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Klimaresilienz in StädtenLet‘s play Klimaanpassung

Menschen lassen Drachen steigen auf dem Tempelhofer Feld in Berlin
Die Zukunft des Tempelhofer Feldes löst Diskussionen in der Berliner Stadtplanung aus. Freizeitfläche oder Teilbebauung? Die Freifläche hat eine kühlende Wirkung auf das städtische Mikroklima. (Foto: Eva von Trümbach, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Mehr Hitze, mehr Regen, mehr Dichte – Städte müssen sich immer schneller an neue Extreme anpassen. Doch erst ein Fünftel der deutschen Städte verfügt laut Bundesregierung über einen Hitzeschutzplan oder eine Strategie zur Klimaanpassung.

02.05.2024 – Zwischen 1951 und 2021 hat sich die Anzahl der Hitzetage in Deutschland laut Deutschem Wetterdienst fast verdoppelt. Auch die Zahl der Tropennächte steigt. Eine Analyse von Klimadaten aus dem Jahr 2021, an der das Umweltbundesamt mitgewirkt hat, macht deutlich: Die Klimate aller Regionen in Deutschland haben sich verschoben – viele Orte weisen heute ein Klima auf, das vor 50 Jahren zwischen 100 bis 600 km weiter im Südwesten herrschte. Schreitet die Erderwärmung weiter so voran, darf Hamburg in naher Zukunft mit mediterranem Klima rechnen und in der Lausitz herrschten das ganze Jahr Temperaturen wie in Nordspanien. Das mag zunächst verlockend klingen – ist aber eine große Herausforderung für die Ökosysteme und Infrastrukturen der betroffenen Regionen.

Klimazwillinge in Aktion

Den Klimaprojektionen zufolge werden sich bspw. bis Ende des Jahrhunderts die Temperaturen in Düsseldorf denen im heutigen Toulouse und die Temperaturen in Toulouse denen im heutigen Tunis annähern. Mit der Initiative „Klimazwillinge in Aktion“ organisieren die drei Städte seit zwei Jahren Austauschwochen, in denen mit jungen Erwachsenen am Thema Klimaanpassung gearbeitet wird – etwa in Workshops und gemeinsamen Pflanzaktionen von klimaresilienten Bäumen.

In weiteren Projekten wie Plan°C werden Erfahrungen von Hitzeaktionsplänen ausgetauscht, die später anderen Kommunen zugänglich gemacht werden sollen. So plastisch die Analogien zwischen den einzelnen Städten und Regionen auch sein mögen, sie implizierten nicht, dass beispielsweise Gebäudestrukturen oder Ökosysteme einer anderen Stadt einfach nachgebaut werden können, warnt das Umweltbundesamt. Der Vergleich gebe nur Anregungen, wie Städte sich auf ein wärmeres Klima vorbereiten sollten.

Jeder Baum zählt

Unsere Städte sind kaum für extreme Hitze oder Starkregengüsse gebaut. Vor allem die hohe Versiegelung mit wärmespeichernden Materialien wie Beton oder Asphalt heizt das Stadtklima auf, es bilden sich urbane Hitzeinseln. Für die Durchlüftung der Stadt und um Hitze und Schadstoffe auszuleiten, werden Frischluftschneisen sowie Grünflächen und Wälder als Kalt- und Frischluftproduzenten lebensnotwendig.

Grüne Infrastruktur in der Stadt kühlt die Temperatur im Durchschnitt um mindestens ein Grad Celsius, berichtet das Zentrum KlimaAnpassung, das im Auftrag des Bundesumweltministeriums Kommunen bei Maßnahmen unterstützen soll. Ein junger, gesunder Baum habe bspw. einen Kühleffekt, der dem von zehn Klimaanlagen entspricht, die 20 Stunden pro Tag in Betrieb sind. Grüne Fassaden könnten Kohlenstoff speichern und zur Isolierung von Gebäuden und damit zu Energieeinsparungen beitragen.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo will bis 2026 rund 170.000 neue Bäume pflanzen lassen und damit deren Gesamtzahl fast verdreifachen. 2022 wurden in Berlin 2.539 Bäume neu gepflanzt, aber 6.557 gefällt – nach Angaben der Umweltverwaltung meist in der Folge zunehmender Flächenkonkurrenzen im Straßenraum sowie erhöhter Bautätigkeiten. Mit den klimatischen Veränderungen hätten sich zudem die Standortbedingungen verschlechtert, vor allem Wassermangel ist ein Problem. Andererseits wurden im Rahmen des Mischwaldprogramms von 2012 bis 2020 in den Berliner Wäldern mehr als zwei Millionen junge standortheimische Laubbäume gepflanzt. 1.000 Hektar neuer Mischwald wären somit bis heute entstanden, berichtet die Berliner Umweltagentur.

Flächenkonkurrenz versus Klimaschutz

Mit dem digitalen Stadtklima-Simulationsmodell PALM-4U (Parallel-Large-Eddy-Simulation-Model for Urban Applications) können Stadtplaner die voraussichtliche Wirkung geplanter baulicher Klimaanpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen berechnen – wie sich etwa Dach- und Fassadenbegrünung, Grün- und Wasserflächen, die Höhe von Gebäuden und das Baumaterial auf das Mikroklima eines Stadtviertels auswirken. Die Simulation ist ein Ergebnis des Forschungsprojektes „Stadtklima im Wandel“ am Fachgebiet Klimatologie an der TU Berlin.

Für die Hauptstadt untersuchten die Forscher die möglichen klimatischen Auswirkungen durch eine Teilbebauung des Tempelhofer Feldes – denn trotz eines erfolgreichen Volksentscheids im Jahr 2014 gegen eine Bebauung der beliebten Stadtoase, will der Berliner Senat einen Teil der Flächen nun doch dafür freigeben. In der Simulation stellte sich u. a. heraus, dass nicht nur vom Tempelhofer Feld eine kühlende Wirkung auf das städtische Mikroklima ausgeht, sondern auch von den vielen baumbestandenen Innenhöfen und Straßen in den angrenzenden Stadtvierteln. Betrachtet man das städtische Klima insgesamt, reiche die Kühlleistung großer Vegetationsflächen allein nicht aus. Ein innerstädtisches kleinräumiges Mosaik aus Bebauung und Vegetation verbessere das Stadtklima deutlich. Beides muss sich ergänzen.

Interessenskonflikte

Prinzipiell müsste jede Baumaßnahme in der Stadt künftig Anforderungen an Hitzeschutz, Biodiversität und einen effizienten Umgang mit Wasser erfüllen, fordern die Bundesarchitektenkammer und der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten. Doch trotz Klimastress wird auf Fachwissen bis heute wenig Rücksicht genommen, denn hier prallen unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander und die Flächenkonkurrenz ist groß. Da werden Gewerbegebiete mitten in Kaltluftschneisen gesetzt und Wohngebiete gebaut, ohne ausreichend Grünflächen vorzusehen.

Gegen solches Vorgehen sind in Berlin zwei Volksbegehren für mehr Grün am Start. Der BUND fordert den Schutz von Freiflächen und Natur. Der Flächennutzungsplan von 1994 sollte überarbeitet und darin ausgewiesene, aber noch freie Bauflächen dauerhaft als Grünflächen gesichert werden. Eine Verdoppelung der Straßenbäume bis 2025 sowie Rechtsanspruch auf Hitzeschutz und begrünte Fassaden fordert indes die Initiative zum „Baum-Plus-Gesetz“, über das die Berliner am Tag der nächsten Bundestagswahl abstimmen sollen.

Auf dem Weg zur resilienten Stadt

Dächer und Fassaden begrünen, Flächen entsiegeln, Schatteninfrastruktur aufbauen, Versickerungsmöglichkeiten schaffen: Städte könnten also eine ganze Menge unternehmen, um sich gegen die Klimafolgen zu wappnen. Damit Maßnahmen aber langfristig und flächendeckend wirken, müssen sie verlässlich in der kommunalen Planung integriert werden. Doch dazu fehlen bislang noch die rechtlichen und meist auch finanziellen Grundlagen.

Modellkommune Stadt Brandenburg

Im Rahmen der Landesinitiative „Meine Stadt der Zukunft“ wurde Brandenburg an der Havel mit dem Projekt „Let’s play Klimaanpassung“ als Modellkommune ausgewählt. In einem experimentellen Beteiligungsprozess sollen Möglichkeiten und Grenzen von klimaanpassenden Maßnahmen für die Stadt diskutiert und langfristig wirksame Lösungen gefunden werden.

Die Stadt hat viele Wasserflächen, aber auch eine stark versiegelte Innenstadt mit wenig Grünflächen und Schatten. Besonders in dicht bebauten Bereichen der Innenstadt sei eine thermische Entlastung dringend notwendig, sagt Bürgermeister Michael Müller. Gemeinsam mit ihren Bürgern will die Stadt nun Lösungen für einen klimaangepassten und lebenswerten öffentlichen Raum entwickeln und dabei digitale Tools nutzen. „Außerdem wollen wir Prozesse etablieren, um Konflikte bei der Nutzung begrenzter Flächen zu lösen“, so Bürgermeister Müller. Ziel wäre es, allgemeingültige Leitlinien für den öffentlichen Raum zu erstellen und diese für das Handeln der Verwaltung umzusetzen. Nicole Allé

Diesen und weitere Beiträge finden sie auch in der neuen Print-Ausgabe der energiezukunftStrategien in der Klimakrise


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