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RekommunalisierungFür eine soziale und ökologische Stadt

Demonstration für die Rekommunalisierung der Energieversorgung in Berlin
Mit kreativen Protesten machen in Berlin Bürger:innen seit Jahren Stimmung für eine Rekommunalisierung der Energieversorgung. (Foto: © Berliner Energietisch)

Nach dem Stromnetz strebt Berlin nun auch die Rekommunalisierung von Fernwärme und Gas an. In Hamburg hat man diesen Weg bereits erfolgreich beschritten. Bürger:innen sind die Treiber einer demokratischen und klimafreundlichen Energieversorgung.

30.11.2021 –Das Stromnetz wurde in diesem Jahr bereits rekommunalisiert, nun strebt Berlin auch den Rückkauf der Fernwärme- und Gasversorgung an, damit diese Daseinsvorsorgebereiche ebenfalls in die öffentliche Hand zurückgehen. So steht im gestern vorgestellten Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei: „Die Koalition strebt die Rekommunalisierung des Fernwärmenetzes mit dem Ziel einer beschleunigten Dekarbonisierung der Fernwärme an.“ Darüber hinaus will die Koalition eine Rekommunalisierung des Gasnetzes unter wirtschaftlichen und ökologischen Kriterien prüfen und dabei die GASAG als Gesamtunternehmen erhalten.

In Hamburg sind sie bereits weiter. Seit 2019 sind Strom, Wärme und Gas wieder komplett in öffentlicher Hand. Doch warum mussten die Städte überhaupt die Rekommunalisierung der für die Bürger:innen so wichtigen Versorgungsbereiche anstreben und wer trieb diese Vorhaben voran? Getrieben von klammen Kassen und dem Glauben, dass der Markt eine effizientere Daseinsvorsorge für die Bürger:innen biete, verkauften viele Kommunen ihre Anteile an Energie- und Wassernetzen. Die Aufgaben zur Versorgung der Bürger:innen wurden damit zum Teil oder komplett privatisiert. Doch angesichts steigender Preise, fehlendem Mitspracherecht und der Erkenntnis, dass private Unternehmen keine bessere Daseinsvorsoge bieten, regte sich in der Bevölkerung Widerstand. Menschen aus Hamburg und Berlin nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand.

Wir schreiben das Jahr 2010

Nachdem eine rot-grüne Bundesregierung 2000 den Atomausstieg in die Wege geleitet hatte, beschlossen Union und FDP zehn Jahre danach eine erneute Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Zugleich wuchs in der Hamburger Bevölkerung die Abneigung gegen die von Vattenfall betriebenen störanfälligen AKWs Krümmel und Brunsbüttel. Ebenfalls fragwürdig für viele Hamburger war der Bau des Kohlekraftwerks Moorburg. Die von Bürger:innen getragene Energiewende hatte in den Nuller Jahren gerade Fahrt aufgenommen und ein Gutachten des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Hamburg kam zu dem Ergebnis, dass Moorburg eine komplette Fehlinvestition sei. Von 2007 an gebaut, ging Moorburg 2015 trotzdem ans Netz, nur um 2021, nach einem erfolgreichen Gebot von Vattenfall im Zuge der Auktionen von Steinkohlekraftwerksstilllegungen, wieder abgeschaltet zu werden. Offensichtlich rentierte sich das Kraftwerk für Vattenfall nicht.

Inzwischen ist vieles anders in Hamburg, doch 2010 fühlten sich die Bürger:innen machtlos gegenüber Politik und Wirtschaft. Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis gründete in dieser Situation die Initiative Unser Hamburg – Unser Netz. Das Ziel: die Hamburger Energienetze wieder in die öffentliche Hand zu überführen. Strom- und Wärmenetz waren in Hand von Vattenfall, das Gasnetz wurde von E.ON betrieben. Preiserhöhungen seitens der Energiekonzerne waren die Regel

Wir haben einfach gemerkt, dass wir in Hamburg keine Entscheidungsgewalt mehr hatten, denn die war in Stockholm und Essen.

Dirk Seifert, Mitinitiator von Unser Hamburg – Unser Netz

Konzessionen, also Genehmigungen für den Betrieb der Netze, werden in der Regel für 20 Jahre vergeben. Die Vergabe neuer Konzessionen stand in den Folgejahren aus. Eine erfolgreiche Volksinitiative 2010 mit über 17.000 Unterschriften verdeutlichte das breite Interesse der Bevölkerung für einen Rückkauf der Energienetze. Noch erfolgreicher war das anschließende Volksbegehren, das nötig ist, um einen Volksentscheid durchzuführen. Innerhalb von nur 21 Tagen unterschrieben 116.187 Hamburger:innen. Das nötige Quorum von fünf Prozent wurde bei weitem übertroffen. Eine repräsentative Umfrage des Hamburger Abendblatt zu dieser Zeit zeigte, dass rund 75 Prozent aller Hamburger:innen für eine hundertprozentige Rekommunalisierung waren.

Die SPD und weitere Parteien starteten eine Gegenkampagne

Nachdem in Hamburg eine schwarz-grüne Koalition zerbrochen war, regierte von 2011 an die SPD unter Bürgermeister Olaf Scholz allein im Hamburger Senat. „Wir waren damals ziemlich verwundert, als wir erfahren mussten, dass die SPD-Spitze gegen uns und eine Rekommunalisierung war“, so Seifert, der gemeinsam mit anderen Aktiven intensive Gespräche mit der Partei geführt hatte. Die SPD beschloss lediglich, sich mit 25 Prozent an den Energienetzen zu beteiligen. Um Energiewende und Klimaschutz in Hamburg zu forcieren, sei dies vollkommen ausreichend, so die Argumentation der SPD. Dazu wurde im Vorfeld des nahenden Volksentscheides, der 2013 zeitgleich zur Bundestagswahl stattfand, das „Schreckensgespenst Rekommunalisierung“ aufgebaut, wie Seifert es beschreibt. Bei kolportierten Übernahmekosten durch die Stadt von über zwei Milliarden Euro würde das Geld anderswo fehlen, etwa für Kitas und Schulen, mahnte die SPD in Eintracht mit den politischen Vertretern von CDU und FDP. Auch wurde vor dem Abbau von Arbeitsplätzen gewarnt. Die Kampagne zeigte Wirkung, und dennoch war die Initiative Unser Hamburg – Unser Netz am Ende erfolgreich. Mit 51 zu 49 Prozent lagen die Befürworter einer Rekommunalisierung vorn.

2014 wurde das Stromnetz zurückgekauft, 2018 folgte das Gasnetz und 2019 der Rückkauf der Fernwärme. Dafür wurden eigens neue kommunale Netzbetreiber gegründet. Insgesamt musste der Senat etwas weniger als zwei Milliarden Euro investieren. Das habe sich gelohnt, wie Jens Kerstan, amtierender Umweltsenator der Stadt Hamburg von den Grünen, betont.

Bei der Fernwärme können wir die Mieterinnen und Mieter jetzt wirksam vor überhöhten Preisen schützen, weil das Unternehmen nicht mehr die Cash-Cow für Vattenfall ist.

Jens Kerstan, Umweltsenator Hamburg

Dazu hat Stromnetz Hamburg in den beiden zurückliegenden Jahren jeweils über 90 Millionen Euro zum städtischen Haushalt beigetragen. Gasnetz Hamburg hat im vergangenen Jahr einen Gewinn von 17,2 Millionen Euro gemacht, der ebenfalls in die Stadtkasse fließt. Ein Großteil der Ausgaben und Gewinne bei Strom, Wärme und Gas fließe in die regionale Wirtschaft, so Kerstan. Das sei ein großer Beitrag für sichere Arbeitsplätze.

Welche Vorteile ergeben sich für den Klimaschutz?

Kerstan sieht die 2019 übernommene Fernwärme als stärksten Hebel für den Klimaschutz. „Einerseits ist in einer Großstadt wie Hamburg die Wärmeversorgung ein entscheidendes Handlungsfeld für den Klimaschutz. Andererseits sind im Wärmeunternehmen Erzeugung, Verteilung und Vertrieb integriert, während es sich beim Strom- und Gasnetz tatsächlich um reine Netzbetreiber handelt, die der Regulierung unterliegen“, sagt Kerstan.

Das städtische Unternehmen Wärme Hamburg stellt bereits 22 Prozent der Nutzwärme in Hamburg bereit. Noch stammt diese aus zwei Kohlekraftwerken. Hamburg hat sich aber zum Ziel gesetzt, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen. Der Ersatz dafür ist bereits in der Umsetzung. Kerstan verweist dazu auf einige Projekte. So soll Abwasser, das aus einem Klärwerk mit einer Temperatur von rund 14 Grad in die Elbe fließt, zur Wärmeerzeugung genutzt werden. Des Weiteren erprobt die Stadt in einem Reallabor ein unterirdisches Wärmespeichernetz. An der Oberfläche, zum Beispiel durch industrielle Abwärme erwärmt, wird Warmwasser in Tiefenspeicher gepumpt, um es im Winter wieder zu nutzen. Anfang 2022 sollen zudem Wärme Hamburg und der kommunale Energieversorger Hamburg Energie fusionieren, um die Wärmewende mit weiteren Projekten voranzubringen. Hamburg Energie existiert seit 2009 und ist inzwischen der größte Ökostromproduzent der Stadt.

Auch in Berlin gibt es mit den Berliner Stadtwerken seit 2014 wieder ein Energieversorgungsunternehmen in kommunaler Hand, das ausschließlich Erneuerbare Energien produziert und vertreibt. Dessen Gründung wurde 2013 vom Berliner Abgeordnetenhaus unter der Führung von SPD und CDU beschlossen. Doch die Initiative für ein kommunales Energieversorgungsunternehmen ging ebenfalls von einem Volksbegehren aus, initiiert vom Berliner Energietisch, einem Zusammenschluss von rund 55 Berliner Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen. Einer der Gründungsmitglieder ist Michael Efler, der bis 2021 für die Linkspartei im Abgeordnetenhaus saß und den neuen Koalitionsvertrag mit aushandelte. In den 1990er Jahren gab es mit der BEWAG noch ein Energieversorgungsunternehmen, dessen Mehrheit der Anteile im Besitz des Landes Berlin war. Doch Ende der 90er und Anfang der 2000er wurden die Anteile nach und nach verkauft und die BEWAG vollständig privatisiert.

Zur Durchsetzung sozialer und ökologischer Erfordernisse ist es jedoch erforderlich, als Stadt Einfluss zu haben.

Michael Efler, klima- und energiepolitischer Sprecher der Linken in Berlin und Mitglied des Berliner Energietisches

So startete der Berliner Energietisch das Volksbegehren, das neben der Gründung eines Berliner Stadtwerkes auch zum Ziel hatte, das Stromnetz zu rekommunalisieren. Bei dem folgenden Volksentscheid, der wie in Hamburg 2013 durchgeführt wurde, stimmten zwar 83 Prozent für die Rekommunalisierung, doch zugleich scheiterte er knapp am nötigen Quorum von 25 Prozent aller stimmberechtigten Berliner. Im Gegensatz zu Hamburg fand der Volksentscheid nicht zeitgleich zur Bundestagswahl statt, sondern sechs Wochen später. Auch mit den zuvor gegründeten Stadtwerken wollten SPD und CDU dem Volksbegehren „Wind aus den Segeln nehmen“, wie Efler vermutet. Dabei war das neue Stadtwerk in seinen Möglichkeiten zunächst beschränkt und durfte nur Strom vertreiben, den es selbst produzierte.

Nach den Berliner Wahlen 2016 wurden die Fesseln abgelegt 

Erst unter der neuen rot-rot-grünen Regierung wurden die Berliner Stadtwerke mit neuen Ressourcen und Möglichkeiten ausgestattet, um wie ein modernes Energieunternehmen zu agieren. Zugleich arbeitet ein kommunales Stadtwerk nicht in dem Maße gewinnorientiert, wie die anderen großen Platzhirsche auf dem Berliner Energiemarkt Vattenfall und GASAG. „Die machen auch Projekte, die wenig Rendite bringen, aber für das Klima wichtig sind und die Potenziale Berlins nutzen“, sagt Efler.

Mit neuen Gesetzen und einer Solaroffensive will die Stadt in den nächsten Jahren bis zu einem Viertel seiner Strom- und Wärmeversorgung durch Sonnenenergie abdecken – aktuell bewegt sich der Solaranteil noch im einstelligen prozentualen Bereich. Die Berliner Stadtwerke sollen entscheidend Anteil am Solarausbau haben, ebenso wie beim Aufbau einer flächendeckenden öffentlichen Ladeinfrastruktur für E-Autos.

Inzwischen ist auch das Stromnetz Berlins wieder in kommunaler Hand. Für knapp über zwei Milliarden Euro erwarb das Land Berlin in diesem Jahr die Oberhand über die Stromnetze von Vattenfall. Ein Netzbetreiber ist grundsätzlich verpflichtet, jeden Strom – auch fossilen – aufzunehmen, der erzeugt wird. Jedoch hat das Land Berlin es nun in der Hand, das Netz für die Energiewende fit zu machen.

Das Netz kann dafür sorgen, dass dezentrale regenerative Energieprojekte besser verarbeitet werden.

Matthias Kollatz, bisheriger Finanzsenator Berlin

Zwar habe Vattenfall schon einiges getan, doch man könne noch weiter optimieren. „Vattenfall hat als Zielsetzung fossilfrei innerhalb einer Generation ausgegeben, wir wollen versuchen 2040 klimaneutral zu sein“, so Kollatz, der als bisheriger Finanzsenator für den Stromnetzkauf zuständig war. Auch beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos wird das Stromnetz eine entscheidende Rolle spielen. Mit der Ankündigung im Koalitionsvertrag für eine Rekommunalisierung von Wärme- und Gasnetz muss nun ein entsprechender Fahrplan dafür erstellt werden. Für die ambitionierten Pläne der neuen Berliner Regierung, die in der neuen Legislaturperiode unter anderem ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz beschließen will, könnte die Rekommunalisierung helfen, die Wärmewende zu beschleunigen.

Inwieweit werden die Bürger mitgenommen und beteiligt?

Beim Stromnetz erwägt das Land Berlin derweil, wie die Bürger beteiligt werden können. Sollten sich Genossenschaften und andere am Stromnetz beteiligen wollen, stehe der Senat dem durchaus wohlwollend gegenüber, so Kollatz. Schon unter der Führung von Vattenfall bestand bei Stromnetz Berlin ein Kundenbeirat, der unter anderem für die Verbesserung des Kundenservice eintrat. Dieser soll nach Auffassung von Kollatz weiterentwickelt und mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden. Im Koalitionsvertrag hat rot-grün-rot dazu festgehalten: Die Koalition strebt mehr Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger*innen mittels der BürgerEnergie Berlin am Stromnetz an, um so den Berliner:innen die Möglichkeit zu geben, die Energiewende konkret mitzugestalten und zu einem öffentlichen Unternehmen neuer Art beizutragen.

In Hamburg begleitete von 2015 an ein Energienetzbeirat das städtische Vorgehen. Darin vertreten waren Umwelt- und Verbraucherverbände sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften. Doch nach der Bürgerschaftswahl im Februar 2020, aus der rot-grün erneut als Sieger hervorging, und dem Beginn der Coronapandemie, ruhte der Energienetzbeirat. Im Juni dieses Jahres rief der Hamburger Senat einen neuen „Beirat Energiewende“ aus. Laut dem zuständigen Umweltsenator Kerstan bestehe das Gremium so mit erweitertem Auftrag weiter. Doch der BUND Hamburg kritisiert, dass die Politik nun die Zusammensetzung und die Ausrichtung des neuen Gremiums vorgebe, ohne die beteiligten Akteure des Vorgängergremiums einzubinden. Darüber hinaus fehle es an Gestaltungsspielraum.

Weitere Kritik gibt es am Vorgehen der Hamburger Umweltbehörde beim Thema Wasserstoff. Das bisherige Kohlekraftwerk Moorburg soll zu einer Produktionsstätte für Wasserstoff umgebaut werden, dafür hat die Stadt mehrere Partner ins Boot geholt. „Jetzt sehen wir, dass die Stadt wieder und weiter mit Vattenfall zusammenarbeitet. Dazu kommt das japanische Unternehmen Mitsubishi, auch Shell ist im Gespräch“, kritisiert Seifert. Zumindest das kommunale Unternehmen Wärme Hamburg soll ebenfalls mitwirken. Sollten große private Konzerne beim Wasserstoff die Kontrolle übernehmen, könnten neue Proteste drohen, die zu neuen Volksbegehren und Volksentscheiden führen. Manuel Först

Der Artikel erschien zuerst in der neuen Ausgabe der energiezukunft "Dezentral Erneuerbar - Ein Update". Der vorliegende Artikel ist dabei eine aktualisierte Fassung.


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Kommentare

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Energiewächter 01.12.2021, 13:52:34

Informationen sind immer gut wenn der Inhalt auch zu 100% die Wahrheit widerspiegelt. Der Hamburger Senat hat schon sehr früh ein Gutachten durch Göken, Pollak und Partner erstellen lassen das am 11.Mai 2009 abgeschlossen wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt war der Rückkauf der Netze im Visier, noch weit vor einer Bürgerbeteiligung.

Im Februar 2009 hat der Hamburger Senat in einer Dokumentation wie eine Überführung der Energienetze in öffentliche Verantwortung und Gründung kommunaler Stadtwerke erfolgen kann erstellt. Alle Informationen sind frei im Internet nach dem Transparenzgesetz einsehbar. Der Verkauf (Zerschlagung) der HEW durch einen dritten, hatte ganz andere wirtschaftliche und personelle Gründe auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.

Informationen sind zu finden unter lbd-Studie im Hamburg Portal.


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