverkehr ist zudem, dass die Kommission ihre im Aktionsplan noch zu vage Überlegung umsetzt, den grenzüberschreitenden Zugverkehr besser zu koordinieren. Germanwatch schlägt vor, hierfür eine Stärkung der Europäischen Eisenbahnagentur zu prüfen.

Lackmustest für Verkehrsminister Wissing

Nun kommt es darauf an, ob das Paket von den EU-Staaten unterstützt und dann schnell umgesetzt wird. In seiner Regierungserklärung am 14.12. kündigte Bundeskanzler Scholz die volle Unterstützung der EU-Pläne für das Fit-For-55-Programm an. Auch sprach er die Unterstützung des notwendigen Ausbaus des Eisenbahnnetzes an. Mobilität solle einfacher, klimafreundlicher, bezahlbarer werden. EU-Nachtzüge sollten ausgebaut werden und ebenfalls das Schienennetz. In Deutschland sollen auch stillgelegte Trassen reaktiviert und der Schienengüterverkehr gestärkt werden.

Noch ist aber nicht gesichert, dass all diese Ankündigungen tatsächlich zur notwendigen Unterstützung eines Neuaufbruchs für die Bahn in Deutschland und Europa führen. Hier gilt es den neuen Bundeskanzler beim Wort zu nehmen: Es ist wichtig, ambitionierte Ziele zu haben. Viel wichtiger ist es, diese tatsächlich umzusetzen.




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