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EuropaImportabhängigkeit gefährdet Energiewende

Als Maßnahmen für robustere Lieferketten empfehlen Experten u.a. eine Förderung von Investitionen zum Produktionsaufbau in Europa sowie für stabile heimische Absatzmärkte. (Bildquelle: Prognos)

Um die Resilienz der Lieferketten der Schlüsseltechnologien für die Energiewende ist es in Deutschland und Europa schlecht bestellt. Die Importabhängigkeit, vor allem von China, ist immens hoch. Eine Studie zeigt Gegenmaßnahmen auf.

08.09.2023 – Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine machte offensichtlich, wie verletzlich die europäische Wirtschaft und Gesellschaft durch hohe, einseitige Importabhängigkeit von fossilen Energieträgern von einigen wenigen Ländern sind. Doch auch bei den Schlüsseltechnologien für die Klimawende geht es darum Deutschland und Europa nicht zu abhängig von Importen aus einzelnen Ländern, vor allem China, zu machen. Denn in Folge drohen politische Erpressbarkeit und negative wirtschaftliche Effekte.

Jüngst wurde mit der Einführung des Inflation Reductiion Act (IRA) in den USA evident, dass der globale Wettbewerb um die Ansiedlung der wichtigsten Zukunftstechnologien für die Transformation voll im Gange ist. Und China arbeitet schon seit Jahren systematisch daran, Weltmarktführer für grüne Technologien zu werden.

„Die spannende Frage ist, wo wir derzeit stehen und wie wir uns hier künftig aufstellen“, unterstreicht Regine Günther, Direktorin der Berliner Stiftung Klimaneutralität. Mehr Klarheit hierbei möchte die Studie „Souveränität Deutschlands sichern – Resiliente Lieferketten für die Transformation zur Klimaneutralität“ schaffen, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Erstellt wurde sie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Prognos, Öko-Institut und Wuppertal Institut.

Sie nehmen in der Untersuchung zentrale Schlüsseltechnologien der Transformation entlang der gesamten Lieferkette unter die Lupe, um herauszufinden, bei welchen Rohstoffen, Komponenten oder strategischen Gütern kritische Abhängigkeiten heute schon bestehen oder absehbar entstehen werden. Sie entwickeln Strategien und Instrumente, mit denen die Lieferketten robuster aufgestellt werden können und geben erste politische Empfehlungen.

Schlüsseltechnologien, Schwachstellen und kritische Rohstoffe

In einem ersten Schritt werden die wichtigsten Schlüsseltechnologien für die Klimawende, die politische Souveränität Deutschlands und Europas sowie die Sicherung des Industriestandorts identifiziert. Das sind laut der Studie die Photovoltaik, die Windkraft, Lithium-Ionen-Batterien für Elektromobilität, Permanentmagnete für E-Mobilität und Windkraft, Elektrolyseure, Wärmepumpen und grüne Stahlerzeugungsanlagen (DRI-Schachtöfen).

In einem zweiten Schritt werden Schwachstellen entlang der gesamten Lieferketten dieser sieben Schlüsseltechnologien analysiert, wozu neben Rohstoffförderung auch die Rohstoffverarbeitung, Teilkomponenten und Komponenten zählen.

Anschließend werden die kritischsten Rohstoffe für diese Schlüsseltechnologien hinsichtlich ihrer künftigen Verfügbarkeit quantifiziert. Das sind Lithium, Iridium (schwere und leichte), Seltene Erden, Kobalt, Nickel, Graphit und Mangan.

Das Beispiel Photovoltaik

Die Untersuchungsergebnisse führen Abhängigkeiten und Schwachstellen drastisch vor Augen. Bei der boomenden Photovoltaik ist das Vorkommen des wichtigsten Rohstoffs Quarzsand laut der Studie in Europa kein Problem. Kritisch wird es bei der Verarbeitung und den Komponenten. So gab es in Europa in 2022 gerade einmal Fertigungskapazitäten mit einem Volumen von 21 GW für die Polysiliziumverarbeitung, der Anteil Chinas an der weltweiten Produktion lag bei 79 Prozent.

97 Prozent der Wafer und Ingots sind „Made in China“, 2 Gigawatt (GW) sind in Europa gefertigt. Ebenfalls nur 2 GW Solarzellen stammen aus europäischer Produktion, der Anteil Chinas an der Weltproduktion liegt hier bei 97 Prozent. Bei Solarglas sieht es nicht viel besser aus, nur 3 GW wurden in 2022 in Europa produziert. Der Umfang der europäischen Modulfertigung lag bei gerade einmal 10 GW, chinesische Module machten 75 Prozent des Weltmarktes aus.

Hohe Importabhängigkeit bei Permanentmagneten

Hoch ist auch die Importabhängigkeit Europas bei den Permanentmagneten für Elektromotoren und Windkraftgeneratoren. Die Hochleistungsmagnete sind kompakt, haben eine hohe Leistungsdichte und eine höhere Effizienz. Sie werden laut der Studie in 95 Prozent aller neuen E-Fahrzeuge, allen Elektro-LKW, 95 Prozent der neuen Offshore Wind und 25 Prozent der Onshore Windkraftanlagen verwendet. Sie bestehen zu rund einem Drittel aus Leichten Seltenen Erden (Neodym, Praseodym) sowie Schweren Seltenen Erden (Dysprosium, Terbium).

Bei den Lieferketten dominiert ebenfalls China mit einem Anteil von 58 Prozent bei der Förderung seltener Erden sowie zu 87 Prozent (Leichte) bis 100 Prozent (Schwere) bei deren Verarbeitung. 94 Prozent aller Permanentmagnete werden in China gefertigt. Zudem wird vor allem bei Dysprosium in den kommenden Jahren aufgrund der stark wachsenden Nachfrage mit Lieferknappheiten gerechnet.

Marktdominanz Chinas auch bei Lithium-Ionen-Batterien

Auch bei Lithium-Ionen-Batterien für E-Mobilität hat China eine hohe Marktmacht. So bei der Förderung von Graphit (73 Prozent) und der Graphit-Verarbeitung (100 Prozent), der Verarbeitung von Lithium (73 Prozent), Nickel (75 Prozent) und Kobalt (75 Prozent), dem Kathoden-Material (71 Prozent), dem Anoden-Material (91 Prozent) als (Teil)Komponenten sowie den Batteriezellen (77 Prozent). Den größten Engpass bei der künftigen Verfügbarkeit sieht die Studie beim Lithium, wo derzeit Australien die Förderung mit einem Weltmarktanteil von 52 Prozent dominiert. Es wird damit gerechnet, dass sich die globale Nachfrage für Lithium bis 2030 verfünffacht.

PEM-Elektrolyseure – kritische Iridium-Versorgung

Auch die Lieferketten für Protonenaustauschmembran-Elektrolyseure (PEM) für die Herstellung von grünem Wasserstoff sind fragil.  PEM-Elektrolyseure sind besonders geeignet für Stromsysteme mit erneuerbaren Energien und gelten als ausgereifte Technologie. Kritisch ist hier vor allem die Versorgung mit Iridium. Es kommt nur sehr selten in der Erdkruste vor (1 :2,5 Milliarden) und ist das drittteuerste Metall. Die jährliche weltweite Förderung als Begleitmaterial von Platin liegt bei nur 8 t, 85 % davon in Südafrika.

Grüner Stahl: Nur zwei DRI-Technologieanbieter

Kritisch sind auch die Lieferketten für die Herstellung von klimaneutralem Stahl durch Direktreduktionsanlagen (DRI) mit Hilfe von grünem Wasserstoff und Eisenerz. Hier liegt der Engpass vor allem im Bereich des Anlagenbaus. Es wird in den kommenden Jahren mit einer Verzehnfachung der weltweiten Nachfrage gerechnet, aber es gibt derzeit mit Midrex (USA, Mutterkonzern Kobe Steel Japan) und Tenova (Italien, Mutterkonzern Techint Argentinien) nur zwei Technologieanbieter.

Offensivere europäische Industriepolitik gefordert

Als Maßnahmen für robustere Lieferketten empfehlen die Studienautoren u.a. eine Förderung von Investitionen zum Produktionsaufbau in Europa sowie für stabile heimische Absatzmärkte. Hierzu brauche es Ausgleichsmaßnahmen für die europäischen Transformationsindustrien zur Herstellung eines Level Playing Fields zu subventionierten Konkurrenten außerhalb Europas.

Neben der Investitionsförderung sollten hier auch Betriebskostenbeihilfen befristet ermöglicht werden. Zudem gelte es auch die Förderung kritischer Rohstoffe innerhalb der EU zu forcieren. Um die Lieferketten geografisch zu diversifizieren, brauche es „Transformationspartnerschaften auf Augenhöhe“, mit einer Stärkung der Wertschöpfung in den Partnerländern und durch eine intensivierte Zusammenarbeit bei Bildungs- und Forschungsvorhaben. Entscheidend sei auch ein frühzeitiger Kapazitätsaufbau in der Recyclingindustrie, auch wenn Potenziale bei einigen Technologien erst ab 2030 zu erwarten seien.

Resilienz-Monitoring und Reform des Kartellrechts

Zudem plädieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür, ein umfassendes Resilienz-Monitoring einzuführen und institutionell zu verankern und Resilient-Content-Regelungen für Fördermaßnahmen und den Import von Gütern einzuführen. Auch sollten Einkaufsgemeinschaften für strategische Rohstoffe und Güter sowie die Bündelung von Lieferverträgen ermöglicht werden. Hierzu brauche es eine Prüfung und etwaige Reform des Kartellrechts sowie eine Bündelung und Absicherung von Abnahmeverträgen durch die öffentliche Hand. Hans-Christoph Neidlein


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