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Die Meinung
08. Februar 2023

Gott der Geschwindigkeit

Der Verkehrssektor ist der größte Klimasünder im deutschen Kabinett und für etwa ein Fünftel der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich. Entsprechend groß und dringlich ist der Handlungsbedarf. Wie wir bei der Verkehrswende endlich aus den Puschen kommen.

Prof. Dr. Claudia Kemfert, Energieökonomin und Buchautorin

Prof. Dr. Claudia Kemfert, Energieökonomin und Buchautorin
Claudia Kemfert
© Christian Frey

Der deutsche Verkehrsminister geht offenbar gern joggen. Er sollte also wissen, wie man aus den Puschen kommt und wie man Strecke macht. Nicht lang drumherum reden, sondern loslaufen. Schritt für Schritt. Überraschend mau fällt allerdings nach einem Jahr im Amt die Bilanz ob seiner wohl wichtigsten Aufgabe aus: die kontinuierliche Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen bis 2030, insgesamt geht es um eine nahezu Halbierung der Emissionen.

Von dieser Zielzahl ist der Verkehrssektor weit entfernt. Das vom Verkehrsministerium vorgelegte Sofortprogramm spart nach eigenen Angaben 14 Millionen Tonnen an Treibhausgas-Emissionen ein, was nicht ansatzweise ausreicht, und nur ein Bruchteil der notwendigen einzusparenden CO2 Emissionen ausmacht. Auch der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung schlug deshalb Alarm. Bei der Verkehrswende reicht das jetzige Schneckentempo nicht aus.

Nun betont der Minister stets, das Thema Verkehrswende sei komplex und müsse konzeptionell strategisch angegangen werden. Zugleich weist er auf den Erfolg beim „Deutschlandticket“, die Einführung eines bundesweit gültigen Nah- und Regionaltickets zu einem moderaten Preis von 49 Euro im Monat. Ab Mai 2023 werde es deswegen erhebliche CO-Einsparungen geben. Was stimmt, aber der Komplexität der Mobilität nicht annähernd gerecht wird.

Schon jetzt ächzt die über Jahre vernachlässigte Bahninfrastruktur unter den stetig wachsenden Kundenzahlen. Die hohe Unpünktlichkeit und dadurch kaum planbare Reisezeiten im ÖPNV lassen die Menschen am Auto festhalten, wenn sie – trotz Kosten, Umwegen, Anstrengung und Klimaschädlichkeit – über die Autobahn schneller ans Ziel kommen.

Insofern mutet es absurd an, wenn den Staatsausgaben von rund 24 Milliarden Euro bis 2030 für das Deutschlandticket, die Pläne des Verkehrsministeriums in den nächsten Jahren mindestens 30 Milliarden Euro für den Ausbau von Autobahnen vorsehen. Wer durch Preissenkung die Nachfrage nach klimafreundlicher Mobilität erhöht und gleichzeitig die Attraktivität fossiler Mobilitätsangebote vergrößert, fährt die Verkehrswende bewusst gegen die Wand. Dass dies überhaupt möglich ist, liegt auch daran, dass weder im Straßenverkehrsgesetz noch in der Straßenverkehrsordnung (StVO) Klimaschutz als Zielsetzung fest verankert ist. Noch immer gilt der Vorrang für den automorisierten Individualverkehr. Besonders erkennbar an der noch immer verfehlten Verkehrspolitik.

Allein durch die von Minister Wissing vorgelegte Projektliste zur sogenannten „Engpassbeseitigung“ im Straßenverkehr würden jedes Jahr zusätzlich mindestens 410.500 Tonnen CO₂ in die Luft geblasen, wie die Umweltorganisation BUND errechnete. Wer das Verkehrssystem klimagerecht und nachhaltig umbauen will, muss den motorisierten Individualverkehr verringern und den Bahnverkehr stärken. So wird Verkehr vermieden, der Energieverbrauch verringert, Emissionen reduziert, und obendrein weitere Probleme des Verkehrs wie Flächenverbrauch, Lärm und Unfallrisiken gelöst.

Dazu gehören nicht zuletzt intelligente und integrierte Mobilitätslösungen –  Stichwort Digitalisierung – und die Elektrifizierung des Verkehrs. Der Anteil erneuerbarer Energien muss schneller wachsen. Die Einführung einer Elektrofahrzeugquote von 25 Prozent ab dem Jahr 2025 und 50 Prozent ab 2030 wäre geeignet, die Marktdurchdringung schneller voranzubringen. Eine blaue Plakette zur Kennzeichnung aller Emissionen sollte eingeführt werden. Außerdem braucht es eine enge Verzahnung von Öffentlichem Personennahverkehr und Ride-Sharing-Konzepten, auch mit dem Fahrrad. Elektromobilität auf der Schiene ist schon recht weit fortgeschritten, aber längst nicht am Ziel. Und auch die Emissionen aus dem Schiffs- und Luftverkehr müssen dringend runter.

Der Verkehrssektor ist der größte Klimasünder im deutschen Kabinett und für etwa ein Fünftel der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich. Scheitern die Klimaziele der Bundesregierung, weil das Verkehrsministerium scheitert? Während in anderen Sektoren seit 1990 zum Teil deutliche Emissionsminderungen erzielt wurden, sind die Emissionen des Verkehrs im gleichen Zeitraum sogar leicht angestiegen. Entsprechend groß und dringlich ist der Handlungsbedarf.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages warf Verkehrsminister Wissing Anfang Januar deswegen in einem Gutachten vor, gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes zu verstoßen. Das Gesetz verlange nämlich, „die Einhaltung des korrigierten Emissionsminderungspfades für die folgenden Jahre sicherzustellen“. Der Verkehrsminister müsse deswegen nicht nur Maßnahmen vorschlagen, wie er die im Vorjahr zu viel emittierten Emissionen bis 2030 wieder einspart, sondern auch die übrigen einzusparenden Emissionen. Und das ist eine Menge.

Umgerechnet hieße das: Unser Emissionsvorrat, der noch bis 2030 reichen soll, wäre – wenn wir so weitermachen – schon 2028 leer. Danach hätten wir radikalen Stillstand in Deutschland. Nur wer zu Fuß geht, Rad fährt oder mit regenerativen Energien angetrieben wird, dürfte sich dann noch bewegen.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die FDP oder ihr Verkehrsminister diese Art von Vollbremsung anstrebt; insofern scheint sie entweder die 2030-Ziele gar nicht unbedingt erreicht zu wollen oder insgeheim dafür zu beten, dass demnächst eine göttliche Allround-Rettungstechnologie vom Himmel fällt. Mit Vernunft jedenfalls lässt sich diese Verweigerungshaltung nicht mehr erklären. Aber vielleicht bringt der Gott der Geschwindigkeit auch mal Tempo in die Umsetzung der vielfältigen und auch für Normalsterbliche leicht zu realisierenden Maßnahmen.

Man könnte problemlos mit der Angleichung der reduzierten Dieselsteuer an das Niveau der Benzinsteuer anfangen. Das würde dem Staat Einnahmen von acht Milliarden Euro pro Jahr verschaffen. Dagegen dürfte auch Finanzminister Lindner nichts einzuwenden haben.

Und man könnte – die Mehrheit der Deutschen befürwortet das! – unverzüglich ein generelles Tempolimit einführen. Das hält selbst der – hinsichtlich freiheitsfeindlicher Gedanken völlig unverdächtige  – wissenschaftliche Dienst des Bundestages für eine geeignete, schnell wirkende Maßnahme, um die CO2-Emisionnen zu reduzieren. Eine, die leicht umzusetzen wäre, und die deutlich mehr Emissionen einspart, als man bislang dachte. Jedenfalls ergab eine neue Studie des Umweltbundesamtes (UBA), dass Tempo 120 pro Jahr 6,7 Millionen Tonnen CO2 sparen würde – ergäbe bis 2030 also über 50 Millionen Tonnen.

Doch offensichtlich kleben die Fossil-Fuel-Fans der FDP stärker an ihrer Geschwindigkeitsideologie als Klimaschützer an Klimt-Gemälden. Beim Tempolimit bleiben sie Totalverweigerer. Dabei bräuchte es nicht mal sonderlich ausgeprägte ökonomische Phantasie, um zu erkennen, dass die wirtschaftlichen Chancen einer nachhaltigen Mobilität für die deutsche Volkswirtschaft enorm sind. Allerdings müssten wir dazu endlich mal aus den Puschen kommen.




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