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VerkehrswendeBremen: Vorreiter, mit großen Aufgaben

Ein Mann in orangenem Overall bepinselt eine Fahrbahn auf der Fahrradstraße steht. An ihm vorbei fahren Fahrradfahrer.
Errichtung einer Fahrradstraße in Bremen: Die Stadt war und ist Trendsetter der deutschen Fahrradinfrastruktur (Foto: Freie Hansestadt Bremen)

Die Verkehrswende ist ein heißes Thema der anstehenden Bremer Wahlen. Früher als andere begann die Stadt mit Radverkehrskonzepten zu experimentieren und damit Trends zu setzen. Doch auch in Bremen dominieren Autos vielerorts weiterhin das Stadtbild.

11.05.2023 – Am kommenden Sonntag, den 14. Mai, stehen in Bremen die 21. Bürgerschaftswahlen an. In dem Stadtstaat ist die Verkehrspolitik von je her ein wichtiges Thema. Aktuell regiert ein Bündnis aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Das Regierungsbündnis hatte kurz vor der Wahl per Nachtragshaushalt 2,5 Milliarden Euro für ein Klimaschutzpaket auf den Weg gebracht. Vieles davon soll in die Verkehrswende fließen.

Bei einem Wahlkampfauftritt in Bremen wetterte der Parteivorsitzende der FDP, Christian Lindner, kürzlich gegen diese Pläne. „Hier in Bremen wird jetzt der Klimawandel zu einer Generalkrise über die nächsten Jahre und Jahrzehnte erklärt, um die Schuldenbremse zu umgehen“, zitierte ntv Lindner. Am stärksten setzte sich die Bremer FDP im Wahlkampf, neben der rechtspopulistischen Partei Bürger in Wut, für die Belange von Autofahrer:innen in der Stadt ein. Der Landesvorsitzende der FDP, Thore Schäck, sieht Bremen nach wie vor als Autostadt.

Dagegen forderte, Wiebke Winter, Teil des CDU-Tandems um Spitzenkandidat Frank Imhoff und Mitbegründerin der Klima-Union, in einer Sendung von buten un binnen, Bremen als Fahrradstadt weiter auszubauen. Auch das amtierende rot-grün-rote Bündnis steht grundsätzlich hinter dieser Forderung, wenn auch mit unterschiedlicher Vehemenz. Bremen gilt bereits als bundesweiter Vorreiter in Sachen Fahrradinfrastruktur, wie ein Blick in die jüngere und ältere Vergangenheit zeigt.

Der Anteil des Radverkehrs spreche eine deutliche Sprache  

Große Ehre wurde Bremen 2019 zuteil. Der Copenhagenize-Index, die wichtigste weltweite Bewertung großstädtischer Fahrradinfrastruktur, listete Bremen als beste deutsche Stadt auf Platz 11. „Mit 674 Kilometern physisch separierter Fahrradwege, können die Bewohner:innen auf das Fahrrad als komfortables Verkehrsmittel für ihre täglichen Fahrten setzen“, so die Autor:innen des Copenhagenize-Index. Der Anteil des Radverkehrs in der Stadt von 25 Prozent spreche eine deutliche Sprache. In keiner anderen deutschen Großstadt mit mehr als 500.000 Einwohnern ist dieser so hoch.

Ein Anteil, der über Jahrzehnte hinweg erarbeitet wurde. Schon 1897 wurden in Bremen erste Radwege am Straßenrand angelegt. Richtig Fahrt nahm die Radverkehrsentwicklung Ende der 1970er Jahre auf. Vielfach fällt dabei der Name Klaus Hinte, lange Jahre Leiter der Straßenverkehrsbehörde. Er richtete 1978 in der Bremer Herbststraße die erste sogenannte Fahrradstraße Deutschlands ein, in der Fahrradfahrer Vorrang vor dem Auto haben. Ein Modell, das sich heute immer größerer Beliebtheit erfreut. Zudem öffnete Hinte damit die Einbahnstraße für gegenläufigen Radverkehr, was bundesweit erst 1997 Eingang in die Straßenverkehrsordnung fand.

Hinte hätte bis zu seiner Pensionierung Anfang der 2000er Jahre Bremen gerne noch deutlich stärker umgebaut, er scheiterte aber an politischen Widerständen, die den privaten Autoverkehr hofierten. Bei der letzten offiziellen Zählung der Stadt Bremen im Jahr 2018 dominierte der motorisierte Individualverkehr das Bremer Verkehrsgeschehen, mit einem Anteil von 32 Prozent innerhalb der Stadt. Zudem stieg der Pkw-Bestand im gesamten Bremer Stadtgebiet in den letzten Jahren stetig an. Das Ergebnis sind zugeparkte Straßen.

80 Prozent des Raumes für den Autoverkehr

„Bremen ist keine Residenzstadt, mit breiten Alleen, sondern eine Kaufmanns- und Arbeiterstadt mit eher engen Straßen“, verweist der Geschäftsführer des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Bremen, Martin Rode, auf den grundsätzlichen Platzmangel. In vielen Straßen werde 80 Prozent des Raumes für den parkenden und rollenden Autoverkehr verbraucht, da bleibe wenig Platz für Fußgänger und Radfahrer. Um zugeparkte Gehwege gibt es in Bremen heftige Debatten, die zum Teil vor Gericht ausgefochten werden.

„Hier muss neu justiert und der Straßenraum wieder gerecht und regelkonform geordnet werden“, erkennt auch die Bremer Bürgermeisterin und Senatorin für Mobilität und Bauen, Maike Schaefer von Bündnis 90/die Grünen, an. Sie verweist auf das Projekt Sunrise. In Teilbereichen der östlichen Vorstadt Bremens wurden nachhaltige Mobilitätslösungen auf Quartiersebene erprobt. „Rund 1.600 Meter Gehweg sind vom illegalen Parken freigeräumt worden – nun finden sich etwa 150 Autos weniger auf den Straßen. Ein kostenpflichtiger Ausweichparkplatz wurde eingerichtet, Garagen werden wieder für das Abstellen von Autos genutzt. CarsharingStationen erlauben den einfachen Zugriff auf Autos“, so Schaefer. Weniger private Autos sind das Ziel.

Schaefer verweist zudem auf die für Deutschland modellhafte Einrichtung einer „Fahrradzone“. 12 Straßen des Quartiers Alte Neustadt wurden 2020 im Verbund als Fahrradstraßen ausgewiesen, in denen neben dem Vorrang für Fahrradfahrer Tempo 30 für Autofahrer gilt. Spezielle Verkehrsschilder, für die wieder die deutsche Straßenverkehrsordnung geändert wurde, weisen das Quartier aus. Glatte Fahrbahnbeläge, weniger Auto- und mehr Fahrradstellplätze sowie Bikesharing, Lastenradverleih und Reparaturstellen runden den Ausbau zum fahrradfreundlichen Viertel ab.

An anderen Stellen hapere es jedoch an guten Fahrradwegen, moniert Rode vom BUND Bremen. Ein in Bau befindliches Prämienroutennetz, mit breiteren und durchgehenden Fahrradwegen, sei bislang nur zur Hälfte fertig. „Wir erleben, dass zusätzliche E-Bikes, Lastenräder und Fahrradanhänger auf vielen vorhandenen Fahrradwegen nicht mehr unterzubringen sind“, so Rode. Auch mehrere geplante Fahrradbrücken über die Weser würden über die Ebene von Machbarkeitsuntersuchungen nicht hinauskommen.

Laut Schaefer sind bei den geplanten Weserbrücken viele Instanzen einzubinden, von der Bundeswasserstraßenverwaltung bis hin zu Belangen des Naturschutzes. „Das sind komplexe Prozesse, die ihre Zeit brauchen. Hier darf man nicht erwarten, dass dies von einem aufs nächste Jahr umgesetzt wird.“ Konflikte gibt es auch bei der Fahrradpremiumroute „am Wall“. Eine Kfz-Fahrbahn wird dort zur Fahrradspur, zur Umfahrung der Altstadt und Anschluss an die künftigen Weserbrücken. Die Route wird für die Stadt wesentlich teurer als geplant, da die Stadt weniger Fördermittel vom Bund erhält als ursprünglich mündlich zugesagt.

Der Verkehrssenat muss nun an anderen Stellen sparen. Das zeigt: Deutlich mehr Geld vom Bund für den kommunalen Ausbau der Radinfrastruktur ist nötig. Entsprechende Förderprogramme des Bundes gebe es ohnehin erst seit wenigen Jahren, was den Ausbau von Fahrradwegen in der Stadt lange Zeit schwierig gestaltet habe, so die Bremer Senatorin.

Zudem habe sich „am Wall“ gezeigt, dass einige Gruppen zwar die Förderung des Radverkehrs fordern, aber bei der Umsetzung dann die Konsequenzen scheuen. „Vor allem wenn es Einschränkungen für den Kfz-Verkehr gibt, zeigen sich auf einmal Stimmen, die noch immer nicht von den verkehrspolitischen Vorstellungen der autogerechten Stadt weggekommen sind“, sagt Schaefer. Die Bremer Handelskammer und ein Zusammenschluss von Ladeninhabern in der Stadt lehnten den Bau ab. Sie befürchten Einschränkungen des Autoverkehrs für Kunden aus dem Umland. Doch durch den Ausbau des regionalen Schienenverkehrs ist die Innenstadt inzwischen gut mit den Öffentlichen erreichbar.

Schwieriger ist es für viele Pendler, die aus dem Bremer Umland kommen und am Rande der Stadt, in Gewerbe- und Industriegebieten arbeiten. Von den fast 140.000 täglichen Pendlern nach Bremen nutzen rund 80 Prozent das Auto. Es bedarf einer weiteren Verdichtung des ÖPNV und Vernetzung von Randgebieten der Stadt mit dem Bremer Umland, fordert Rode vom BUND. Eine Angebotsverbesserung des regionalen ÖPNV sei diesbezüglich in Planung, so Schaefer. Zudem sollen neue Radschnellverbindungen mit weiteren Querungen der Weser mehr Menschen zum Umstieg bewegen.

Für die Umsetzung der Projekte erwartet Schaefer mehr Aktivität und Unterstützung vom Bundesverkehrsministerium. Zudem müssten viele Menschen in der Region noch begreifen, wie notwendig ein Umdenken ist – in einer Stadt, die zu 90 Prozent mit Deichen vor dem steigenden Meeresspiegel geschützt werden muss. „Wer hier an alten Zöpfen festhält, gefährdet die längerfristige Lebensfähigkeit der Stadt und der Region“, ist die Senatorin überzeugt.

Umfragen vor der Wahl am Sonntag sehen für die Bremer Grünen Verluste von bis zu fünf Prozent. Die könnte mit dem Verkehrssektor zu tun haben, mutmaßte Schaefer, die auch Spitzenkandidatin der Grünen ist, im ZDF kurz vor der Wahl. „Wenn man was anpackt, wenn man was verändert, dann stößt das gerade im Mobilitätsbereich oft auf Gegenwehr.“ Um die Infrastruktur für Fahrräder zu verbessern, müssten Autofahrern auch mal auf ein oder zwei Spuren verzichten, das komme nicht bei allen gut an.

Die SPD dagegen punktet in Umfragen gegenüber der letzten Wahl. Mit Blick auf den Streit zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern, erklärte deren umweltpolitischer Sprecher bei buten un binnen: „Wir sollten keine Politik betreiben, die Konflikte zuspitzt, sondern eine, mit der alle leben können. Wir müssen gemeinsame Lösungen finden.“ Ob mit diesem Konzept Premiumradrouten und Weserbrücken forciert werden, erscheint jedoch fraglich. Den Umfragen zufolge könnte es für rot-grün-rot wieder reichen. Die Fahrradfahrer:innen Bremens blicken gespannt auf die Wahl am Sonntag und anschließenden Sondierungsgespräche. Manuel Grisard

Der Artikel ist eine aktualisierte Fassung und erschien auch in der Printausgabe der energiezukunft: Die Kraft der Kommunen.


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