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Die Meinung
04. Oktober 2023

„Tischler gegen Schreiner“

Mit dieser Aussage an seinem Lastenrad protestierte ein Handwerker Anfang Juli zusammen mit 13.000 Berliner*innen gegen die neue Verkehrspolitik des CDU-SPD-Senats. Die gleicht einem Kahlschlag für Rad- und Straßenbahnprojekte.

Ragnhild Sørensen, Netzwerk Changing Cities e.V.  

Ragnhild Sørensen, Netzwerk Changing Cities e.V.  
Eine Frau mit kurzen grauen Haaren und schwarzem Pulli
Bild: Changing Cities

Erst wurde der von der Vorgängerregierung und den Verbänden ausgehandelte Wirtschaftsverkehrsteil des Mobilitätsgesetzes gestoppt. Dann ordnete die Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) eine „Priorisierung“ aller Radprojekte der Hauptstadt an. Wenige Wochen und 21 Demonstrationen später wurden die meisten zwar wieder „freigegeben“, aber dann folgte der Vorschlag der CDU-Fraktion zur Änderung des Mobilitätsgesetzes – ein verkehrspolitischer Kahlschlag, der Berlin zurück in die 1950er Jahre katapultieren soll, zurück in die autogerechte Stadt.

Aber wie viele Vergleiche hinkt auch dieser: Im Jahr 1960 gab es gerade mal 153.000 angemeldete Pkw in Berlin, heute sind es fast zehnmal so viele, Tendenz steigend. Das Berlin der 1950er Jahre war also bereits näher dran an der lebenswerten Stadt als Berlin unter der heutigen CDU. Das Fahrrad war damals das Verkehrsmittel der Wahl: Günstig, schnell und sicher waren zehntausende Angestellte jeden Tag in Berlin unterwegs. Die Stadt hatte zudem ein dichtes Netz an Straßenbahnen, das 1967 in Westberlin komplett und in Ostberlin teilweise stillgelegt wurde. Damit endete die „Elektrische“, die vor 1881 noch mit Pferden betrieben wurde und mehr als ein halbes Jahrhundert lang die Berliner*innen über mehr als 650 km durch die Stadt beförderte.

Zurück in die Vergangenheit: Der aktuelle Änderungsvorschlag der CDU-Fraktion will genau so wie damals den gerade erst wieder aufgenommenen Straßenbahnausbau stoppen. Heute geht es der Partei vor allem darum, die Verkehrswende auszubremsen und das Auto als Stehzeug in der deutschen Hauptstadt zu bevorzugen. Parkplätze und Kfz-Spuren sollen erhalten bleiben, Radwege schmaler oder gar nicht gebaut werden. Fußgänger*innen haben sich dem Fluss des Autoverkehrs unterzuordnen – und Kiezblocks soll es gar nicht mehr geben. Außerdem verspricht die CDU den konsequenten Ausbau der A100 und verpackt es in wohlklingende Worte: „Der Kampf gegen das Auto ist beendet.“

Dieses Rollback ist aber selbst für die CDU schwer zu begründen: Sie behauptet ja gleichzeitig, die Verkehrssicherheit verbessern und vor 2045 klimaneutral werden zu wollen. Ihr Credo: Mehr Miteinander und Mobilität für alle. Die Diskrepanz zwischen behaupteten Zielen und Lösungsvorschlägen der CDU könnte nicht größer sein – die Rhetorik und die Realität rauschen geradezu auseinander ...

Übertreibungen und sogar Lügen gehörten schon immer zum politischen Theater. In einer immer komplexer werdenden Welt sind diese aber viel schwerer zu durchschauen und zu entlarven. Die CDU sagt: „Der Kampf gegen das Auto ist beendet“ – und inszeniert damit einen Kompromiss, dem niemand zugestimmt hat. Aber wer will das nachweisen? Welche Mehrheit tut sich zusammen und sagt: „Nein, dieser Kompromiss existiert nicht“? Begriffe wie eine „schweigende Mehrheit“ oder – abgeschwächt – ein „Miteinander“ suggerieren, dass es in der Gesellschaft konfliktfreie, homogene Gruppen oder Räume gibt. Statt Menschen in den Umgang mit Konflikten zu befähigen und die komplizierte Interessenlage anzuerkennen, ja sogar gutzuheißen, weil wir aus Konflikten und Dialog und Fehlern lernen können, wird die Möglichkeit einer konfliktfreien Welt herbeigeredet. Und das ausgerechnet in Berlin ...!?!

Forschung und Wirtschaft staunen und schämen sich im Stillen. Die Pläne des CDU/SPD-Senats sind in etwa so weit von einer angestrebten nachhaltigen Entwicklung der Bundesrepublik entfernt wie die Zulassung des Rauchens überall zur Gesundheitsförderung. Ein Unbehagen macht sich breit: Berlin verspielt gerade sein Image als attraktive, zukunftsorientierte Metropole. Fachkräftemangel war gestern, heute brauchen die Städte jeden – und müssen deshalb neben bezahlbaren Wohnungen ein urbanes, lebenswertes Umfeld anbieten. Ein öffentlicher Raum, der nur als Transitraum für Kfz dient, entspricht diesen Erwartungen nicht.

Es ist auch einfach ein Stück weit… peinlich! International blamieren wir uns, weil gerade mal 11,6 Prozent der Menschen in Berlin die CDU gewählt haben. Die Anzahl der Nichtwähler*innen und nicht Wahlberechtigten lag bei 58 Prozent. Die Berliner Regierung hat also ein echtes Legitimatationsproblem. Dies zu adressieren, ist essenziell für die Zukunft Berlins.

Das Mobilitätsgesetz ist ein sorgfältig ausgehandelter Kompromiss zwischen Zivilgesellschaft und Politik und der Versuch, Mobilität, Städtebau und Klimaschutz unter einen Hut zu bringen. Umweltverbund (Fuß/Rad/ÖPNV) und Wirtschaftsverkehr sollen Vorrang bekommen, damit das Leben in Berlin in Bewegung bleibt. Die Verwaltung soll transparent und digital arbeiten, Bürgerbeteiligung zum Alltag gehören, und Experimentierräume sollen entstehen. Diese Vision steckt im Berliner Mobilitätsgesetz. Die lassen wir uns nicht „zerschreinern“.




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