Kohleausstieg: Die Bundesregierung bricht bewusst den Kohlekompromiss
Der Kohlekompromiss werde eins zu eins umgesetzt, versprach die Bundesregierung. Nach dem Ausstiegsplan vom Mittwoch ist klar: Sie hat ihr Wort gebrochen. Ex-Mitglieder der Kohlekommission sind frustriert und rechnen den Schaden fürs Klima vor.
22.01.2020 – Fast ein Jahr ist es her, dass die Kohlekommission in einer entscheidenden Nachtsitzung einen Kompromiss fand. Alle stimmten zu: Industrie, Gewerkschaften, Umweltschützer, Bundesregierung und die betroffenen Bundesländer. Fast ein Jahr lang betonten sie, die Beschlüsse aus der damaligen Nacht müssten eins zu eins umgesetzt werden und alle Interessen gleichwertig berücksichtigt werden.
Nun, fast ein Jahr später sagte Kai Niebert, Professor für Nachhaltigkeit, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR) und ehemaliges Kommissionsmitglied: „Ich fühle mich von der Bundeskanzlerin als auch von Mitverhandelnden und den Ministerpräsidenten betrogen.“ Mit drei weiteren Kommissionsmitgliedern kritisierte er am Dienstag den Kohleausstiegsplan der Bundesregierung scharf. Er sprach stellvertretend für Umweltbewegung und Klimawissenschaft.
Was war passiert?
Die Ministerpräsidenten der Kohleländer meldeten in den vergangenen Monaten Bedenken an und die Bundesregierung kam in den Verhandlungen mit den Kohlekonzernen kaum voran. Mitte vergangener Woche einigten sich die Parteien beim Gipfel im Kanzleramt auf einen konkreten Fahrplan für die Abschaltung der deutschen Braunkohlekraftwerke. Alle Interessen wurden berücksichtigt: Die Konzerne erhalten Milliarden-Entschädigungen, die Kohlemitarbeiter großzügige finanzielle Unterstützung und die Ministerpräsidenten 40 Milliarden Euro Strukturhilfen. Nur beim Klima wurden Abstriche gemacht, mal wieder.
40 Millionen Tonnen mehr Treibhausgase
Denn der Abschaltplan sieht zwar Stilllegungen von über 2,5 Gigawatt Braunkohle-Kapazitäten bis Ende 2022 vor, der Großteil wird aber nach hinten verschoben. Erst kurz vor dem Zwischenziel 2030 gehen gut 5 Gigawatt vom Netz, der Großteil erst 2038, dem letztmöglichen Termin. Die Bundesregierung verlegt den tatsächlichen Kohleausstieg auf später.
Das hatte die Kohlekommission anders ausgehandelt. Im Abschlussbericht hieß es, die Abschaltungen sollten stetig erfolgen, also über den Zeitraum gestreckt. Doch mit dem jetzigen Plan sind die Klimaziele für 2030 nicht zu erreichen. „Nach unseren Analysen emittieren die Braunkohlekraftwerke etwa 40 Millionen Tonnen mehr Treibhausgasemissionen als mit einem stetigen Pfad“, sagte Felix Matthes, Energieexperte vom Öko-Institut und ebenfalls Mitglied der Kohlekommission.
Insgesamt acht Ex-Mitglieder werfen in einer Stellungnahme der Bundesregierung Wortbruch vor, darunter neben Energieexperte Matthes und DNR-Präsident Niebert auch Barbara Praetorius, ehemalige Co-Vorsitzende der Kohlekommission und Hans Joachim Schellnhuber, der wohl renommierteste deutsche Klimaforscher. Hinzu kommen die Vertreter der Umweltverbände BUND und Greenpeace und zwei Vertreter aus Nordrhein-Westfalen.
„Wasserfallabschaltung von Kraftwerken“ ist energiewirtschaftlicher Unsinn
Die Umweltexperten sehen in dem nicht-stetigen Abschaltplan die größte Verletzung des Kohlekompromisses. Um genau diesen Punkt habe man in der letzten und entscheidenden Nacht gerungen, als die Verhandlungen kurz vor dem Scheitern standen. „Der Bundesregierung war klar, dass das der klimapolitische Knackpunkt war“, sagte Matthes. Die Mehremissionen von 40 Millionen Tonnen seien so viel wie die bayerische Industrie in vier Jahren ausstößt, rechnete er vor.
Der von der Bundesregierung vorgestellte Kohle-Ausstiegspfad sei eine „Wasserfallabschaltung von Kraftwerken“, zu spät würden zu viele Kraftwerke abgeschaltet. „Das ist nicht nur klimapolitisch falsch, sondern auch energiewirtschaftlich unvernünftig“, kritisierte er. Der Bundesregierung sei das alles bekannt gewesen.
„Dieser Abschaltplan ist klimapolitischer Irrsinn“
Niebert bestätigte, dass der Zeitplan der Bundesregierung im Wesentlichen den Plänen vor der entscheidenden Verhandlungsnacht entspricht und folglich die Erfolge der Umweltschützer zunichtemacht. „Dieser Abschaltplan ist klimapolitischer Irrsinn“, sagte er.
Besonders frustriert zeigten sich die Kommissionsmitglieder, dass der schwer ausgehandelte Kompromiss, der die Interessen von Industrie, Beschäftigten und Klima berücksichtigte, so leichtfertig aufgeben wird. „In der Kohlekommission wurde beim Thema Klima alles gedehnt und bei der Umsetzung wurden alle Interessen eingelöst, nur nicht beim Klima“, bemängelte Niebert.
Datteln 4 ist ein „völlig falsches Signal“
Die ehemalige Co-Vorsitzende Praetorius nannte die Inbetriebnahme des neuen Steinkohlekraftwerks Datteln 4 ein „völlig falsches Signal“. Auch hier war das Votum der Kohlekommission ein anderes. Zwar hat die Bundesregierung mittlerweile angekündigt, für das neue Steinkohlekraftwerk alte abzuschalten. Doch Experten rechnen damit, dass Datteln 4 gut ausgelastet sein wird, anders als viele alte Kraftwerke. Es reicht also nicht aus, für die 1 Gigawatt Kapazität von Datteln die entsprechende Menge alter Steinkohlekraftwerke stillzulegen. „Man wird deutlich mehr Kapazitäten vom Netz nehmen müssen, um die Emissionen auszugleichen“, zeigte sich Energieexperte Matthes sicher. Ob das wirklich geschieht, ist erneut fraglich. cw