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Nachgefragt
10. Mai 2022

„Belohnen, das Auto stehenzulassen“

Es braucht kluge Anreize, um der Mobilitätsgarantie im ÖPNV, vor allem im ländlichen Raum, näher zu kommen. Dazu gehören neben dem Angebotsausbau ein besseres Management, erweiterte Fahrgastrechte im Verbund von Schiene und Bus, ein 365-Euro Jahresticket sowie die Belohnung ökologischen Verhaltens.

Daniel Herfurth ist Nahverkehrsexperte an der Universität Konstanz

Daniel Herfurth ist Nahverkehrsexperte an der Universität Konstanz
Daniel Herfurth, Nahverkehrsexperte an der Universität Konstanz
Bildquelle: www.foto-am-muenster.de / Alexander Schmidt Foto am Münster

Herr Herfurth, m grün-schwarzen Koalitionsvertrag 2021-2026 gibt die baden-württembergische Landesregierung eine flächendeckende Mobilitätsgarantie mit dem ÖPNV in Stadt und Land, Kann dieses ehrgeizige Ziel realistischerweise innerhalb weniger Jahre erreicht werden, vor allem im ländlichen Raum?

Die Mobilitätsgarantie des Koalitionsvertrags richtet sich zunächst auf das Angebot: Alle Orte sollen von 5 Uhr bis Mitternacht grundsätzlich im Stundentakt erreichbar sein. Der Takt wird je nach Einwohnerzahl und Verkehrszeit bis auf 15 Minuten verdichtet. Das ist ein Leistungsversprechen und das kostet Geld, denn der Großteil des ÖPNV fährt mit Steuergeld. Wenn die Mittel in den Haushaltsberatungen den Landtag passieren können, bin ich zuversichtlich, dass das funktionieren kann. Hilfreich wären dazu auf dem Land Angebotsformen,  deren Betriebskosten geringer sind als bei konventionellem ÖPNV. Dazu gehören in gewissem Rahmen On-Demand-Angebote, wichtiger sind aber autonome Shuttles in Teilen des Linienverkehrs. In der Einführungsphase werden sie teurer sein als konventioneller ÖPNV, aber langfristig ist dort mit niedrigeren Betriebskosten zu rechnen. Das eröffnet die Chance, auch auf schwach nachgefragten Relationen einen dichten Takt finanziell durchhalten zu können. Denn es ist klar: Ein gutes Angebot wird nicht sprunghaft gut angenommen. Menschen müssen sich nach und nach an die neuen Optionen gewöhnen. Da gilt es, nachfrageseitige Durststrecken durchzustehen und das Angebot trotzdem nicht wieder zu kürzen.

Was sind denn einige wichtige Stellschrauben und Erfolgsfaktoren, um einer solchen Mobilitätsgarantie schrittweise näher zu kommen?

Neben dem Angebotsausbau ist das Management und der rechtliche Rahmen im Störfall entscheidend: Ein dichter Fahrplan ist ja zunächst einmal ein Versprechen. Was ist aber, wenn ich wegen Verspätungen den letzten Anschluss verpasse? Wie wird dann das Mobilitätsversprechen eingelöst? Die Fahrgastrechte im Schienenverkehr sind gut, es hapert aber noch an der Schnittstelle Zug-Bus bei Fernverkehrsfahrkarten und bei Fahrten außerhalb von Verkehrsverbünden: Wer mit dem ICE von Berlin nach Ulm, dann mit dem RE nach Riedlingen und dann noch mit dem Bus nach Hause fahren möchte, der wird bei Problemen innerhalb der Zugreisekette zwar noch bis zu seinem letzten Zielort im Schienenverkehr gebracht. Für die letzte Meile mit dem Bus schaut er bei verpasstem Anschluss aber in die Röhre. Gerade Menschen, die den ÖPNV wenig nutzen, werden von der Vorstellung, irgendwo zu stranden, massiv abgeschreckt: weil die letzten Kilometer nicht garantiert werden, entscheiden sich Menschen dafür, lieber die Gesamtstrecke von mehreren hundert Kilometern mit dem Auto zu fahren.

Das heißt, die organisatorische Verankerung des ÖPNV spielt auch eine wesentliche Rolle für ein möglichst attraktives Angebot?

Ja, alle Nutzer müssen stets das Gefühl haben, dass sie im öffentlichen Verkehr gut aufgehoben sind. Die verantwortlichen Stellen müssen signalisieren: „Wir bringen dich an dein Ziel, komme was wolle“. Dazu ist es hilfreich, wenn klar ist, wer die verantwortliche Stelle ist. Hier haben die Reformen der 90er Jahre – Bahnreform und Regionalisierung – nicht gerade für mehr Übersichtlichkeit gesorgt. Eine einheitliche Stelle für Informationen im Störungsfall und für die Regulierung einer umfassenden Mobilitätsgarantie wäre ein richtiger Schritt.

Welche Regionen sind denn in Baden-Württemberg Vorreiter für einen attraktiven undnutzerfreundlichen ÖPNV?

Ich möchte niemanden vor den Kopf stoßen. Aber es gibt Indizien, an denen das jeder leicht erkennen und dann selbst beurteilen kann: Gibt es zumindest auf Hauptachsen auch sonntags ein Busangebot, mindestens im 2-Stunden-Takt? Gibt es ein innovatives Ticketsortiment? Gibt es Kombiangebote mit Bike- oder Carsharing? Gibt es einen einheitlichen, unternehmensübergreifenden Auftritt an den Haltestellen und in den Informationsmedien? Gibt es eine Mobilitätsgarantie im Sinne der Kostenübernahme für Taxifahrten bei Anschlussverlust? Gibt es ein Bewusstsein für Mobilitätsdrehscheiben (Aufenthaltsqualität, Abstimmung der Fahrpläne, Regeln der Anschlusssicherung, Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln)? Mit diesen Punkten kann man einen ersten Eindruck davon erhalten, ob man sich gerade in einer eher fortschrittlichen Region aufhält oder in einer, die noch Nachholbedarf hat.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Einführung eines kostenfreien ÖPNV, wie in Tübingen und nun die bundesweite, befristete Einführung eines 9-Euro-Monatstickets für die Monate Juni bis August. Bietet dies die Chance mehr Menschen dauerhaft in Busse und Bahnen zu bringen?

Ja, der Preis ist immer unter den wichtigen Punkten. Das zeigen die Umfrageergebnisse zum Thema ÖPNV-Nutzung der letzten zwei Jahrzehnte sehr konstant. Schaut man auf das jüngste KfW-Energiewendebarometer, ist ein zu hoher Preis für Menschen in Großstädten sogar die Nummer Eins unter den Gründen, den ÖPNV nicht zu nutzen. Befristete Aktionen wie das 9-Euro-Ticket haben eher nicht das Potenzial, Menschen dauerhaft zum Umsteigen zu motivieren.    Ich hoffe aber sehr darauf, dass nach dem 3-monatigen Aktionszeitraum der politische Druck groß genug ist, eine dauerhafte Anschlusslösung zu finden. Das könnte z.B. das 365-Euro-Jahresticket sein. Zu diesem Preis wird man realistischerweise nicht in ganz Deutschland den ÖPNV nutzen dürfen, aber ein Gebiet von der Größe eines Bundeslandes oder zumindest eines größeren Verkehrsverbundes sollte es schon sein.

Wie häufig nutzen Sie eigentlich selbst den ÖPNV, auch im ländlichen Raum?

Wie bei vielen Menschen hat sich auch mein Mobilitätsverhalten in der Corona-Pandemie verändert. Ich war vorher ausschließlicher ÖPNV-Nutzer – auch im ländlichen Raum – und bin seitdem ein Mischnutzer. Das Verständnis für die Anliegen aus beiden Welten – dem ÖPNV und dem Autofahren – ist wichtig, um beides in Zukunft besser zusammenbringen zu können. Denn es ist nicht realistisch – nicht einmal mit der baden-württembergischen Mobilitätsgarantie – dass Menschen auf dem Lande künftig ganz auf ein Auto verzichten. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn sie immer dann verzichten, wenn es gute Alternativen gibt. Dazu bedarf es kluger Anreize, die es belohnen, das Auto stehenzulassen, anstatt ökologisches Verhalten zu bestrafen. Noch gilt, dass wer trotz Autobesitz oft Bus und Bahn nutzt, aus ökonomischer Sicht unklug handelt: Er muss die Fixkosten des Autos ohnehin tragen und wird daher dazu angereizt, das Auto für alle seine Wege zu nutzen. Das ist die entscheidende Stellschraube, an der wir ansetzen müssen.

Das Interview führte Hans-Christoph Neidlein.


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