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Nachgefragt
14. November 2022

Solidarität braucht Beziehungen

Zwei Solar-Selbstbau-Initiativen bringen frischen und vor allem solidarischen Wind in die Bürgerenergiebewegung. Im solaren Selbstbau wird die Idee eines neuen Wirtschaftens hautnah in der Praxis erprobt. Denn Solidarität braucht Strukturen und Beziehungen.

Christian Gutsche brennt für den Bremer SolidarStrom. Er ist promovierter Physiker und arbeitet zudem als Klima-Kommunikationstrainer.

Christian Gutsche brennt für den Bremer SolidarStrom. Er ist promovierter Physiker und arbeitet zudem als Klima-Kommunikationstrainer.
Foto: Agatha Gück

Christian, der Bremer SolidarStrom und SoLocal Energy aus Kassel sind Selbstbau-Initiativen, was ist der Gedanke hinter dem Konzept?

Das Motiv liegt in dem Anspruch, nicht nur über solidarische Ökonomie zu sprechen, sondern sie auch mit Leben zu erfüllen. SoLocal Energy und Bremer Solidarstrom sind Schwesterprojekte, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, die Idee des solidarischen Wirtschaftens in der Praxis zu erproben. Als Vorbild hatten wir die Schweizer Initiative Selbstbau. Die Solarbranche haben wir uns ausgesucht, weil wir es auf mehreren Ebenen spannend und sinnvoll fanden und wir auch das fachliche Know How dafür haben.

Was oder wer verbirgt sich hinter dem Bremer Solidarstrom?

Wir sind eine Gruppe von fünf bis zehn ehrenamtlich aktiven Menschen, denen eine Wirtschaftswende am Herzen liegt. Für mich läuft in der Welt vieles nicht so, wie es schön wäre und das hat meiner Meinung nach mit unserem Wirtschaftssystem zu tun. Es ist einfach, den Kapitalismus zu kritisieren, aber wir brauchen halt auch eine Idee davon, wie wir anders wirtschaften könnten. Solidarisch und miteinander. Dafür ist theoretische Arbeit notwendig, aber auch praktische. Unsere Gruppe begeistert sich für solidarische Ökonomie. Der namensgebende Bremer Solidarstrom ist nur ein Projekt. Wir betreiben darüber hinaus einen solidarischen ökologischen Co-Working-Space, einen selbstorganisierten Veranstaltungsraum – das Café Sunshine und eine Food-Kooperative.

Ihr seid nicht als Genossenschaft organisiert – warum?

Die Rechtsform einer Genossenschaft ist nicht sehr agil und relativ teuer. Zudem wird man Mitglied über eine Einlage. Es ist also eine Gemeinschaft, die über Finanzen zusammenkommt. Das finden wir nicht ganz angemessen, zumal auch nicht jeder, der an der Energiewende teilhaben will, die Einlage finanziell leisten kann. Aber den Genossenschaftsgedanken, etwas gemeinsam kooperativ und solidarisch zu machen, finde ich gut. Und diesen Gedanken kann man auch in anderen Rechtsformen nachbauen – zum Beispiel in einem nicht gemeinnützigen Verein.

Wie entsteht deiner Meinung nach Solidarität?

Ich will die Welt schöner machen, indem Menschen solidarischer und kooperativer miteinander umgehen. Ich finde, dass Strukturen einen großen Einfluss darauf haben, wie sich Menschen verhalten. Wenn es gelingt, einen strukturellen Anreiz zur Kooperation und zur Solidarität zu schaffen, dann wird solidarisches Miteinander öfter entstehen als in Strukturen, die Konkurrenz belohnen. Für Solidarität braucht es aber vor allem Beziehungen. Ich bin eher solidarisch zu jemanden, den ich kenne. Wenn du Solidarität und Kooperation willst, musst du Gemeinschaft pflegen. Bei uns drückt das auf der Baustelle aus. Wir bauen nicht Solaranlagen für Kunden, sondern mit Kunden. Das macht einen Riesenunterschied. Wir sind also kein typischer Solarbaubetrieb, sondern eher eine Wirtschaftswende-Gruppe, die im Solarbereich arbeitet.

Kannst du den Unterschied noch näher erklären?

Beauftragt der Kunde eine Firma, hat er Erwartungen, die Druck erzeugen. Läuft etwas schief, wird gestritten. Bei uns sieht der Kunde selbst, wie die Anlage montiert wird und hat damit auch eine gewisse Kontrollfunktion. Gleichzeitig achten wir als Bauleiter natürlich darauf, dass ordentlich gearbeitet wird. Beim freiwilligen Selbstbau kannst du die Leute nicht knechten – es gibt einen strukturellen Anreiz, gut miteinander umzugehen. Ich erlebe, dass das für Menschen eine existenzielle Erfahrung sein kann. Wenn ihnen jemand etwas schenkt, ohne eine konkrete Gegenleistung zu erwarten, öffnet das ihr Herz und entfaltet eine ganz praktische Kraft. Wir erleben das viel zu selten, weil wir in Strukturen leben, die das nicht anreizen.

Zählt Ihr euch eigentlich zur Bürgerenergie-Bewegung?

Wir wollen uns nicht von der Bürgerenergie abgrenzen, auf keinen Fall, aber ich denke schon, dass wir mit dem Solidaritätsthema einen Impuls geben, der in den Genossenschaften noch nicht selbstverständlich ist. Bürgerenergiegesellschaften sind ein wichtiges Momentum der Energiewende, aber auch hier gibt es Luft nach oben. Mehr Diversität und vor allem dem individuellen Geldbeutel angepasste Beteiligungsmodelle könnten die Bürgerenergie noch attraktiver machen. Deshalb sehen wir den Selbstbau auch nicht nur technisch, sondern als gesellschaftlichen Beitrag. Und ich bin mir sicher, dass viele Bürgerenergie-Aktive den Solidaritätsgedanken unterstützen.

Trägt Euch euer Modell auch wirtschaftlich?

Ja. Die Balkonmodule tragen sich mit fairen Verkaufspreisen, weil wir sehr effizient damit arbeiten – mit Online-Schulungen, gut verständlichen Montageanleitungen und Einkauf in größeren Stückmengen. Bei den Solaranlagen sieht es ähnlich aus. Die größte Herausforderung ist gerade, möglichst viel Material vorrätig zu haben und auch die dafür nötige Liquidität. Außerdem geht viel Zeit für die Beschaffung drauf. Wir erhalten viel ehrenamtliche Unterstützung, was hilfreich ist, vor allem auch, um durch größere personelle Kapazitäten eben mehr Solaranlagen bauen zu können.

Das Gespräch führte Petra Franke.


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