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Die Meinung
25. Oktober 2023

Wohnungsmangel und Klimaschutz können kein Entweder-Oder sein – und müssen es auch nicht

In Deutschland fehlt Wohnraum. Aus Klimaperspektive ist der Fokus auf Neubauten jedoch problematisch. Die Lösung? Sanieren, umbauen, umnutzen, tauschen. Das Potenzial ist groß.

Kristian Prewitz, klimapolitischer Referent für den Sektor Gebäude bei GermanZero

Kristian Prewitz, klimapolitischer Referent für den Sektor Gebäude bei GermanZero
Kristian Prewitz
Foto: GermanZero e.V

Am Ende stand als Ergebnis des Baugipfels der Bundesregierung im September ein 14-Punkte-Plan. Die Maßnahmen adressieren auf den ersten Blick wichtige Stellschrauben, so richtig zufrieden schien damit außer der Regierung selbst und Teilen der Bauwirtschaft aber niemand. Einige der Eingeladenen nahmen gar nicht erst teil, darunter namenhafte Verbände der Immobilienwirtschaft. Die Deutsche Umwelthilfe war bereits zuvor aus dem „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ ausgetreten und fordert einen „kompletten sozial-ökologischen Neustart der Bündnisarbeit“. Den Gewerkschaften und Sozialverbänden fehlten deutliche Signale in Richtung sozialem Mieterschutz. Kein gutes Zeichen für einen Gipfel, der geschlossenes Vorgehen in der sogenannten „Baukrise“ symbolisieren sollte.

Zumindest bei der Ausgangslage herrschte Einigkeit: Aktuell fehlt es an Hunderttausenden bezugsfertigen und bezahlbaren Wohnungen in Deutschland. Deshalb hatte das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen zum Gipfeltreffen geladen. Weniger einig war man sich dann aber bei den möglichen Lösungen für dieses mehr als dringliche Problem - am Ende bot der Baugipfel jedenfalls aus vielerlei Sicht keine ausreichende Antwort darauf.

Auch nicht, wenn man wie ich aus einer Klimaperspektive darauf blickt. Dann wird schon in der Anlage des Treffens deutlich, welches Versäumnis das Ergebnis aufweisen musste: Die Klimawende muss warten.

Denn der Baugipfel setzte einen klaren Fokus: Mehr Neubau schaffen, um Wohnraum zu gewinnen. Ganz im Sinne der Immobilienbranche, der die Beschlüsse dahingehend trotzdem nicht weit genug gingen. Dabei kam ihnen Bundesministerin Klara Geywitz mit dem Aussetzen des Neubau-Standards Effizienzhaus 40 (EH 40) schon deutlich entgegen. Der sollte laut Koalitionsvertrag eigentlich bereits ab 2025 gelten. Geringere Energiestandards als Bauanreiz? Für die Klimawende ein fatales Signal, denn für leicht reduzierte Investitionskosten riskiert die Bundesregierung, dass noch viel mehr Menschen jahrzehntelang in Wohnungen mit hohen Heizkosten und hohen CO2-Emissionen leben werden. Die Folgen: Noch mehr soziale Ungleichheit und eine schlechte Klimabilanz.

Noch gravierender ist aber das grundsätzliche Problem, das sich dahinter verbirgt: Der Fokus auf Neubau statt Sanierung von Bestandsbauten ist aus Klimasicht eine eher schlechte Strategie, um den Sektor wohn- und zukunftssicher zu machen.

Umbau und Sanierung statt Neubau

Warum? Hierzu lohnt ein Blick auf den Lebenszyklus von Gebäuden, der nicht allen so klar sein dürfte. Wenn wir über die „Ökobilanz“ von Gebäuden sprechen, denken wir oft an die reine Nutzungsphase eines Hauses. Deshalb achten wir vor allem auf die verbaute Heizung und die Dämmung, wenn wir von Energie-Effizienz und Klimaneutralität reden.

Doch auch davor und danach entstehen Treibhausgase – bei der Herstellung von Baustoffen, beim Transport, beim Bau selbst und am Ende auch bei einem möglichen Abriss des Gebäudes. Tatsächlich fällt rund die Hälfte der Emissionen, die ein Gebäude über seinen gesamten Lebenszyklus verursacht, für die sogenannte „graue Energie“ an.

Neben diesem hohen Energieverbrauch in quasi “nutzloses” Zeiten spricht ein weiteres Argument gegen vermehrten Neubau: Mit jedem neuen Gebäude geht eine Flächenversiegelung einher. Das führt zum Beispiel dazu, dass Grundwasser nicht mehr versickern kann, die Gefahr von Überschwemmungen steigt und sich mangels Verdunstungsmöglichkeit die Städte im Sommer stärker aufheizen. Selbst ein nach bisherigen Methoden als sehr effizient geltender Neubau kommt deshalb aus Klimasicht kurz- bis mittelfristig nicht gegen ein gut saniertes Gebäude an. Zudem werden wir uns zunehmend mit Klimaanpassungsstrategien beschäftigen müssen – jede neu versiegelte Fläche wird spätestens dann zum Problem.

Allein aus diesen Gründen erscheint es absurd, dass – wenn doch neu gebaut wird – niedrigere Effizienzstandards gelten sollen als geplant. Was macht nun aber klimagerechten und bezahlbaren Wohnraum auf einen Schlag möglich?

Umbau, Umnutzung, Tausch, vertikale Verdichtung und Sanierung von leerstehenden Wohngebäuden. Das Potenzial dafür ist groß: Eine Studie der TU Darmstadt von 2019 geht von etwa 2,5 Millionen Wohnungen aus, die vor allem durch Aufbau auf bestehenden Gebäuden entstehen könnten, also ohne einen einzigen Quadratmeter Fläche neu zu versiegeln. Auf ein Gesamtpotenzial von 4,1 Millionen neuen Wohnungen ohne Neubau kommt eine ARGE-Studie aus dem letzten Jahr. Interessant: Allein aus Umnutzung von nicht benötigten Büro-, Verwaltungs- und Nichtwohngebäuden könnten schon knapp zwei Millionen Wohnungen resultieren. Ein weiteres wirksames Instrument ist Wohnungstauschvorhaben zu fördern, durch die nahezu ressourcenneutral neue Wohnflächen erschlossen werden können. Etwa, indem ein älteres Ehepaar aus einem Einfamilienhaus, nachdem die Kinder aus dem Haus sind, in eine kleinere Wohnung zieht und Platz macht für eine junge Familie, der diese Wohnung nicht mehr ausreicht.

Bauen und Sanieren im Kreislauf

Eines gilt sowohl im Neu- als auch im Bestandsbau: Wir brauchen einen Wandel hin zu mehr Bauen und Sanieren im Kreislauf. Denn die Baubranche ist gegenwärtig für mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland verantwortlich, aber Baustoffe wiederzuverwerten oder auf Alternativen zu emissionsintensivem Beton zu setzen, spielt bisher kaum eine Rolle. Dabei könnten auf diese Weise hohe Mengen an Treibhausgasen eingespart werden, wie GermanZero im Mitte 2023 veröffentlichten Klimanotstandspaket zeigt. Es vereint die wirksamsten Maßnahmen, die Deutschland auf den notwendigen Reduktionspfad bringen, um die Pariser Klimaziele noch einzuhalten, auch im Gebäudesektor. Allein durch Wiederverwendung und Recycling von Bauteilen und -stoffen könnten so 24 Millionen Tonnen CO2-Äquvivalente gespart werden.

Dass sich im Gebäudesektor dringend etwas tun muss, zeigt allein die Tatsache, dass die von der Bundesregierung im Klimaschutzgesetz selbstgesteckten Minderungsziele bereits mehrere Jahre in Folge gerissen wurden. Neben dem Bauen sorgt das Heizen in Verbindung mit schlechten Sanierungszuständen dafür, dass der Sektor für 15% der Gesamtemissionen in Deutschland verantwortlich ist. Das Klimanotstandspaket enthält acht Maßnahmen, mit denen bereits 80 Prozent der nötigen Einsparungen erreicht werden können, die es für eine Klimaneutralität des Sektors bis 2035 braucht. Die mit Abstand wirksamste Maßnahme wäre eine Reform des nationalen Brennstoffemissionshandels und damit verbunden ein CO2-Preis, der fossiles Heizen und konventionelle Neubauten ganz ohne weitere Vorgaben unattraktiv macht – natürlich immer zusammengedacht mit der finanziellen Unterstützung von Mieter:innen. Flankiert wird der CO2-Preis, der die Effekte auf Klima und Umwelt berücksichtigt, unter anderem mit der Ausweitung von Sanierungsverpflichtungen, einer PV-Pflicht und der Förderung von klimafreundlicheren Bau- und Dämmstoffen. Wenn doch neu gebaut wird, soll mindestens der Nullenergiestandard gelten und das wichtigste Kriterium zum Erteilen einer Baugenehmigung die CO2-Bilanz über den gesamten Lebenszyklus sein.

Soziale Herausforderungen und Klimafragen zusammendenken

Auch in Zeiten mangelnden Wohnraums sollte die Bundesregierung mutig kommunizieren, dass es klima- und platztechnisch nicht vertretbar ist, dass immer mehr Neubausiedlungen am Rande der Städte entstehen – denn es gibt alternative Wege. Sie darf es nicht weiter versäumen, soziale Herausforderungen und ökologische Fragen miteinander zu denken. Mehr Klimaschutz darf nicht immer wieder in die Zukunft geschoben werden, vor allem nicht im Gebäudesektor – denn was einmal gebaut ist, steht oft für Jahrzehnte.

Mein Vorschlag: Die Bundesregierung sollte zeitnah zu einem Umbau- und Sanierungsgipfel einladen. Unabhängig von den großen Immobilienkonzernen, die bei so einem Gipfel womöglich absagen würden, sollte sie die zahlreichen kommunalen Wohnungsbauunternehmen stärken, die keine Rendite erwirtschaften müssen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Gleichzeitig müssen Sozial- und Umweltverbände wie auch Klimaschutzorganisationen ebenfalls am Tisch Platz nehmen. Die sozial-ökologische Transformation gelingt uns auch beim Wohnungsbau nur gemeinsam – und die Zeit ist knapp.




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