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Die Meinung
28. Juli 2023

Ein erster Erfolg gegen überstürzten Tiefseebergbau

Eine neue Industrie bedroht unseren Ozean. Doch auch wenn Förderanträge für Tiefseebergbau jetzt eingereicht werden können – die Verhandlungen der Ratssitzung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) waren ein erster Erfolg gegen die Profitgier einiger Unternehmen, die den neu entstehenden Industriezweig fälschlicherweise als unverzichtbar bezeichnen.

Martin Webeler, Ocean Campaigner & Researcher, Environmental Justice Foundation

Martin Webeler, Ocean Campaigner & Researcher, Environmental Justice Foundation
Martin Webeler, EJF
Bild: EJF

In den Tiefen des Ozeans lagern große Vorkommen von Kupfer, Nickel, Mangan und Kobalt, Mineralien, wie sie zur Herstellung von Autobatterien, Windkraftanlagen oder Solaranlagen verwendet werden. Befürworter*innen von Tiefseebergbau behaupten daher, dass er notwendig sei, um die Energiewende zu schaffen. Bergbauunternehmen stehen in den Startlöchern und drängen Staaten auf den baldigen Beginn.

Noch existiert kein Regelwerk, das kommerziellen Tiefseebergbau in internationalen Gewässern reguliert. Trotzdem können seit Anfang Juli 2023 Förderanträge zum Abbau von Tiefseemineralien bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) eingereicht werden – unregulierter Tiefseebergbau ist dadurch möglich, obwohl eine Vielzahl an Staaten, inklusive Deutschland, eine Einführung zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen. Entscheidend ist, dass es diesen Staaten gelungen ist, eine zeitlich gebundene Verpflichtung für den Beginn zu verhindern.

Wie konnte es so weit kommen

Diese gefährliche Situation wurde möglich, weil der Inselstaat Nauru durch ein Schlupfloch im Völkerrecht eine Sonderklausel ausgelöst hat, die sogenannte „Zwei-Jahres Regel”. Dadurch blieben den 168 ISA-Mitgliedstaaten und der EU nur 24 Monate Zeit, um Regularien zur Ausbeutung der Tiefsee zu entwickeln und zu verabschieden, bevor Förderanträge eingereicht werden dürfen – mit oder ohne Regelwerk. Die durch Nauru ausgelöste Zwei-Jahres-Regel hat die Staaten unter enormen Druck gesetzt, das Regelwerk bis zum 9. Juli 2023 fertigzustellen. Das ist nicht passiert. Dennoch sind die Verhandlungen keinesfalls ein Misserfolg, sondern ein starkes Signal des wachsenden Widerstandes gegen Tiefseebergbau und ein bedeutender Rückschlag für den
hochspekulativen Wirtschaftszweig.

Was auf dem Spiel steht

In der Tiefsee existieren Organismen, die tausende Jahre alt sind und weitere Lebewesen, die auf die Mineralien als Habitat angewiesen sind; verschwinden sie, verschwindet ein Teil des Ozeans. Tiefseebergbau wird zwangsläufig zu einem massiven und potenziell irreversiblen Biodiversitätsverlust führen. Er wird Ökosysteme stören und den Kohlenstoffkreislauf beeinträchtigen, mit Folgen, deren Ausmaß die Wissenschaft noch nicht versteht. Anders als an Land würde sich diese vulnerable Umgebung der Tiefsee, in menschlichen Maßstäben gesprochen, nie wieder erholen. Zudem deuten Untersuchungen darauf hin, dass Fischpopulationen schrumpfen und die Aufnahme von giftigen Metallen in die Nahrungsketten erfolgen kann, was vor allem für küstennahe Gemeinschaften katastrophale Folgen haben würde.

Profit auf Kosten unseres Ozeans

Die ISA hat offensichtlich strukturelle Probleme, die Bergbauunternehmen ein hohes Maß an Einfluss verschaffen. Sensible Daten über mineralreiche Gebiete sollen an Unternehmen weitergegeben worden sein. Die Neutralität ihrer Führungsebene stellte die Parlamentarische Staatssekretärin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Franziska Brantner im März in einem außergewöhnlich scharfen Brief infrage.

Zudem schloss die ISA Beobachter*innen von kritischen Verhandlungsphasen während des Ratstreffens – insbesondere beim Umgang mit der Zwei-Jahres-Regel – aus, während sie es Industrieunternehmen erlaubte, direkt an den Verhandlungen teilzunehmen. Die Kontrolle politischer Prozesse wurde dadurch deutlich erschwert und eine Kernaufgabe von NGOs beschnitten. Tatsächlich sind Bergbaukonzerne seit Jahren unmittelbar an den Verhandlungen beteiligt – als Mitglieder staatlicher Delegationen.

Doch es gibt ein weiteres Problem, das einige Unternehmen immer wieder als Argument für Tiefseebergbau anbringen: Sie behaupten, dass die Mineralien der Tiefsee unerlässlich für die Energiewende und die Einhaltung der Pariser Klimaziele sind. Diese Aussage ist falsch und birgt enorme Gefahren für die bereits desolate Gesundheit unseres Planeten. Wissenschaftliche Analysen sowie zentrale Forschungsinstitute wie der European Academies' Science Advisory Council haben dieses Argument zurückgewiesen.

Es gibt auch Untersuchungen, die den zukünftigen Mineralienbedarf in astronomische Höhen beziffern. Doch Prognosen wie die der Internationalen Energieagentur basieren auf einem „business-as-usual“-Ansatz und Innovationen bei Batterietechnologien können nur unzureichend berücksichtigt werden. Autobauer wie Tesla und Hyundai verwenden bereits Batterien, die ohne Kupfer und Nickel auskommen. Noch wichtiger: Diese Prognosen basieren auf einem linearen Wirtschaftsmodell, das auf unbegrenztes Wachstum abzielt.

Wachsender Widerstand und Sieg für die Opposition

Weltweit sprechen sich immer mehr Unternehmen, Forschende, Umweltverbände und indigene Sprecher*innen gegen Tiefseebergbau aus. Mittlerweile befürworten 21 Staaten ein Moratorium oder eine Pause. Die Schweiz, Portugal, Schweden, Irland und Brasilien haben sich in den ISA-Verhandlungen der letzten Wochen dieser Gruppe an Ländern angeschlossen. Ebenso stellten sich 36 internationale Finanzinstitute, die einen Gesamtwert von 3,3 Billionen US-Dollar verwalten, gegen Tiefseebergbau. Der UN-Menschenrechtskommissar forderte ein Moratorium, wie auch Fischerei-Verbände, die gemeinsam ein Drittel des weltweiten Thunfischfangs abdecken.

Der von Beobachter*innen und Delegierten als am wichtigsten eingestufte Agendapunkt der Verhandlungen war der Umgang mit der Zwei-Jahres-Regel. Das Sekretariat hatte dafür nur zwei halbe Tage festgelegt und machte unerwartet den kontroversen Vorschlag eines Zeitplans für die Fertigstellung des Regelwerkes, über den die Staaten entscheiden sollten. Erfreulicherweise gelang es den Tiefseebergbau-kritischen Staaten, den befürwortenden Ländern die Stirn zu bieten, und statt einer neuen Deadline für die Verabschiedung des Regelwerks eine Zeitschiene auszuhandeln, die wenig Verbindlichkeit schafft und eine Finalisierung der Regularien erst 2026 vorsieht.

Klare Absage an eine hochriskante Industrie

Seit Jahrzehnten nutzen wir mehr Ressourcen, als unser Planet bereitstellt. Wir wollen mehr, wir produzieren mehr und wir verschwenden mehr – allen voran Industrienationen wie Deutschland oder die USA. Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Menge an Elektroschrott bis 2030 weltweit auf 70 Millionen Tonnen ansteigen wird. Wir fluten Europas Städte mit über einer halben Million E-Scootern und verlieren 1.160 Tonnen Kupfer pro Jahr durch die Produktion von Einweg E-Zigaretten. Es ist eben diese unhinterfragte Selbstverständlichkeit des Überflusses und eine bislang fehlende Kreislaufwirtschaft, die unseren Planeten bis an seine Belastungsgrenzen führt.

Die Zerstörung unberührter Lebensräume kann nicht die Antwort auf unsere ungebremste Nachfrage nach Ressourcen sein. Tiefseebergbau ist unvereinbar mit internationalen Verpflichtungen zur Bekämpfung der Biodiversitäts- und Klimakrise; er ist weder das „Heilmittel“ für die Energiewende, noch wird er uns dabei helfen, den Übergang in eine nachhaltige Zukunft erfolgreich zu meistern – stattdessen setzt er ein Lebensmodell fort, das unsere Lebensgrundlagen vor unseren Augen vernichtet.

Wir müssen unsere Bedarfe reduzieren und jede Anstrengung unternehmen, die uns zu einem zirkulären und nachhaltigen Wirtschaftsmodell führt. In einer grüneren und gerechteren Welt, die auch zukünftige Generationen berücksichtigt, hat Tiefseebergbau keinen Platz.

 




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