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Mobilität im WandelWir müssen uns bewegen

Blick in die Friedrichstraße in Berlin mit Fahrrad- und Tretrollerfahrern
Die Friedrichstraße in Berlin wurde in Teilbereichen zur Fahrradstraße umgewandelt. (Foto: Angelika Boehm)

Die Klimaziele sind ohne Übergang zu einer postfossilen Mobilität nicht zu schaffen. Im Zeichen von Krieg und Krisen wird klar, dass es mehr Tempo braucht. Es geht um mehr als eine Energiewende im Verkehr: Nachhaltige Mobilitätskonzepte müssen jetzt in die Spur kommen.

28.04.2022 – Klimakrise, Pandemie, Krieg, Energiekrise – unser Leben hat sich in vielen Lebensbereichen rasant verändert. Immer stärker beeinflusst wird dadurch auch unsere schier grenzenlose Mobilität – die wir für selbstverständlich nehmen, die aber zunehmend in Frage gestellt wird. Vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine hat die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin einen rascheren Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen im Verkehrssektor gefordert und warnt davor, zum Spielball geopolitischer Interessen zu werden: „Jetzt bezahlen wir den Preis für die verschleppte Energiewende und müssen umsteuern.“.

Mit steigenden Ölpreisen würde Autofahren zur sozialen Frage, so Kemfert, und plädiert für einen Ausgleich über die CO2-Bepreisung pro Kopf und Rückerstattung. Die von der Ampelregierung erhöhte Pendlerpauschale hält die Energieexpertin für sozial ungerecht – da die Pauschale Bezieher hoher Einkommen bevorzuge und plädiert eher dafür, ein Mobilitätsgeld einzuführen – möglichst ausgerichtet auf eine ökologische Wahl der Verkehrsmittel. Dazu müssten Bahn, ÖPNV, Rad- und Fußwege, aber auch Digitalisierung, E-Mobilität und Ladeinfrastruktur forciert werden. Kemfert hält auch eine E-Auto-Quote für hilfreich, um „möglichst schnell eine Marktdurchdringung“ zu erreichen. Die Milliarden Euro, die Deutschland für fossile Energien ausgebe, fließen nun auch in Putins Kriegskasse. „Dieses Geld sollten wir in eine Zukunftsmobilität investieren.“

Der Anteil Erneuerbarer Energien im Verkehrssektor ist bescheiden. Einschließlich des Stromverbrauchs im Schienen- und Straßenverkehr betrug er seit 2008 bis 2019 stetig zwischen fünf bis sechs Prozent. Im Jahr 2020 stieg der Anteil laut Bundesumweltamt auf 7,5 Prozent an. Damit 15 Millionen E-Autos, die bis 2030 auf Deutschlands Straßen rollen sollen, einfach laden können, bedarf es staatlicher Subventionen und einer Million öffentlicher Ladesäulen. Darauf sollen laut Ampelregierung die Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen ausgerichtet werden – man setze dabei auch auf die Mobilisierung privater Investitionen. Auch auf EU-Ebene tut sich was. „Wir wollen bis 2025 eine Garantie für die E-Mobilität in der EU schaffen, damit jeder von Nordschweden bis Südbulgarien ohne Probleme mit dem E-Auto unterwegs sein kann“, sagt Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament und deren Verhandlungsführer zur Verordnung für die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR). Hauptziel ist es, eine einheitliche Lade- und Tankstelleninfrastruktur in der EU zu schaffen. Bei der neuen Verordnung sind auch erstmals Verpflichtungen für den Ausbau der See- Binnenschiffs- und Luftverkehrsinfrastruktur vorgesehen.

Klimaneutraler Verkehr in weiter Ferne

In weniger als 23 Jahren will Deutschland klimaneutral sein. Erneuerbare Energien sollen dann Millionen Elektrofahrzeuge antreiben, Flugzeuge und Schiffe teilweise auf grünen Wasserstoff umgestiegen und eine neue Infrastruktur für Ökostrom aufgebaut sein. Auch bei der Verkehrswende sind der Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Integration der E-Mobilität ins Stromsystem die oberste Prämisse. Kombiniert werden muss das mit klugen Mobilitätskonzepten. Laut Umfragen wünschen sich viele Bürger eine Verkehrswende – doch wenn sie an jeden Einzelnen heranrückt, sieht es schon anders aus. Da beginnen die Konflikte, wenn auch nur eine Autospur einem Radweg weichen oder ein Tempolimit eingeführt werden soll.

Vorübergehende Effekte

In der Corona-Pandemie blieben Flugzeuge am Boden, mit Homeoffice und Online-Konferenzen entfielen Arbeitswege und Dienstreisen, behelfsmäßige Radwege entstanden in vielen Städten. Doch laut Faktencheck des Wissenschaftszentrum Berlin und Infas Institut zur Alltagsmobilität zeigt sich, dass die Pandemie kein echter Anschub für die Verkehrswende war. Radfahren hat zwar in den Städten etwas zugenommen, im ÖPNV gingen die Fahrgastzahlen zurück, das Auto bleibt das meistgenutzte Verkehrsmittel. Laut Statistischem Bundesamt fuhren in Deutschland im Jahr 2020 rund 40 Prozent der Berufspendler Arbeitswege unter fünf Kilometer in der Regel mit dem Auto. Das Verkehrsvolumen hat den gleichen Stand wie vor der Pandemie, die Emissionen 2021 stiegen gegenüber dem Vorjahr an. Online-Bestellungen von Waren und deren Transport haben zu einer massiven Zunahme des Straßengüterverkehrs geführt.

In Deutschland hatte zuletzt der Bundesrechnungshof die Regierung für fehlgeleitete Investitionen in Straßen statt Schienen kritisiert. Zudem sind Flüge meist noch günstiger als Bahnfahrten. Laut Koalitionsvertrag soll der Anteil des Schienen-Güterverkehrs wachsen. Doch 2020 fand nur 18 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene statt. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes transportiert ein Güterzug im Vergleich zum LKW Waren pro Tonne und Kilometer mit einem Siebtel der CO2-Emissionen. Geplant ist, die Milliarden Einnahmen aus der LKW-Maut künftig nicht nur für die Straße, sondern den ganzen Mobilitätssektor einzusetzen.

Verkehrspoltische Kehrtwende in Sicht?

Der Bundesminister für Verkehr und Digitales Volker Wissing betonte Anfang des Jahres beim Handelsblatt-Energiegipfel zum Thema Verkehrswende die Wichtigkeit von ÖPNV, Ausbau von Radwegen und E-Mobilität: „Da gibt es nichts mehr zu diskutieren.“ Mehr als die Hälfte der Wege werden in Deutschland für berufliche oder dienstliche Zwecke zurückgelegt. Laut Zahlen des Büros für nachhaltige Verkehrskonzepte plan:mobil sind rund 85 Prozent der Bevölkerung täglich unterwegs, im Durschnitt 79 Minuten lang. 57 Prozent aller Wege werden mit dem PKW zurückgelegt, mit oder ohne Mitfahrer. 50 Prozent der Bürger nutzen täglich den PKW, 35 Prozent wöchentlich das Fahrrad und 25 Prozent wöchentlich den öffentlichen Nahverkehr. Das eigene Auto nutzen am häufigsten die Vielverdiener, sie fliegen häufiger und steigen seltener in Bus und Bahn.

Verkehrsexperte Benedikt Weibel, viele Jahre lang Chef der Schweizerischen Bundesbahn SBB, spricht sich in seinem Buch „Wir Mobilitätsmenschen“ für einen Mobilitätswandel in den Köpfen aus. Solange Eltern ihre Kinder im SUV zur Schule kutschieren oder Menschen täglich zur Arbeit von Berlin nach Frankfurt fliegen, bewege sich wenig. „Die uneingeschränkte Mobilität ist längst zu einem Wesensmerkmal des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats geworden. Die freie Verkehrsmittelwahl zu ihrem Dogma“, so Weibel. Die große Aufgabe bestehe darin, Lösungen zu finden, wie wir unsere Bewegungsfreiheit noch ausleben können, ohne unsere Umwelt zu zerstören.

Wenn der Staat es ernst meint mit Klimaschutz und Verkehrswende, müsse es dafür auch mehr Geld geben, fordern Branchenakteure. Zum ÖPNV-Sondergipfel im Februar 2022 mit den Verkehrsministern der Länder beschrieb BUND- Geschäftsführerin Antje von Broock die Lage: „ÖPNV nach kommunaler Kassenlage ist mit Blick auf die Klimakrise und der notwendigen Mobilitätswende nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen eine deutlich verbesserte finanzielle Ausstattung der Landkreise und Kommunen.“. Beim öffentlichen Nahverkehr sind Investitionen in Pünktlichkeit, dichteren Takt, Flexibilität und Qualität notwendig.

Stadt und Land verbinden – das Problem der letzten Meile

„Wir brauchen nicht nur eine konsequente Verkehrswende mit technischen Innovationen und Antriebstechnologien auf Basis Erneuerbarer Energien, sondern zugleich auch eine Mobilitätswende, die zu einem veränderten Verhalten mit umweltfreundlichen, sozial-gerechten und wirtschaftlich tragbaren Alternativen inspiriert“, mahnte auch DBU-Generalsekretär Alexander Bonde bei der Vorstellung einer Studie der Ruhr-Universität Bochum im Februar 2022 im Online-Forum „Nachhaltige Mobilität im Quartier“. Befragte gaben an, dass allein eine höhere Taktung von öffentlichen Verkehrsmitteln kein erhöhter Anreiz zum Umstieg wäre. Wichtiger wären Flexibilität, Sicherheit und Komfort.

Doch dazu müsste die Organisation von Bussen und Bahnen neu gedacht werden. Der Linienbus schöpfe sein Potenzial erst dann aus, wenn er mit vielen weiteren Angeboten verknüpft ist. Hierzu zählten zum Beispiel On-Demand-Shuttles, die je nach Bedarf der Fahrgäste fahren, so ein Ergebnis der Studie „Mobilitätswende 2030“ von DB Regio Bus und den Fraunhofer Instituten IESE und IML. „Digitalisierung und Vernetzung sind Voraussetzungen für einen neuen ÖPNV, der sich noch stärker an den Bedürfnissen der Nutzer orientiert“, sagt Svenja Polst, Senior Digital Innovation Designer am Fraunhofer IESE: „Dieser neue ÖPNV ist im besten Fall so attraktiv, dass Menschen lieber mit öffentlichen Verkehrsmitteln statt mit dem eigenen Auto fahren. Denn digital buchbare und datenbasiert aufeinander abgestimmte Mobilitätsangebote schaffen einen ÖPNV, mit dem man komfortabel und zuverlässig von Tür zu Tür reisen kann. Und das nicht nur in den Metropolen, sondern auch am Stadtrand und auf dem Land.“

Das Problem des öffentlichen Verkehrs ist die berühmte letzte Meile, weiß auch Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Solange die nicht geschlossen wird, bleibe das Auto dominant. Die Vision: Eine schnellere Mobilitätswende, die bequeme, per App abrufbare Verkehrsmittel bereitstellt, die sich auch Menschen mit geringem Einkommen leisten können, und die alle Altersgruppen und Bedürfnisse berücksichtigt – und dabei Stadt und Land verbindet. Noch haben Pendler oft nur die Wahl zwischen einer Stunde Stau und zwei Stunden nervenaufreibendem öffentlichem Nahverkehr. Die zunehmende Vernetzung verschiedener Verkehrssysteme und die Einführung neuer Mobilitätsangebote mit Namen wie Ride-Sharing, Car-Sharing, Bike-Sharing hat die Nutzung zwar mancherorts erleichtert. Doch noch fehlen übergreifende Angebote, die verschiedene Optionen einer Fahrt zusammenfassen. Dafür müssten sich alle Mobilitätsanbieter und Verkehrsbetriebe sowie Politik und lokale Entscheider an einen Tisch setzen.

Klimagerechte Mobilität gesetzlich verankern

Die Ampel-Regierung verspricht im Koalitionsvertrag einen Aufbruch „für eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität.“ Doch es fehlen noch gesetzliche Rahmenbedingungen, kritisierte der ökologische Verkehrsclub Deutschland und hatte im Mai 2021 sein Konzept für ein Bundesmobilitätsgesetz vorgestellt. Der VCD schlägt darin eine neue Bundesanstalt für Mobilität vor, die Planungsverfahren gestaltet. Vor dem Hintergrund von Erreichbarkeit, Klimaschutz und Sozialverträglichkeit müssten grundsätzlich alle Verkehrsträger Beachtung finden. Daraus könnte sich ein Bedarfsplan für den Aus- und Neubau von Verkehrsinfrastrukturen ergeben. Erreichbarkeitsstandards sollten gesetzlich festgeschrieben werden, bspw. wie oft der Linienbus einen Ort je nach Einwohnerzahl anfahren muss. Zudem müsste die Siedlungs- und Flächenentwicklung innerhalb von Raumordnungsgesetzen eine wohnortnahe Versorgung gewährleisten. Einen großen Hebel zur Emissionsminderung sieht der VCD in der Förderung regionaler Güter: Lebensmittel und Waren, die in der Region produziert und verkauft werden, sorgen für weniger Emissionen und entlasten das Verkehrsnetz. Zur Förderung des öffentlichen Nahverkehrs sollen laut Ampel-Vertrag Regionalisierungsmittel ab 2022 deutlich erhöht werden. Länder und Kommunen müssten dabei mehr Gestaltungsspielraum bekommen, fordern Planer und Akteure. Denn es sind vor allem die Vor-Ort-Lösungen, die passgenaue Angebote realisieren.

Energieeffizienz? – Fehlanzeige!

Viele Verkehrs- und Stadtplaner sind sich einig, dass es an der Zeit wäre, den vorhandenen Raum zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern neu aufzuteilen. Da wäre es sinnvoll, geringen Flächenverbrauch zu belohnen – vor allem im urbanen Raum. Doch SUVs sind beliebt wie nie – auch bei Elektroautos. Der aktuelle Förderrahmen begünstigt immer noch den Verkauf von SUV mit batterieelektrischem oder Plug-in-Hybridantrieb. Zukunftsfähige Fahrzeuge müssen klein, leicht sowie sparsam sein, fordern Klimaschützer, möglichst wenig Energie und Rohstoffe verbrauchen und das sowohl in der Herstellung, im Betrieb, als auch bei der späteren Entsorgung der Fahrzeuge. In einigen Ländern sind solche Autos steuerbegünstigt. Leichtbau, ambitionierte CO2-Grenzwerte, Tempolimits, Verkehrsvermeidung und -verlagerung, die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs und der Wegfall klimaschädlicher Subventionen wären greifbare Maßnahmen.

Ende März beschloss nun die Ampel-Koalition aufgrund der steigenden Energiepreise ein Entlastungspaket, darin ein vergünstigtes ÖPNV-Ticket auf Zeit. Umweltverbände fordern dazu eine Ausbauoffensive für Bus und Bahn sowie ein Spar-Ticket als dauerhaftes Angebot. Förderungen für fossile Brennstoffe müssten zudem beendet werden: Jährlich fließen in Deutschland über 60 Milliarden Euro in klimaschädliche Subventionen. Auf EU-Ebene hat das Europäische Parlament bereits für einen verbindlichen Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen bis 2025 gestimmt.

Und nicht zuletzt gilt: Die Energie, die gar nicht erst verbraucht wird, ist die beste. Weniger, kleiner, und langsamer fahren – und wenn möglich, ganz fossil- und stromfrei. Das Umweltbundesamt rief angesichts des Krieges in der Ukraine zum Energiesparen auf: Milliarden Liter fossilen Kraftstoff könnten wir einfach sparen, wenn wir auf der Autobahn 100 und außerorts 80 Stundenkilometer fahren. Doch eine Verkehrspolitik, die nicht einmal ein simples Tempolimit durchsetzen kann, das in allen Nachbarländern längst gilt, ist auf dem Holzweg. Nothing happens until you move – wir müssen uns deutlich mehr bewegen, um unsere Mobilität in Zukunft klimafreundlicher zu gestalten. Nicole Allé


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