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EU-NotfallverordnungBeschleuniger für Wind- und Netzausbau

Offshore-Windräder
Naturschützer kritisieren die Neuregelungen vor allem wegen mangelndem Meeresnaturschutz. (Foto: PxHere / CC0 1.0)

Für einen Zeitraum von eineinhalb Jahren wird der Bau von Windenergieanlagen in Windenergiegebieten erleichtert, indem Umweltprüfungen unter bestimmten Voraussetzungen entfallen können. Die Neuregelungen müssen noch vom Bundestag beschlossen werden.

01.02.2023 – Das Bundeskabinett setzt die EU-Notfallverordnung (EU2022/2577) in nationales Recht um. Eine entsprechende Formulierungshilfe übergab die Regierung am 30.1.2023 dem Bundestag. Der Ausbau von Windenergie an Land, Windenergie auf See sowie die Netzanbindung von Offshore-Erzeugungsanlagen sollen mit einer Änderung des Raumordnungsgesetzes deutlich beschleunigt werden.

Die EU-Notfallverordnung wurde im Dezember 2022 vom EU-Energieministerrat beschlossen und trat am 30.12.2022 in Kraft. Sie gilt unmittelbar für einen Zeitraum von 18 Monaten in allen Mitgliedsstaaten der EU und soll dazu beitragen, die aktuelle Energiekrise abzufedern, indem der Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt wird. Sie enthält auch Regelungen, die unmittelbar anwendbar sind und deshalb nicht in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Dazu gehören die Genehmigungen für Netzverstärkungsmaßnahmen beim Repowering von Solaranlagen sowie der Neubau von Solaranlagen und Wärmepumpen.

Die jetzt vom Bundeskabinett beschlossenen Änderungen für Windenergieanlagen an Land und auf See sowie den Netzausbau werden sich im Windenergieflächenbedarfsgesetz, im Windenergie-auf-See-Gesetz und im Energiewirtschaftsgesetz niederschlagen. Der Anwendungsbereich umfasst alle Genehmigungsverfahren von Windenergieanlagen an Land, auf See und Stromnetze ab einer Leistung von 110 kV, die vor dem 30. Juni 2024 begonnen werden. Auch bereits begonnene Genehmigungsverfahren können von den Erleichterungen profitieren.

Wichtigste Änderung: Für ausgewiesene EE- und Netzgebiete, die bereits eine strategische Umweltprüfung (SUP) durchlaufen haben, entfällt im Genehmigungsverfahren die Pflicht der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und der artenschutzrechtlichen Prüfung. Dennoch müssen Betreiber angemessene und verhältnismäßige Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen ergreifen, um den Artenschutz zu wahren.

Wirtschaftsminister Habeck sagte zur Vorstellung des Kabinettbeschlusses: „Die Beschleunigung ist absolut erforderlich. Aber klar ist auch, dass der Artenschutz wichtig ist und bleibt. Der Artenschutz wird materiell gewahrt. Es wird weiterhin Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen geben.“

Unmittelbar anwendbare Regelungen der EU-Notfallverordnung

Beim Repowering von Erneuerbaren Anlagen oder Netzverstärkungsmaßnahmen ist die Umweltverträglichkeitsprüfung auf die Mehrbelastung der neuen Anlage oder Leitung begrenzt. Beim Repowering von Solaranlagen kann die UVP-Pflicht unter bestimmten Umständen ganz entfallen.

Genehmigungsverfahren für die Installation von PV-Anlagen dürfen nicht länger als drei Monate dauern. Das gilt auch für Dachanlagen und PV auf künstlichen Strukturen wie zum Beispiel auf Deponien. Darüber hinaus müssen die nationalen Genehmigungsbehörden bei PV-Anlagen auf künstlichen Strukturen keine Prüfung vornehmen, ob das Projekt eine UVP erfordert, oder eine spezielle UVP durchzuführen wäre. Für Anlagen unter 50 kW gilt zusätzlich eine Genehmigungsfiktion.

Genehmigungsverfahren für Wärmepumpen mit einer elektrischen Leistung bis 50 MW sind grundsätzlich auf einen Monat begrenzt, bei Erdwärmepumpen auf drei Monate. Zudem wird ein Anschlussrecht für Wärmepumpen bis 12 kW bzw. bis 50 kW im Eigenverbrauch etabliert.

Reaktionen der Verbände

Die Verbände der Energiebranche, insbesondere der Erneuerbaren Energien, beurteilen die Weichenstellung positiv und geeignet, die Ausbaulücken für die Windenergie in den kommenden anderthalb Jahren erheblich zu verringern. Positiv sei nach Meinung von BDEW-Geschäftsführerin Kerstin Andreae, dass mit der Umsetzung der Notfall-Verordnung die aufwändige und langwierige Kartierung im Genehmigungsprozess entfällt. Stattdessen sollen Behörden ihre Entscheidungen auf Basis von bereits vorhandenen Daten festlegen, welche Maßnahmen zum Artenschutz vom Projektierer zu erfüllen sind. Damit könnten Jahre im Genehmigungsprozess eingespart werden.

Andreae schlägt vor, die zu ergreifenden Artenschutz-Maßnahmen möglichst eindeutig vorzugeben und den Deckel bei den Zahlungen für die Artenhilfsprogramme zu überdenken. Der aktuell geplante obere Deckel mit bis zu 7.000 Euro pro installierte Megawatt (MW) sei enorm. Bei einer durchschnittlichen Größe von 5 MW entstehen für 20 Jahre Kosten in Höhe von 700.000 EUR pro Windenergieanlage.  

Mit Blick auf den Ausbau der Freiflächen-PV sei die geplante Raumordnungs-Novelle problematisch. Sie könnte dazu führen, dass PV-Freiflächenanlagen künftig nur noch in festgelegten Gebieten errichtet werden dürfen (sogenannte Ausschlussplanung). Dies würde die Planungshoheit der Kommunen untergraben und den Ausbau ausbremsen.

BEE-Präsidentin Simone Peter mahnte eine schnelle Entscheidung des Parlaments an: „Der Entwurf hat das Potenzial, den Ausbau des Masseträgers Windenergie und des für die Energiewende unverzichtbaren Netzausbaus, zumindest in den ausgewiesenen Windenergiegebieten, deutlich zu beschleunigen.“ Das Parlament solle die Formulierungshilfe schnell beschließen, dann sei es an den Ländern, den Genehmigungsstau endlich aufzulösen und den Turbo für die Erneuerbaren einzuschalten.

Der Vorschlag, dass geeignete und verhältnismäßige Schutzmaßnahmen auf Basis vorhandener Daten bzw. die Festsetzung von Ausgleichzahlungen angeordnet werden können, wurde von der deutschen Seite in die Verhandlungen eingebracht. Hermann Alberst, Präsident des Bundesverbands Windenergie kommentiert: „Die deutsche Initiative hat hier die Möglichkeit geschaffen, eine der ganz großen Blockaden beim schnellen Ausbau der Windenergie zeitlich begrenzt zumindest in ausgewiesenen Gebieten auszusetzen. Dies stellt einen entscheidenden Paradigmenwechsel im Zusammenspiel des Planungs- und Genehmigungsrechts dar. Ich bin Minister Habeck dankbar für diesen Vorstoß.“

Nabu sieht Konfliktpotenzial beim Ausbau der Windenergie auf See

Das vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte Gesetzesänderungen verschärften aus Sicht des NABU die Konflikte zwischen dem Ausbau der Offshore-Windenergie und dem Meeresnaturschutz.

„Die Bundesregierung verschläft notwendige Maßnahmen zur Beschleunigung von Genehmigungsprozessen, während sie weiter Umweltstandards abbaut. Im Schnelldurchgang sollen drei Jahrzehnte etabliertes Planungsrecht einkassiert werden, ohne tatsächliche Chance auf schnellere Energieunabhängigkeit durch Offshore-Wind“, kritisiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger.

Die Formulierungshilfe für das Raumordnungsgesetz sehe weitere Einschränkungen des Naturschutzrechts beim Ausbau der Windenergie in Nord- und Ostsee vor. So sollen die Umweltverträglichkeitsprüfung und die artenschutzrechtliche Prüfung für den Zubau von insgesamt 8,8 Gigawatt Offshore-Windstrom ausgesetzt werden, selbst auf bisher nicht voruntersuchten Flächen. Damit gehe die so wichtige kumulative Folgenabschätzung tausender Windräder auf See und der europarechtlich verankerte Ökosystemansatz verloren, ohne gleichzeitig die strategische Umweltprüfung qualitativ zu stärken.

„Eine Verdopplung der Kapazitäten auf See ohne ernsthafte naturschutzfachliche Vorbereitung grenzt an Russisch-Roulette. Trotz Datenlücken sollen Windparks genehmigt werden. Offensichtlich haben sich grüne Umweltpolitiker:innen erfolgreich um Schadensbegrenzung bemüht, doch erneut negiert das federführende Wirtschaftsministerium die gleichberechtigte Herausforderung des Natur- und Artenschutzes und auch die SPD versucht ökologische Standards zugunsten jeglicher wirtschaftlicher Infrastruktur abzubauen“, sagt NABU-Leiter Meeresschutz Kim Detloff.

Gleichzeitig kritisiert der NABU die viel zu niedrige finanzielle Beteiligung der Windparkbetreiber an notwendigen Vermeidungsmaßnahmen für geschützte Arten. Der jährlich zu leistende Betrag müsse deutlich auf mindestens 12.000 Euro pro Megawatt Leistung erhöht werden, wie es auch an Land üblich ist.

Der NABU appelliert an die Mitglieder des Deutschen Bundestags, der Gesetzesänderung in ihrer heutigen Form nicht zuzustimmen. Insbesondere alle Flächen, die an Schutzgebiete grenzen und wo marine Schutzgüter der FFH- und Vogelschutz-Richtlinie Verbreitungsschwerpunkte haben - Schweinswale oder streng geschützte Seevögel - müssen auch zukünftig einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. pf


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