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EnergiewendeBürgerenergie braucht Impulse für mehr Vielfalt

Menschengruppe vor Windrad
Die Bürgerenergie ist ein Eckpfeiler der Energiewende, sie kann noch vielfältiger und bunter werden. (Foto: Bündnis Bürgerenergie e.V. / Jörg Farys)

Ein Blick auf existierende Bürgerenergie-Projekte zeigt, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen partizipieren und profitieren. Eine Studie hat untersucht, wie stark verschiedene Gruppen vertreten sind und welche Werte sie repräsentieren.

19.03.2024 – Die Politik hat erkannt, dass Bürgerenergiegesellschaften wichtige Akteure der Energiewende sind. Im Erneuerbaren-Energien-Gesetz gibt es inzwischen einige Erleichterungen für Bürgerenergieprojekte. Doch in der Realität ist Bürgerenergie nicht gleich Bürgerenergie.

Es gibt die eher klassischen, basisorientierten Projekte, die auch der Graswurzel-Bewegung zugeordnet werden können, aber auch große angelegte und professionell verwaltete. So haben engagierte Bürgerinnen und Bürger in Gemeinden aus Umweltgruppen oder Heimatvereinen heraus Energiegenossenschaften gegründet, während andere, meist größere Projekte durch Gesellschaften, Banken, öffentliche Einrichtungen oder Unternehmen initiiert wurden.

Mit der neuerdings ebenfalls im EEG verankerten Möglichkeit, Kommunen finanziell an den Erträgen von Wind- und Solaranlagen zu beteiligen, könnte das gesellschaftlich wertvolle demokratische Moment der Graswurzel-Bewegung verloren gehen. Daraus ergibt sich die Frage, wie mehr Energiedemokratie etabliert werden kann, der sich eine aktuelle Studie gewidmet hat.

Bürgerenergie kein Garant für Energiedemokratie

Jörg Radtke vom Forschungszentrum für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS) und Nino Bohn von der Universität Siegen werteten Daten aus einer Umfrage unter den Mitgliedern in 85 Bürgerenergie-Projekten in Deutschland aus. Die Ergebnisse zeigen, dass Bürgerenergie nicht automatisch die Energiedemokratie stärkt.

Die Forschenden unterteilten die Mitglieder nach verschiedenen Charakteristika: Alter, Geschlecht, Einkommen, Ausbildung und persönliche Einstellungen – also ob die Mitgliedschaft zum Beispiel durch ökologische Werte, Renditewünsche oder der „Energie in Bürgerhand“-Idee motiviert ist.

Männer und akademisch Gebildete überrepräsentiert

Demografisch zeigt sich: Männer, ältere sowie akademisch gebildete Menschen sind im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen stark überrepräsentiert. Das sei in der internationalen Forschung kein neuer Befund, doch die vertiefte Auswertung zeige eine weitere, noch schwerer wiegende Problematik auf wie Radtke betont.

Es finden sich teils gravierende Unterschiede bei den Einstellungen zu Bürgerenergie zwischen den unterschiedlichen Alters-, Bildungs- und Geschlechtergruppen. „Mit anderen Worten: Dadurch, dass jüngere Menschen und Frauen unterrepräsentiert sind, sind auch deren Vorstellungen, wie ein Bürgerenergie-Projekt gestaltet sein sollte, schwächer vertreten. Das wäre unproblematisch, wenn diese deckungsgleich mit denen der dominierenden Gruppen wären, doch dem ist nicht so: Bürgerenergie bedeutet gerade für jüngere und weibliche Bevölkerungsgruppen etwas anderes als für ältere Männer“, erklärt Radtke.

Seine Schlussfolgerung: Die Politik müsse die Grundlagen dafür schaffen, dass alle, also auch sozial benachteiligte Gruppen angesprochen werden. Dies sind im Falle von Bürgerenergie insbesondere jüngere, weibliche oder nicht-binäre Personen sowie Menschen mit geringem Einkommen. Außerdem müssten auch Bevölkerungsgruppen besonders berücksichtigt werden, die von der Umstellung auf neue Heizsysteme und Elektromobilität negativ betroffen sind.

Die Forschenden haben ihre Ergebnisse in Kurzform zusammengefasst:

1. Das Alter ist der wichtigste Faktor, der die Einstellung zu Bürgerenergieprojekten beeinflusst. Ältere Mitglieder betonen idealistische Motive stärker, sie sehen Bürgerenergie als eine Art demokratische Praxis, die die lokale Gemeinschaft fördert. Jüngere Mitglieder haben eine eher pragmatische Einstellung, sie fühlen sich der lokalen Gemeinschaft weniger verpflichtet.

2. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Männer und Frauen haben zwar ähnliche Motivationen und Prioritäten, Frauen stellen den Wert demokratischer Mitbestimmung jedoch stärker in den Vordergrund, während Männern die finanziellen Erträge des Projektes wichtiger sind. Für Frauen ist ein Bürgerenergie-Projekt mehr ein sozialer Ort des Miteinanders, der gelebten demokratischen Gemeinschaft. Männer hingegen betonen zwar ideelle Werte als Ausgangsmotiv, doch in der Ausführung und Praxis der Organisation ist ein professionelles Management für sie entscheidend.

3. Das Einkommen macht ebenfalls einen Unterschied, hat aber weniger Einfluss als Alter und Geschlecht. Mitglieder mit höherem Einkommen sind mehr an Rendite interessiert und weniger idealistisch eingestellt.

4. Bei der Motivation zeigt sich, dass akademisch gebildete Mitglieder mehr von den Vorteilen der regionalen Wertschöpfung überzeugt sind, während Nicht-Akademikerinnen und Nicht-Akademiker das Gemeinschaftsgefühl in Bürgerenergie-Projekten in den Vordergrund stellen.

Empfehlungen für mehr Vielfalt

Damit die Projekte integrativer und vielfältiger werden, empfehlen die Autoren, dass Bürgerenergie-Projekte gezielte Angebote für nicht akademisch gebildete Menschen schaffen und eine Gemeinschaftsstruktur aufbauen, die auch für Menschen mit weniger Vorwissen einladend ist.

Zudem sollten die Angebote mehr offerieren als eine rein finanzielle Investition, aber andererseits auch nicht den Eintritt in einen elitären Club von Altruisten bedeuten. Neue Mitglieder sollten sich repräsentiert wissen und mit dem Projekt identifizieren können. Bislang machen die beteiligten Bürgerinnen und Bürger nur selten von ihren Mitbestimmungsrechten Gebrauch und ordnen sich den Vorständen weitestgehend eher unter. Mentoren- und Diversitätsprogramme könnten aber neue Zielgruppen ansprechen und aktive Inklusionsarbeit leisten. pf


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