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UmweltfolgenEine tote Zone rund um den Kachowka-Staudamm

Menschen sitzen in einem Schlauchboot in einem überschwemmten Gebiet
23 Menschen starben bereits durch die Überschwemmungen. Mindestens 42 werden noch vermisst. (Bild: National Guard of Ukraine, Wikimedia Commons, Creative CommonsAttribution 4.0 International)

Ob oberhalb oder unterhalb des Kachowka Staudammes in der Ukraine, die Prognosen für die Folgen der Zerstörung sind verheerend. Millionen Tiere sind bedroht oder bereits gestorben, gefährdet sind auch Landwirtschaft und Industriebetriebe.

14.06.2023 – Fast seit Anbeginn des Krieges ist der Kachowka-Staudamm im Süden der Ukraine unter russischer Kontrolle. Am 06. Juni sprengten mutmaßlich die Besatzer den Staudamm. Seitdem ergossen sich sekündlich mehr als 30.000 Kubikmeter in die tiefergelegenen Gebiete. Inzwischen ist fast dreiviertel des Wassers aus dem Kachowka-Stausee weg. Die abgeflossene Wassermenge betrug nach Angaben des ukrainischen Rettungsstabes am Montagmittag 14,4 Kubikkilometer. Das entspricht etwa einem Drittel des Bodensees.

Rettungsaktionen für die überschwemmten Gebiete unterhalb des Staudamms gestalten sich schwierig. Helfer berichten wiederholt über Schüsse von russischer Seite. Für Flora und Fauna der Region wird indes jede Hilfe zu spät kommen. Von einer „Dead-Zone“ – einer toten Zone – spricht die aus der Ukraine stammende Gewässerforscherin Oleksandra Shumilova, die am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei forscht. „Der Wasserstand des Stausees vor dem Dammbruch lag bei rund 16 Metern. ab 12 Metern sprechen wir von einer Dead-Zone. Inzwischen liegt der Stauseespiegel bei rund 9 Metern“, so Shumilova bei einem Pressebriefing.

Durch den Rückgang des Wassers im Stausee und weiter oberhalb gelegener Flusssysteme des Dnipro droht ein Massensterben von Fischen. Laut ukrainischem Agrarministerium könnten das bis zu 95.000 Tonnen toter Fische sein. Viele davon relevant für die Fischereiindustrie. Bis sich der Bestand erholt, könnte es bis zu 10 Jahre dauern, wenn überhaupt. Auch sind durch die Entwässerung viele nationale Schutzgebiete in der Ukraine betroffen – etwa Feuchtgebiete, wie das Archipel Velyki und das Mali Kuchugury. In diesen und anderen Gebieten wird es auch weniger Nahrungsquellen für Fische und Vögel geben. Zudem werden Vögel in zuvor vom Wasser isolierten Gebieten weniger geschützt sein. Der Dnipro Fluss durchfließt die Ukraine von Norden nach Süden und durchquert dabei unter anderem die Hauptstadt Kiew.

Während oberhalb des Staudamms vertrocknete Gebiete Sorgen bereiten, sind es unterhalb es Staudamms Überschwemmungen, die viele Arten gefährden. „Etwa 120.000 Hektar geschützter Lebensräume sind bedroht“, so Shumilova. Es geht um 47 nationale Schutzgebiete – der bedeutendste: das Biosphärenreservat Schwarzes Meer, mit dem Dnipro Delta auf einer Fläche von 33.630 Hektar. Viele Tiere werden voraussichtlich durch die direkten Folgen der Überschwemmungen verenden, darunter bedrohte Arten, wie der Steppenotter, die kaspische Peitschennatter sowie der Steppenläufer. Auch viele Brutplätze von Vögeln sind zerstört. Genaue Zählungen und Messungen zum Rückgang von Populationen laufen.

Gewaltige Probleme stehen auch dem Schwarzen Meer bevor. Die Meeresverschmutzung wird immer weiter zunehmen. „Große Mengen an Schadstoffen, wie Kraft- und Schmierstoffe aus dem Wasserkraftwerk Kachowka, Verschmutzung durch Abwassergruben, Tankstellen, Mülldeponien, landwirtschaftlichen Flächen und anderen Quellen, werden das Meer am Golf vom Dnipro bis nach Odessa verschmutzen“, sagte Shumilova.

Verheerende Folgen drohen auch der Landwirtschaft. Das ukrainische Agrarministerium prognostiziert einen Rückgang des Getreideexports von 14 Prozent in diesem Jahr durch die Folgen des Staudamm-Bruchs. Ein Bewässerungssystem, gespeist aus dem Kachowka-Staudamm sorgte zuvor für Wasser für 326.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche, die nun drohen auszutrocknen. Zehntausende Hektar Ackerfläche sind zudem unterhalb des Staudamms bereits überschwemmt. Auch Getreidelager stehen unter Wasser und Transportwege auf Land und Wasser sind blockiert.

 Zudem können Industriebetriebe in und um der Großstadt Krywyj Rih, im Süden der Ukraine, kein Wasser mehr aus dem Dnipro beziehen und mussten ihre Produktion, etwa von Stahl, bereits einstellen. Die Stadt war zudem in der vorletzten Nacht massiven Raketenbeschuss durch Russland ausgesetzt. Mindestens 11 Menschen kamen ums Leben. Die Todeszahl durch die Folgen der Überschwemmung liegt aktuell bei 23 Personen. Die Schäden gehen in die Milliardenhöhe.

Entwarnung gibt es lediglich für die Kühlung des Atomkraftwerk Saporischschja, das zwar außer Betrieb ist, aber in dem Brennstäbe weiterhin gekühlt werden müssen, um einen Reaktorunfall zu vermeiden. Kühlwasser speiste sich bislang aus dem Kachowka Stausee. Doch es stehen alternative mobile Pumpstationen bereit. Auch kann Wasser aus Grundwasserquellen entnommen werden. Für wie lange bleibt abzuwarten. Für eine gesicherte Wasserversorgung von Landwirtschaft, Industrie und Atomkraftwerk sowie die Renaturierung von Flächen müssten eigentlich der Staudamm schnellstmöglich repariert werden sowie neue Bewässerungssysteme angelegt werden. Das aber gestaltet sich in einem Kriegsgebiet äußerst schwierig. mg


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