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KlimakriseVom Klimanotstand zur urbanen Energiewende

Solaranlage auf dem Dach des Futurium, Zentrum für Zukunftsgestaltung in Berlin-Mitte
Ein Viertel des Berliner Stroms könnte solar auf den Dächern der Hauptstadt produziert werden. Solaranlage auf dem Dach des Futurium, Zentrum für Zukunftsgestaltung in Berlin-Mitte. (Foto: © mini_malist / Flickr / CC BY-ND 2.0)  

Mai 2019 hat Konstanz als erste deutsche Stadt den Klimanotstand ausgerufen. Rund 70 Kommunen sind dem Beispiel gefolgt, von Aachen bis Zorneding. Die Ausrufung ist symbolisch, doch die Städte versprechen damit, Klimaschutz zur Priorität zu machen. Beschleunigt das die Energiewende in den Städten?

22.06.2020 – In den Städten wird es allmählich grüner – auch politisch. Bei der Wahl in Hamburg Ende Februar konnten die Grünen ihr Ergebnis verdoppeln. Jene Städte und Kommunen, die den Klimanotstand ausgerufen haben, wollen sich dem Klimaschutz verpflichten. Vorreiter Konstanz beschloss, das Mobilitätsmanagement für die Stadt und das Energiemanagement für städtische Gebäude prüfen zu lassen und eine Solarpflicht auf Neubauten einzuführen. Zwar rühmt sich die Stadt bereits damit, 100 Prozent Ökostrom über ihr Stadtwerk zu liefern und im Bereich der Fahrradmobilität große Fortschritte zu machen, doch für Fridays for Future in Konstanz gingen die Maßnahmen nicht weit genug. So hinke bspw. die energetische Sanierung des Gebäudebestands hinter dem ursprünglichen Stadtentwicklungsplan hinterher und auch von einer Fahrradstadt sei Konstanz noch weit entfernt. Bürgerbeteiligung wird in der Stadt am Bodensee bereits großgeschrieben.

Klimaschutz verbindlich machen

Hamburg will Vorbild für alle Bundesländer werden und hat einen verbindlichen Klimaplan aufgestellt, um die CO2-Emissionen bis 2030 zu halbieren. Als große Hebel nennt der Senat eine Fernwärmeversorgung ohne Kohlekraft und einen sauberen Nahverkehr sowie die Gebäudesanierung. Dazu werden Sanierungs- und Dekarbonisierungsfahrpläne erstellt, Energiestandards für Gebäude festgelegt, es sind Ausbaumaßnahmen für den ÖPNV und den Radverkehr sowie Förderungen von Klimaschutzprojekten und Vor-Ort-Beratungen für Unternehmen geplant.

Raus aus der Kohle – konkret hieße das für Hamburg: Abschalten des Kraftwerks Wedel. Ab 2023 soll für Neubauten eine Pflicht zur Installation von Solaranlagen auf Hamburgs Dächern gelten. Beim Tausch von Heizungsanlagen gibt es ab Mitte 2021 einen verpflichtenden Anteil Erneuerbarer Energien am Heizsystem. Ölheizungen sollen bei Neubauten ab 2022 nicht mehr zulässig sein. Gebäude der öffentlichen Hand müssen besonders energieeffizient gebaut und saniert, die Landesverwaltung und ihr Fuhrpark bis 2030 klimaneutral organisiert werden. Die Begrenzung der Erderwärmung wird als Staatsziel in die Präambel der Hamburger Landesverfassung aufgenommen.

Rund zwei Milliarden Euro sind laut Angaben des Senats für den klimagerechten Umbau Hamburgs bis 2030 eingeplant. Die Stadt verspricht, auf eine „gerechte und sozial ausgewogene Verteilung der Lasten“ zu achten. Eine entschlossene Umsetzung der Energiewende könne zum Jobmotor und Innovationstreiber für Hamburg werden. Handels- und Handwerkskammer reagierten positiv, jedoch müsse man dabei wettbewerbsfähig bleiben, sprich: Vorschriften und Verbote sollten nicht über das bundesweite Maß hinausgehen. Das wird sich bei den neuen Zielen aber wohl nicht vermeiden lassen, zumal mit den Vorgaben vom Bund die Klimaziele nicht erreicht werden können.

Vom Klimanotstand zur Klimaneutralität

Auch München prescht vor und hat im Zuge der Ausrufung entschieden, bis 2035 klimaneutral zu werden. Einen Maßnahmenplan hat die Stadt vom Öko-Institut erstellen lassen. Zunächst wurde in der bayerischen Hauptstadt der Radverkehr gefördert. Es soll Fördergeld für Sanierungen geben, mehr Energie-Beratungen für Bürger und Unternehmen, klimafreundliche Gewerbegebiete sind als Modellprojekte geplant. Um die Bürger stärker einzubinden, hat das Umweltreferat die Kampagne „München Cool City“ ins Leben gerufen. Dort finden sich Tipps für den Klimaschutz im Alltag: von Wechsel auf Ökostrom bis Nahrungsmittel aus der Region.

Bis 2025 soll bilanziell der gesamte Strombedarf Münchens aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen im Besitz der Stadtwerke gedeckt werden. Aktuell investieren die Stadtwerke in Großprojekte für die Stromerzeugung – Solarenergie und Wasserkraft in Bayern, aber auch Windparks in Norddeutschland und der Nordsee sowie ein Solarkraftwerk in Spanien. Finanziert wird Münchens Energiewende allerdings noch mit Erlösen aus den lukrativen Anteilen am Atomkraftwerk Isar II. Für die Wärmeversorgung wollen die Stadtwerke vor allem den „Geothermie-Schatz unter München“ heben.

Dekarbonisierung der Städte

Viele Stadtwerke erleben derzeit eine Renaissance und entdecken die Energie-Potenziale ihrer Stadt neu. Städte sind reich an Abwärme und Umgebungswärme. Auch das Solarpotenzial der Dächer ist in den meisten Städten hoch und könnte bei voller Auslastung den Energiebedarf der Stadtbewohner an Strom aber auch Warmwasser und Heizung schon zu einem großen Teil decken – wenn zugleich der Gebäudebestand thermisch saniert wird. Es schlummern enorme Potenziale für die Energiewende in der Stadt.

Helsinki macht Dampf

Das sieht auch Finnlands Hauptstadt so und sucht im internationalen Wettbewerb HelsinkiEnergyChallenge nach „bahnbrechenden“ Ideen, die dazu beitragen können, die städtische Wärmeversorgung zu dekarbonisieren. Bis 2035 soll Helsinki CO2-neutral werden. Die Stadt will Kohle als Quelle für Fernwärme so schnell wie möglich ersetzen. Die Stadt schließt auch Heizsysteme aus, die auf der Verbrennung von Biomasse beruhen. Die Herausforderung der Wärmeversorgung zu lösen, sei entscheidend für das Erreichen der globalen Klimaziele, meint Helsinkis Bürgermeister Jan Vapaavuori. Bei der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft komme den Städten eine Schlüsselrolle zu. „Den nächsten Schritt zu machen, führt möglicherweise zu einem revolutionären Durchbruch bei unserer Suche nach einem nachhaltigen, urbanen Leben“, hofft der Bürgermeister. Helsinki ist schon auf einem guten Weg. Unter Leitung des städtischen Energieversorgers ist unter dem Stadtpark eines der europaweit größten regenerativen Fernwärme- und -Fernkälte-Systeme für die Stadt entstanden, das die Abwärme aus Gebäuden und Industrieprozessen nutzt. Mit Erderwärmung und hohen Sommertemperaturen wächst weltweit auch das Interesse an nachhaltigen Klimatisierungsverfahren.

Klimaschutz belohnen

Infolge des Klimawandels mit Hitzesommern nimmt in den Städten die Bedeutung von Grünflächen und städtischer Vegetation zur Reduzierung des urbanen Wärmeinseleffekts zu. Auch für zukünftige Starkregenereignisse sind Grünflächen wichtig, als Überschwemmungs- und Überflutungsbereich oder Rückhalte- und Versickerungsflächen. „Stadtplanerische Maßnahmen zum Erhalt von Freiflächen und Frischluftschneisen, Investitionen an öffentlichen Plätzen sowie an einzelnen Gebäuden entlang von Straßenzügen sind wichtig, aber sie reichen nicht aus, um das Stadtklima zu erhalten“, schreibt die Nationale Klimaschutzinitiative. Die Stadt Frankfurt am Main richtet sich mit einem Förderprogramm gezielt an Gebäudeeigentümer und animiert sie zu einem Beitrag zur Klimaanpassung, etwa mit der Begrünung von Dächern oder der Entsiegelung von Höfen. In Freiburg wird indes bei allen städtischen Bauvorhaben konsequent ein Klimaanpassungskonzept gegen Hitzebelastungen berücksichtigt.

Gestalten statt verwalten

74 Prozent aller Europäer leben in Städten, Tendenz steigend. Viele Städte haben die Chancen und Möglichkeiten einer urbanen Energiewende noch gar nicht erkannt. Städte entscheiden über Versorgungsstrukturen, Bebauungspläne und energetische Standards. Die Kommunen können vieles selbst entscheiden, aber längst nicht alles. Anders als der Bund dürfen die Städte bspw. im Bereich Verkehr kaum Verbote erlassen. Sie können aber Mobilitätsangebote fördern. Nachdem Radler in den Städten die letzten Jahrzehnte vor allem als Verkehrshindernis wahrgenommen wurden, soll sich das laut Berliner Senat nun ändern. Der Berliner Verkehr verursacht 23 Prozent der CO2-Emissionen in der Stadt, alternative Antriebe spielen kaum eine Rolle. Seit 2018 hat Berlin ein Mobilitäts- und damit auch ein Radgesetz. Vorangetrieben haben das die Bürger per Volksbegehren. Versprochen sind bis 2030 ein gut ausgebautes Radverkehrsnetz mit Radschnellwegen. Berlins Verkehrssenatorin hatte Anfang des Jahres sogar angekündigt, die Innenstadt bis 2030 autofrei zu machen. In der Corona-Krise zeigt sich bereits, wie eine fahrradfreundlichere Stadt aussehen könnte: Der Senat hat nun temporäre Radwege auf den sonst viel befahrenen Straßen eingerichtet. Das sollte sich nach der Krise verstetigen, fordern Stadtbürger und Radverbände.

Berliner Energieatlas zeigt Potenziale

Berlin könnte bis zum Jahr 2050 eine nahezu „klimaneutrale“ Metropole werden, haben Forscher des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) errechnet. Die Hauptstadt müsste verstärkt auf die Installation von Solarenergie setzen, den Gebäudesanierungsfahrplan und die Elektromobilität mit Ausbau der Radinfrastruktur zügig voranbringen – dann wäre eine Einsparung der CO2-Emissionen von 85 Prozent bis 2050 gegenüber dem Jahr 1990 möglich. 47 Prozent der Treibhausgase produziert laut PIK-Studie der Gebäudesektor. Eine Sanierungsrate von mindestens zwei Prozent pro Jahr wäre notwendig, momentan ist es die Hälfte. Mit der nun eingeführten Mietpreisbremse wird der Markt verunsichert, die Vermieter gehen in Warteposition.

Beim Primärenergieverbrauch in der deutschen Hauptstadt gehen bislang nur knapp vier Prozent auf Erneuerbare Energien zurück, der Rest auf importiertes Gas mit rund 38 Prozent, gefolgt von Mineralöl und der besonders klimaschädlichen Steinkohle. Im Berliner Energieatlas Online-Portal lassen sich die Potenziale für die Energiewende im urbanen Kontext ablesen – etwa Abwärmequellen oder Informationen zu Stromerzeugungsanlagen aus dem Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur. Das Online-Tool will Verwaltung und Bezirke sowie relevante Akteure bei der Energiewende-Stadtplanung unterstützen.

Das Berliner Energiewendegesetz, das der Senat 2016 beschlossen hat, verspricht „eine sparsame, rationelle, sozial- und umweltverträgliche, ressourcenschonende, risikoarme und gesamtwirtschaftlich kostengünstige Erzeugung und Verwendung von Energie zu fördern und dadurch zugleich die Versorgung mit Energie zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger des Landes Berlin langfristig zu sichern.“

Im europäischen Nachhaltigkeits-Hauptstadt-Ranking liegt Berlin bislang nur im Mittelfeld. Die Hauptstädte skandinavischer Länder – allen voran Kopenhagen – liegen deutlich vorn. Sicher: Die Städte haben unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen. Lage, Größe, Geschichte, Struktur und wirtschaftlicher Wohlstand spielen eine Rolle. Daher muss jede Stadt ihr maßgeschneidertes Energiewende-Konzept selbst finden – neu erfinden müssen die Städte es aber nicht.

In Europa geht es nicht darum, Städte neu zu entwerfen, sondern die vorhandene Substanz zu modernisieren, energetisch zu ertüchtigen, umzuwidmen.

Die Städte können dabei voneinander lernen – die eine Blaupause gibt es aber nicht. Und während Bundespolitiker noch über Energiestandards und Fördermaßnahmen debattieren, gehen Kommunen ihre eigenen Wege und setzen Energiekonzepte eigenständig um. Die Politik muss aber den Rahmen schaffen, der es den vielen Akteuren ermöglicht, Klimaschutz und Lebensqualität in Einklang zu bringen.

Von der Stadt ins Quartier

Neue Energietechnologien und Infrastrukturen sowie Geschäfts- und Gesellschaftsmodelle können in Städten und vor allem auf Quartiersebene gut getestet werden – auch deshalb sind sie wichtige Akteure bei der Umsetzung der Energiewende. Ziel muss es sein, Quartiere zu entwickeln, in denen alle Nutzer sich wohlfühlen, die langfristig bezahlbar sind – und das Ganze im Einklang mit der Umwelt. Man muss dabei nicht allen technischen Möglichkeiten nachlaufen, sondern vielmehr Lösungen finden, die einen Mehrwert an Energieeffizienz und zugleich Lebensqualität bringen. Dazu gehört die Partizipation der zukünftigen Bewohner in frühen Planungsphasen. Baugemeinschaften sind ein guter Ansatz, bezahlbaren und nachhaltigen Wohnraum zu realisieren. Die Städte dürfen daher ihre Grundstücke nicht weiter an den Meistbietenden verschachern – sondern an den mit dem nachhaltigsten Projekt.

Zur Unterstützung der Kommunen bei diesen komplexen Entwicklungen wurde im Jahr 2011 ein KfW-Programm gestartet. Das Bundesumweltministerium stellt dafür Fördermittel aus dem Energie- und Klimafonds bereit. „Typische Quartiere“ wurden für Pilotprojekte ausgewählt, um Erkenntnisse auf bau- und strukturgleiche Stadtteile zu übertragen. Ob historische Stadtkerne, Wohnsiedlungen der 50er bis 80er Jahre oder heterogene Quartiere in Großstädten – die Erfahrungen aus den bundesweiten Pilotprojekten haben eines gemeinsam: Für den Wandel im Bestand sind der Kontakt und die gute Kommunikation zu den Menschen im Quartier sowie die rechtzeitige Einbindung aller relevanten Akteure entscheidend für den Erfolg.

Regeneratives Wachstum

Alle wollen immer mehr: Konsum, Energie, Mobilität, Wohnraum. Wie aber bleiben die permanent wachsenden Städte künftig lebenswert und können gleichzeitig zum Schutz des Klimas beitragen? Sanierung ist grundsätzlich immer ökologischer als Neubau. Wenn die Stadt aber wachsen muss, dann geht das auch nachhaltig. Seit 2004 sinken die CO2-Emissionen in Heidelberg kontinuierlich – obwohl die Residenzstadt am Neckar wächst. Heidelberg verabschiedete 1992 als erste deutsche Großstadt ein kommunales Klimaschutzkonzept und hat 2019 seinen Klimaschutz-Aktionsplan aufgelegt. Mit der Bahnstadt entstand auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs die größte Passivhaussiedlung Europas. Der klimaneutrale Stadtteil dient als Testfeld für Dienstleistungen der Stadtwerke Heidelberg rund um Smart Metering, Energieeffizienz und dezentrale regenerative Versorgung.

„Die Städte haben schon viele kreative Lösungen dafür entwickelt, wie wir klimafreundlich und nachhaltig leben können“, meint Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner. „Wir haben dazu sehr gute Klimaschutz-Netzwerke. Das sollten wir ergänzen, indem sich Vorreiter-Städte jeweils zu einem Tandem mit einer Stadt zusammenschließen, die in punkto Klimaschutz eher noch am Anfang steht.“

Transformation fürs Gemeinwohl

Das Bild unserer Städte wird sich verändern – durch neue Quartiere und Infrastruktur, den Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen, die Installation solarer Systeme sowie neue Mobilitätsstrukturen. Aus dem Klimanotstand kann ein Klimaschutzplan werden – und eine urbane Energiewende mit Lebensqualität für alle Stadtbewohner. Hochglanzbroschüren zur „Smart City“ bringen zwar manchen Planer und Politiker ins Schwärmen – sind aber noch kein Instrument einer nachhaltigen Umbaustrategie.

Zu einer urbanen Energiewende gehört nicht nur die optimierte Nutzung Erneuerbarer Energien und eine effiziente Energieversorgung, nachhaltige Mobilität, kluges Recycling-, Abfall- und Wassermanagement und die energetische Gebäudesanierung – sondern auch Lebensqualität, saubere Luft, reduzierte Lärmbelastung und grüne Erholungsgebiete sowie eine Stärkung des Gemeinschaftssinns. Eins ist klar. Die urbane Energiewende muss jetzt an Tempo zulegen. Alle müssen an einen Tisch: Stadtentwicklungsplanung, Wohnungswirtschaft, Versorgungswirtschaft, Klimaschutzbeauftragte und Energieversorger, Eigentümer und Mieter, Stadtbürger und alle relevanten Akteure – um für ihre Stadt die besten Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Nicole Allé

Der Beitrag ist auch in der aktuellen Print-Ausgabe der energiezukunft zu lesen.

 


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