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EU-Forststrategie 2030Warum die Waldstrategie von allen Seiten kritisiert wird

Blick von unten in Baumwipfel
In unwirtlichen Zeiten sind Wirtschaft und Umweltschutz schwer unter einen Hut zu bringen, die europäische Waldstrategie will genau das erreichen. (Foto: Juschek auf Wikimedia / CC BY-SA 4.0)

Mit der europäischen Waldstrategie 2030 ist keine Interessengruppe so recht zufrieden. Die Mitgliedsstaaten wollen ihre Wälder souverän bewirtschaften, die Holzverarbeiter den Zugriff auf den Rohstoff bewahren, Umweltschützer mehr Ruhe im Wald.

29.09.2030 – Mitte September stand im Europäischen Parlament auch die Waldstrategie der EU auf der Tagesordnung. Sie wurde im Vorfeld von allen relevanten Interessengruppen kontrovers diskutiert: Mitgliedstaaten, Waldbesitzer, forstnahe Industrie, Umweltschutzorganisationen hatten ihre Kritikpunkte formuliert.

Die EU-Forststrategie für 2030 ist eine der Leitinitiativen des European Green Deals, die auf der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 aufbaut und die vielfältigen Funktionen der Wälder einbezieht. Sie zielt darauf ab, Europas Wälder an neue Bedingungen, Wetterextreme und die große Unsicherheit infolge des Klimawandels anzupassen, aber auch eine starke und nachhaltige Holzwirtschaft zu unterstützen. Konkret werden Vorgaben zum Schutz von Wäldern gemacht, die Entwicklung von Förderinstrumenten für Ökosystemdienstleistungen des Waldes angeregt sowie eine intensivere Beobachtung und Datenerhebung geplant. Zudem sollen bis 2030 mindestens drei Milliarden zusätzliche Bäume in der EU gepflanzt werden.

Zwei Konfliktlinien identifiziert

In einer Analyse haben drei Wissenschaftler:innen die verschiedenen Standpunkte der Akteure in Bezug auf die Waldstrategie betrachtet und die Konfliktlinien beschrieben. Im Wesentlichen sind es zwei Aspekte, die die verschiedenen Lager voneinander trennen. Da ist zum einen das Interesse der Mitgliedsstaaten nach Souveränität, dem das Streben der Union nach mehr Kontrolle entgegensteht. Zum anderen kollidiert das wirtschaftliche Interesse der holzverarbeitenden Industrie mit dem Streben nach intakten Ökosystemen. In der Studie werden die wichtigsten Positionen beschrieben, aber auch der Versuch unternommen, die Haltung der Europäischen Kommission zu den damit verbunden Konflikten zu ergründen.

Neben der Waldstrategie haben die Forscher auch die Biodiversitätsstrategie, die EU-Habitatrichtlinie und andere Politikinstrumente betrachtet sowie offene Briefe und gemeinsame Erklärungen von Forstministern, organisierten Waldbesitzern, forstbasierter Industrie sowie Umwelt-NGOs unter die Lupe genommen, um die Konflikte um die neue Waldstrategie zu bewerten. Denn die europäische Waldstrategie ist kein eigenständiges Gesetz, sondern über andere Rechtsakte – unter anderem den European Green Deal, die Habitatrichtlinie, die Vogelschutzrichtlinie, die Umwelthaftungsrichtlinie und die Richtlinie über Umweltkriminalität – in ein komplexes Politik-Layout mit rechtsverbindlichen Instrumenten eingewoben.

Mehr Hoheit für die EU in Sachen Waldwirtschaft

Ein Punkt ist nach Auffassung der Forscher unstrittig: Im Gegensatz zur Strategie von 2013 zielt die neue Strategie darauf ab, die Forstpolitik der Mitgliedstaaten stärker zu kontrollieren. Dieser Konflikt ist einfach zu verstehen und deutlich sichtbar. So richteten zehn europäische Forstminister im Sommer 2021 ein gemeinsames Schreiben an die Kommission, in dem sie den Top-Down-Ansatz kritisierten, der die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vernachlässige, sowie die Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten im Umgang mit ihren Wäldern verringere.

In ihrem Widerstand gegen die neue EU-Forststrategie stehen die Minister Hand in Hand mit den Waldbesitzern. Dies zeigte sich in der Wiener Erklärung der Europäischen Waldbesitzer zur Neuen EU-Waldstrategie für 2030 vom Oktober 2021. Sie übten Kritik am Ungleichgewicht zwischen ökologischen und ökonomischen Erwägungen, eine zu starke Zentralisierung, unnötige Einschränkungen und Hindernisse durch umfangreiche Bürokratie.

Die Forstwirtschaft äußerte sich ebenfalls in einer gemeinsamen Erklärung, in der Holz als Hauptgeldgeber für die Unterstützung anderer Funktionen der Wälder identifiziert und daher der Schluss gezogen wird, dass die Strategie die wirtschaftliche Entwicklung der Wälder nicht einschränken und die Beschäftigung in diesem Sektor nicht beeinträchtigen dürfe.

Demgegenüber steht eine breite Allianz aus über 80 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die den Schutz natürlicher Wälder, die Ausweitung von Schutzräumen und strengere Nachhaltigkeitsregeln für die Waldbewirtschaftung anstreben. Sie forderten die Mitgliedsstaaten dazu auf, die neue Waldstrategie uneingeschränkt zu billigen und den Status Quo der Forstpraktiken nicht mehr zu unterstützen. Kritik hatten die NGOs aber dennoch: sie bemängelten das Fehlen verbindlicher Indikatoren und Schwellenwerte für die nachhaltige Waldbewirtschaftung.

Hier wird die zweite große Bruchlinie sichtbar. Sie trennt die rohstoff- und die freiraumorientierten Interessengruppen – die Forstwirtschaft und die Umweltschutzorganisationen. Interessant im Konflikt zwischen der Forstwirtschaft und Umwelt-NGOs ist die gemeinsame Forderung nach klaren Definitionen, die der Strategie derzeit fehlt.

Darüber hinaus konstatiert das Forscherteam in der Waldstrategie unspezifische Formulierungen, die letztlich Verwirrung stiften. Beispielsweise soll erreicht werden, die europäischen Treibhausgasemissionen zu mindern und gleichzeitig eine nachhaltige Waldbioökonomie zu etablieren. Dieses Beispiel spiegele den inhärenten Gegensatz zwischen Ressourcennutzung und Umweltschutz.

Mehr Ökologie oder mehr Wirtschaft?

Sind die Kritikpunkte von Forstwirtschaft und Waldbesitzern berechtigt? Nach Meinung der Forscher scheint es tatsächlich ein Ungleichgewicht zugunsten der Ökologie zu geben. Einerseits erfasse die Strategie umfassend die Funktion der Wälder als Kohlenstoffsenke und als Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten, andererseits blieben die Finanzierungs- und Kompensationsmechanismen weitgehend vage, obwohl sie erwähnt werden.

Wichtig sei auch die Nord-Süd-Spaltung der Mitgliedsstaaten. Südeuropäische Nationen sprechen sich eher für den Schutz aus, während die nordeuropäischen Nationen eher die produktive Nutzung bevorzugen. Diese Tendenz ließe sich durch eine höhere Waldmenge im Norden und die daraus resultierende höhere Relevanz für die Wirtschaft erklären, während die Wälder in Südeuropa häufigere Waldbrände erleben und insgesamt weniger wirtschaftlich genutzt werden.

Die Rolle der Europäischen Kommission

Die Forscher räumen ein, dass tatsächlich der Eindruck entstehen könne, dass die Europäische Kommission als Schöpfer der Waldstrategie eher auf der Seite der Umwelt-NGOs stehe, doch kämen nach genauerem Studium auch einige Zweifel an dieser Sichtweise auf. Die EU-Waldstrategie habe einen wirtschaftlichen Subtext. So werde die Bioökonomie als rohstofforientiertes Konzept gesehen, das sich auf Primärproduktion, Ressourceneffizienz, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit konzentriert, während Natur und Umwelt als Ressourcen angesehen werden, die der Mensch bei Bedarf nutzen und übernutzen kann. Zugleich bilde der European Green Deal das Dach der Waldstrategie. Abgesehen von umfangreicher Umweltrhetorik sei der European Green Deal aber eine Politik, die wirtschaftliche Interessen fördere.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Kommission einen echten Versuch unternommen hat, die konkurrierenden Interessen auszugleichen. Angesichts der Schwierigkeit, die Zielkonflikte zwischen Umweltschutz und wirtschaftlichem Nutzen zu überwinden, und des Problems der Inkohärenz in der Forstpolitik war dies keine leichte Aufgabe. So sei es folglich auch nicht verwunderlich, dass beide Seiten an der Bruchlinie zwischen Wirtschaft und Umweltschutz unzufrieden sind. pf


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