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Roadmap GeothermieWärme aus der Tiefe hat noch großes Potenzial

Sonnenaufgang in Aachen, im Vordergrund die Geothermiebohrung am Templergraben; im Hintergrund Aachener Rathaus und Dom
Tiefe Erdwärme in der Stadt nutzen: Geothermiebohrung in Aachen am Templergraben im Jahr 2004; im Hintergrund Rathaus und Dom. (Foto: Geolina163 / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0)

Die hydrothermale Geothermie als Wärmequelle könnte nach Abschätzung von Forschern rund ein Viertel des Gesamtwärmebedarfs in Deutschland decken. In Hamburg Wilhelmsburg will man in Zukunft 5.000 Haushalte mit Erdwärme aus der Tiefe versorgen.

07.02.2022 – Die Ampel-Regierung hat sich laut Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, die Hälfte der kommunalen Wärme bis 2030 aus klimaneutralen Quellen zu gewinnen. Der Wärmesektor macht 56 Prozent des nationalen Energiebedarfs aus. Doch nur 15 Prozent der Wärme wären bislang regenerativ, sagen Fraunhofer Forscher. Während Wasserstoff und Biomasse zukünftig in erster Linie den Hochtemperatur-Bedarf der energieintensiven Grundstoffindustrie decken müssten, stünden für Niedertemperatur-Nutzungen unter 200 Grad Celsius vor allem solarthermische und geothermische Optionen zur Verfügung.

Forscher sehen daher in der Tiefen Geothermie hohes Potenzial – da sie witterungsunabhängig lokale Energie liefert und wenig Fläche in Siedlungen belegt. Eine gemeinsame Roadmap von Forschenden der Fraunhofer-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft weist nun nach, dass Tiefe Geothermie mehr als ein Viertel des jährlichen deutschen Wärmebedarfes abdecken könnte. Um mehr Projekte dieser Art umzusetzen, brauche es klare Ausbauziele, großflächige geologische Erkundungen und zudem mehr Fachkräfte sowie Aufklärung und Beteiligung der Bürger für mehr Akzeptanz.

Marktakteure wie Energieversorger, Industrieunternehmen, Wohnungswirtschaft, Finanzwirtschaft, Politik, Verwaltung, Ausbilder und Kommunen bräuchten jetzt neue Instrumente für die komplexe Aufgabe der Umsetzung, sagt Prof. Rolf Bracke, Leiter des Fraunhofer IEG und Mit-Herausgeber der Geothermie-Roadmap für Deutschland. Das Strategiepapier solle dabei helfen, indem es für alle Akteure Informationen zum geothermischen Wärmeangebot, zur Vielseitigkeit des Wärmemarktes und zur technologischen Realisierung der Wärmewende bereitstelle.

Viel Wärme, die noch in der Erde schlummert

Der Schwerpunkt der Studie liegt auf den hydrothermalen Reservoiren, also thermalwasserführenden Gesteinen in Tiefenlagen zwischen 400 Metern und 5.000 Metern. Geothermale Wässer könnten bei Temperaturen zwischen 15 und 180 Grad Celsius aus Tiefbrunnen gefördert werden. Sie seien Jahres- und Tageszeitenunabhängig verfügbar und ließen sich insbesondere für die kommunale Wärmeversorgung, Fernwärme, Wohnungswirtschaft und die Bereitstellung industrieller Prozesstemperaturen nutzen.

Die Technologie sei ausgereift und komme seit Jahrzehnten in vielen europäischen Städten zur Anwendung, etwa in Paris und München, berichten die Wissenschaftler.

Viel Luft nach oben

Die hydrothermale Geothermie – im Bedarfsfall kombiniert mit Großwärmepumpen – als Wärmequelle für Fernwärmenetze könnte nach den Abschätzungen der Roadmap in Zukunft rund ein Viertel des Gesamtwärmebedarfes Deutschlands decken – das wären laut Studie rund 300 Terawattstunden Jahresarbeit bei 70 Gigawatt installierter Leistung. 2020 lieferten bundesweit 42 Anlagen 359 Megawatt installierte Wärmeleistung und 45 Megawatt elektrische Leistung.

Hotspots und Hürden

Für den Ausbau gibt es noch einige Hürden zu überwinden: Bislang ist nicht ausreichend bekannt, wo genau geeignete Heißwasser-Reservoirs liegen. Weitere Erkundungsbohrungen wären nötig, um die regionalen Hotspots auszumachen und in einer Übersichtskarte anzulegen. Dabei bringt nicht jede Bohrung den gewünschten Erfolg – das schrecke so manchen Energieversorger ab. Es sollte eine Versicherung geben, die mögliche Ausfallrisiken zumindest teilweise abdeckt, so die Idee der Forscher. Genehmigungsverfahren dauerten zu lange. Das sollte vereinfacht und beschleunigt werden, raten die Studienautoren.

Ewigkeitsnutzen statt Ewigkeitslasten

Zum Aufbau einer geothermalen Erzeugungsinfrastruktur und zur Anbindung an kommunale Verteilungsinfrastrukturen für Wärme kämen laut Studie auf öffentliche Haushalte und private Unternehmen in den kommenden zehn Jahren Investitionen in Höhe von bis zu 2,5 Milliarden Euro je Gigawatt installierter Leistung zu. Wenn zügig ausgebaut werden soll, wären demnach Investitionen in Höhe von 50 bis 60 Milliarden Euro fällig, schätzen die Forscher. Damit ließen sich wettbewerbsfähige Wärmegestehungskosten von unter 30 Euro je Megawattstunde erzielen, schätzen die Forscher bzw. lägen die Erzeugungskosten für die tiefe Geothermie bei 2,5-3 Cent/kWh.

„Die Energiewende muss eigentlich eine Wärmewende sein,“ sagt Prof. Bracke und erläutert im Fraunhofer-Podcast, wie in vielen Teilen Deutschlands alte Bergbaustrukturen für zukunftsweisende Geothermie-Projekte genutzt werden könnten.

Umweltschutz einplanen

Tiefe Bohrungen in die Erde belasten aber auch immer die Umwelt. Als oberste Devise müsse gelten, keine Trinkwasser-Reservoirs zu beeinträchtigen, so die Studie. Es sind auch Fälle bekannt, wo Geothermie-Anlagen regional kleine Erdbeben ausgelöst haben. Dem Forscherteam scheinen diese Risiken jedoch „technisch beherrschbar“. Die mächtigen Bohranlagen müssten zudem in ausreichendem Maße schallgedämmt werden, um Anwohner vor Lärmbelästigung zu schützen.

Bohrbeginn in Hamburg-Wilhelmsburg: Erdwärme für 5.000 Haushalte

Ein geothermisches Wärmeprojekt ist vor kurzem in Hamburg-Wilhelmsburg gestartet. Dort haben letzte Woche die Bohrungen zur Förderung von Erdwärme begonnen, berichten die Hamburger Energiewerke. Die Bohrarbeiten wären der erste Schritt zur Errichtung einer Geothermie-Anlage, die im Rahmen des Energiewende-Projekts Reallabor IW3 – Integrierte WärmeWende Wilhelmsburg, das bis 2024 realisiert werden soll und eine nahezu CO₂-freie Wärmeversorgung von Wilhelmsburger Wohnquartieren zum Ziel hat.

In Zukunft solle im Hamburger Stadtteil Erdwärme in Form von heißem Thermalwasser aus rund 3.500 Metern Tiefe an die Oberfläche befördert werden. Über Wärmetauscher wird die Energie dem Wasser entzogen und in das dezentrale Nahwärmenetz in Wilhelmsburg eingespeist. Anschließend soll das abgekühlte Wasser zurück in die thermalwasserführende Schicht im Untergrund geleitet werden.

Mit einer Leistung von 10 Megawatt könnten so rund 5.000 Haushalte mit regenerativer Wärme in Wilhelmsburg versorgt werden, berichten die Planer. „Wir zeigen damit einmal mehr, wie Hamburg den Kohleausstieg umsetzt, wie wir die Steinkohle in Wedel durch eine Vielzahl sauberer Quellen ersetzen und damit auch neue Technologien voranbringen“, sagte Michael Pollmann, Staatsrat für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft, zum Beginn der Bohrungen. Bei einer Tiefenbohrung bleibe zwar immer ein Restrisiko hinsichtlich der Fündigkeit, doch man bleibe optimistisch, das Projekt wie geplant umzusetzen. Bei Erfolg könnte es als Blaupause für weitere Städte und Gemeinden in Norddeutschland dienen, hofft Michael Prinz, Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke. na


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