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Urban MiningDie Stadt als Ressource

Abriss eines Gebäudes mit einem Abrissbagger
Viel zu schade für die Deponie: Gebäude sind ein wertvolles Rohstofflager. Die Baumaterialien könnten zum großen Teil wiederverwendet werden. Besser als Abriss ist aber natürlich immer die Sanierung. (Foto: Pexels / Pixabay / Free License)

Europas Bauwirtschaft boomt, die Städte wachsen über ihre Ränder hinaus. Rund 40 Prozent aller Rohstoffe werden im Baubereich verbraucht – und landen am Ende ihres Lebenszyklus auf der Deponie. Dabei könnten viele Materialien wiederverwendet werden. Unsere Städte sind ein gigantisches Rohstofflager.

11.05.2020 – Deutschland ist Großverbraucher von Rohstoffen und gleichzeitig bei vielen Baumaterialien und Industriemineralien nahezu vollständig auf Importe angewiesen. Hohe Preisschwankungen und fragwürdige Umwelt- und Sozialstandards sind die Kehrseiten unseres Ressourcenhungers. Dabei wären wir, so schreibt das Umweltbundesamt, von über 50 Milliarden Tonnen an wertvollen Materialien umgeben. Dieses „Anthropogene Lager“ wächst jährlich um weitere zehn Tonnen pro Einwohner an. Ein großes Potenzial an Rohstoffen steckt in unseren Städten, in Bauwerken, Infrastruktur, Deponien und Konsumprodukten.

Kreative Ansätze sind gefragt. Urban Mining bezeichnet die gezielte Rohstoffgewinnung im städtischen Raum. Einer höheren Recyclingquote stehe häufig die Unkenntnis des Sekundärrohstoffvorkommens entgegen, sagen die Experten des UBA. Für den Bestand an schlummerndem Material könnte sich für bestimmte Rohstofflager eine aktive Erfassung und Listung der verbauten Materialien auszahlen.

Die Branche muss umdenken

Doch auf den Gesetzgeber zu warten dauert gerade im Bereich Energiewirtschaft und Klimaschutz oft viel zu lange. Die Branche muss umdenken, und einige tun es bereits. Die Architektin und Professorin an der Bergischen Universität in Wuppertal, Annette Hillebrandt, hat die Bedeutung des Urban Mining und Recycling früh erkannt. „Wir müssen lernen so zu denken und zu planen, dass beim Abriss oder Rückbau kein Abfall mehr entsteht“, sagt sie. Seit rund zehn Jahren setzt sie sich mit ihrem Team für einen Paradigmenwechsel im Bauen ein. Man sollte Hersteller von Baumaterialien zur Rücknahme ihrer Produkte gesetzlich verpflichten – ähnlich wie die Pflicht zur Rücknahme von Plastikverpackungen. Dann kämen vielleicht sortenreinere Stoffe auf den Markt, die immer wieder verbaut werden könnten.

Upcycling statt Downcycling

Milliarden Tonnen mineralischer Rohstoffe wie Kalk, Gipsstein, Kies, Sand oder Ton verschwinden in Gebäuden. Der Anteil der wiederverwerteten Bau- und Abrissabfälle geht meist ins Downcycling: Dabei wird der beim Abriss gewonnene Schutt als minderwertiges Füllmaterial im Straßen- und Erdbau verwendet. Das niederländische Unternehmen StoneCycling® holt alte Ziegel, Dachpfannen oder Fliesen aus Abbruchhäusern und mischt den alten Bauschutt mit neuen Materialien. So entstehen, oft nach langem Experimentieren, neue Baustoffe mit hohem Schuttanteil – denen man das nicht ansieht, etwa Lehmziegel. Die Firma aus Amsterdam verarbeitet jährlich Hunderte Tonnen Abfall zu neuen Bauelementen.

Der Wert der Stoffe

Wertstoffe in Gebäuden, Produkten und der Infrastruktur zu erkennen, noch bevor diese zu Abfall werden und sie zukünftig als Sekundärrohstoffe zu nutzen – das ist das Ziel von Urban Mining. Eine Einsparung von 95 Prozent der Energie ist beim Recycling möglich, sagt bspw. der Gesamtverband der Aluminiumindustrie: Für die Rückgewinnung von Sekundäraluminium werden zum Beispiel nur fünf Prozent der Energie eingesetzt, die für die Herstellung von Primäraluminium benötigt wird.

Windräder werden zu Spielgeräten

Schon seit Jahren experimentieren 2012Architecten aus Rotterdam mit Bauten und Installationen aus Recyclingmaterialien. Das Büro entwickelte mit Recyclicity eine Architektur, die Ressourcen schont, indem sie ausrangierten Materialien einen neuen Zweck gibt. Ausrangierte Windkraftanlagen finden in Teilen neue Verwendung als Spielgeräte auf einem Kinderspielplatz, bekannt wurde die Stadtvilla Welpeloo in Enschede, die weitestgehend aus Abbruchmaterialien und Reststoffen aus der Industrieproduktion besteht. Die Fassade stammt aus dem Holz von Kabelrollen, die Stahlkonstruktion zu 90 Prozent aus Metallteilen einer ehemaligen Textilfabrik. Hätte man für die Villa Welpeloo Stahl neu produzieren lassen, wären rund 24 Tonnen CO2-Emissionen entstanden – so waren es knapp drei Tonnen.

Denke das Ende

Der Verein URBAN MINING betrachtet Städte als Rohstoffminen, in denen wertvolle Ressourcen über unterschiedlich lange Zeiträume gebunden sind, im Anschluss aber wieder frei und nutzbar werden.

Milliarden Tonnen an Rohstoffen liegen in konzentrierter Form praktisch vor unserer Haustür und warten darauf wiederentdeckt und wiederverwertet zu werden.

Doch bislang fehlen Daten, Fakten und ein konsequentes Material-Kreislauf-Denken über das, was immer noch auf der Mülldeponie landet. Wir brauchen daher ein systematisches Management von Sekundärrohstoffen. Das muss bereits in der Produktion beginnen.

Unter dem Motto „Denke das Ende“ sollte bei der Herstellung eines jeden Produkts oder Bauwerks bereits die Wiederverwertung mitgedacht werden. Die Betreiber von Baukarussell setzen dieses Motto längst um. Sie unterstützen ein Netzwerk sozialökonomischer Betriebe in Wien, das sich um die Wiederverwendung und Verwertung von Bauelementen kümmert und dazu Vertriebs- und Lagerungsnetzwerke geschaffen hat. Zu Beginn eines Bauvorhabens wird der Rückbau bereits mitgedacht, das bedeutet auch, dass die Baustoffe möglichst sortenrein und mit geringsten Verlusten wieder getrennt werden können. Planer der Zukunft müssen lernen, aus dem Vorhandenen schöpfen.

Eine Welt ohne Abfall

Noch einen Schritt weiter geht das Prinzip Cradle to Cradle und denkt schon vor der Herstellung aller Produkte bereits an deren Wiederverwertbarkeit. Um den Gedanken weiterzutragen hat im letzten Jahr in Berlin ein neues Bildungszentrum eröffnet, das C2C LAB.  Aufgrund der steigenden Nachfrage zu Cradle to Cradle aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gibt es hier Angebote rund um das Ökologiekonzept, schreiben die Macher.

„Produkte werden beim C2C neu erfunden und von Anfang an so designt, dass die gebrauchten Materialien immer wieder als Rohstoff verwendet oder gefahrlos kompostiert werden können.Alle verbrauchten Gegenstände sollen in endlose technische oder biologische Kreisläufe zurückgeführt werden.“ Das wird direkt vor Ort im C2C LAB demonstriert. Eine stark sanierungsbedürftige Mieteinheit in einem Ost-Berliner Plattenbau aus kommunalem Wohnungsbau wurde nach den Cradle to Cradle Prinzipien saniert. Es sei die weltweit erste umfassende Bestandssanierung nach diesen Kriterien, sagen die Betreiber. Besucher sind willkommen.

Kreisläufe schließen

Das NEST der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in Dübendorf nahe Zürich bietet eine Innovationsplattform, auf der Wissenschaftler aus dem Bau- und Energiebereich neue Technologien und Produkte unter realen Bedingungen testen. Die Architekten Werner Sobek, Dirk E. Hebel und Felix Heisel verfolgen hier mit dem Projekt eines recycelten Wohnmoduls das Ziel, einen vollständig geschlossenen Materialkreislauf zur Herstellung von Gebäuden zu erproben und zu analysieren. Eine als Forschungseinheit Urban Mining & Recycling eröffnete Testwohnung besteht ausschließlich aus kompostierbaren, wiederverwertbaren und weiternutzbaren Materialien für Konstruktion und Ausbau.

„Wir wollen beweisen, dass es schon heute möglich ist, so zu bauen, dass sämtliche Ressourcen zu hundert Prozent und sortenrein wieder ausbaubar sind“, erläutert Professor Hebel, Leiter des Fachgebiets Nachhaltiges Bauen des KIT. „Statt Verbindungen zu verkleben oder auszuschäumen wurde geschraubt, geklemmt oder gesteckt, um die verwendeten Einzelstoffe unvermischt zurückzugewinnen und wiederverwenden zu können.“ Auch vollkommen neue Baustoffe kamen zum Einsatz, darunter kompostierbare Dämmplatten aus Pilz-Myzel, einem aus Pilzgewebe und Sägespänen kultivierten Material. Die Baueinheit wurde komplett im Werk vorfabriziert und innerhalb eines Tages in ein mehrstöckiges Versuchsgebäude eingebaut. Über die Dauer von fünf Jahren soll nun beobachtet werden, wie sich Methoden bewähren und Materialien verhalten. Nicole Allé


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