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KernenergieUnvereinbar mit der atomrechtlichen Sicherheitsphilosophie

Atomkraftwerk mit rauchendem Wasserdampf bei Nacht
Das Kernkraftwerk Isar 2, gelegen am Fluss Isar, 80 Kilometer Nordöstlich von München. (Bild: Uwekohlmaier, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Umweltorganisationen warnen vor dem Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke. Die Sicherheitsrisiken seien immens und der TÜV Süd spielt in Bayern womöglich eine unrühmliche Rolle bei der Bewertung von Kernkraftwerken.

01.08.2022 – Noch sind in Deutschland drei Atomkraftwerke in Betrieb. Das AKW Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern. Im Zuge des 2011 beschlossenen Atomausstiegs, sollen diese eigentlich Ende des Jahres abgeschaltet werden. Doch die Energiekrise hat eine Debatte über deren Weiterbetrieb entfacht. Sogar das Wiederhochfahren bereits abgeschalteter Atomkraftwerke wird erwägt. Der TÜV-Verband hält eine Wiederinbetriebnahme der Atomkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen für möglich.

Einer der vehementesten Führsprecher einer Laufzeitverlängerung ist der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, und stößt damit in der Union, aber auch der FDP seit Monaten auf offene Ohren. Selbst SPD und Grüne verwehren sich auf Bundesebene seit kurzem nicht mehr der Debatte. In Bayern stützt sich Markus Söder auch auf ein Gutachten des TÜV Süd, das einen Weiterbetrieb von Isar 2 und Wiederinbetriebnahme von Grundremmingen für möglich hält, da es keine sicherheitstechnischen Bedenken dagegen gebe.

Keine seriöse Bewertung

In Auftrag gegeben wurde das Gutachten am 07. April vom bayerischen Umweltministerium und wurde bereits am 14. April vom TÜV an die Behörde übergeben. Doch erst am 23. Juni gelangte das Gutachten durch einen Artikel der Süddeutschen Zeitung an die Öffentlichkeit. Eine rechtliche Bewertung der Hamburger Kanzlei Michael Günther im Auftrag von Greenpeace, wirft dem TÜV Süd nun eine „schlampig argumentierende Auftragsarbeit“ vor, die „nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden kann“.

Die sehr kurze Bearbeitungszeit von gerade mal einer Woche „nähre den bereits geäußerten Verdacht, dass hier ein Gefälligkeitsgutachten erstellt worden ist", so die Anwälte. In dem Gutachten führen die Rechtsanwälte auf, dass der TÜV fehlende Sicherheitsprüfungen für Grundremmingen 2017 und für Isar 2 2019 außer Acht gelassen habe. Die Anwaltskanzlei wirft dem TÜV unter anderem reine Mutmaßungen vor, bei der Frage, ob ausreichend Reserveteile vorhanden sind. Das Gutachten des TÜV sei nicht mit grundlegenden Maßstäben der atomrechtlichen Sicherheitsphilosophie vereinbar. im atomrechtlichen Sicherheitsrecht müssten Annahmen immer auf der sicheren Seite sein.

Zudem erklärt der TÜV, dass in Grundremmingen aus vorhandenen Brennelementen ein Reaktorkern zusammengestellt werden könne, der sämtliche sicherheitstechnischen Randbedingungen erfüllt und der ohne Beschaffung frischer Brennelemente einen Leistungsbetrieb für ca. 6 Monate ermögliche. Doch laut Anwaltskanzlei sei es „unüblich aus lauter abgebrannten Brennelementen einen neuen Reaktorkern zusammenzustellen“. Dies erfordere besondere Prüfungen.

Damit steht für den TÜV Süd ein weiteres Mal der Vorwurf eines Gefälligkeitsgutachtens im Raum. Aktuell muss sich der Prüfkonzern vor dem Landgericht München verantworten. Ein brasilianisches Tochterunternehmen des TÜV Süd hatte 2018 den Damm eines Rückhaltebeckens einer Erzmine in Córrego do Feijão begutachtet und für sicher befunden. Doch im Januar 2019 brach der Damm. 30.000 Tonnen giftiger Schlamm brach aus und überschwemmte Häuser und Brücken. 270 Menschen starben. Die Umwelt wurde auf lange Zeit verseucht. Es steht der Verdacht im Raum, dass die TÜV-Tochter ein wohlmeinendes Gutachten erstellte, um Folgeaufträge des zuständigen Bergbaubetreibers zu erhalten.

Keine umfängliche Prüfung seit 13 Jahren

Eine vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) gemeinsam mit weiteren Expert:innen erstellte Sicherheitsstudie verweist ebenfalls darauf, dass Isar 2, ebenso wie die beiden anderen noch aktiven Atomkraftwerke Emsland und Neckarwestheim 2, schon seit 13 Jahren nicht mehr umfänglich sicherheitstechnisch überprüft worden sind. Die letzte periodische Sicherheitsprüfung, die mindestens alle 10 Jahre erfolgen muss, fand demnach 2009 und nach Sicherheitsanforderungen aus den 1980er Jahren statt, wie Oda Becker, Diplom-Physikerin und Expertin für Risiken von Atomanlagen ausführt.

„Dass die Atomaufsicht auf dieser Basis Laufzeitverlängerungen ohne umfassende Sicherheitsüberprüfungen genehmigt, ist aus fachlicher Sicht nicht vorstellbar. Denn ein sicherer Betrieb der Reaktoren nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik ist nicht gewährleistet“, sagt Becker. Sie verweist zudem darauf, dass selbst die Betreiber der Kernkraftwerke erklären, dass auch ein kurzer Weiterbetrieb nur möglich wäre, wenn der Anspruch an Sicherheitsprüfungen massiv verringert oder umfangreiche Nachrüstungen nicht vorgenommen werden. Die aktuelle Situation in Frankreich zeige des Weiteren, dass die angestrebte Versorgungssicherheit mit Atomkraftwerken nicht gewährleistet sei.

Dort laufen aktuell nur 26 der insgesamt 56 Reaktoren. Einige werden turnusmäßig gewartet, doch 12 sind wegen erwiesener oder vermuteter Korrosionen nicht am Netz. Weitere müssen aufgrund fehlenden Kühlwassers, infolge von Hitze und Dürre, zeitweise abgeschaltet werden. Inzwischen dürfen Frankreichs Kernkraftwerke heißeres Wasser in Flüsse ablassen als eigentlich vorgesehen, mit erheblichen Risiken für Flora und Fauna. In Deutschland laufen Gaskraftwerke auf Hochtouren, um Strom nach Frankreich zu exportieren. Weiterhin ungeklärt ist die Frage der Beschaffung von Brennstäben, für die Russland bislang ein wichtiger Exporteur war. Ebenfalls ungeklärt: die Endlagerung des Atommülls in Deutschland. Der Atomkraftbefürworter Markus Söder jedenfalls bekräftigte in der Vergangenheit wiederholt, dass in Bayern kein geeigneter Ort für die Endlagerung radioaktiver Abfälle sei. mf


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