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Klimaziele 2050Wie eine kostenoptimale Energiewende aussehen könnte

Grafik zu einer Srategie der Energiewende vom Forschungszentrum Jülich
Die Transformationsstrategien der Jülicher Forscher für den Klimaschutzpfad sollen kosteneffizient und technologieoffen sein. (Grafik: © Forschungszentrum Jülich GmbH)

Wie die Energiewende kosteneffizient gelingen kann und damit die Klimaziele erreicht werden, haben Jülicher Forscher aufwändig berechnet. Sechsmal so viele Erneuerbare-Energien-Anlagen müssten bis 2050 doppelt so viel Strom wie heute produzieren.

05.11.2019 – Deutschland hat sich selbst zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Emissionsniveau von 1990 zu reduzieren und möglichst „klimaneutral“ zu werden, das heißt klimaneutral zu wirtschaften. Um das zu schaffen, sind in allen Bereichen des komplexen Energiesystems aber auch in der Wirtschaft und Gesellschaft grundlegende Veränderungen erforderlich. Erste Voraussetzung ist die Stromversorgung mit 100 Prozent Ökostrom. Auch die Bereiche Gebäude, Verkehr und Industrie müssen in dieses System mit einbezogen werden. Wie aber lässt sich ein solch gewaltiger Transformationsprozess möglichst kosteneffizient gestalten?

Technologieoffenheit als Grundlage

Mehrere Studien haben sich bereits mit diesem Prozess befasst. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich kommen nach detaillierten Berechnungen mit speziell dafür entwickelten Computermodellen zu einem Ergebnis, das sie in der Studie Kosteneffiziente und klimagerechte Transformationsstrategien für das deutsche Energiesystem bis zum Jahr 2050 präsentiert haben. Es sollten die kosteneffizientesten CO2- Minderungsstrategien zur Erreichung der Klimaschutzziele Deutschlands bis zum Jahr 2050 identifiziert werden. Ziel war es dabei, die Kosten auf dem Transformationspfad so niedrig wie möglich zu halten.

Viele Studien, in denen Transformationspfade vorgeschlagen werden, schränken nach Meinung der Jülicher Wissenschaftler das Technikportfolio ein. Dies widerspreche einem Lösungsansatz, der sich vor allem durch Technologieoffenheit auszeichnen sollte. Die Frage, ob es sich bei den vorgeschlagenen Transformationspfaden um kostenoptimale Strategien handle, bleibe daher meist unbeantwortet. In der aktuellen Studie werde der gesamte Energiepfad von der Quelle über alle denkbaren Verzweigungen und alle Sektoren übergreifend bis hin zum Verbrauch beleuchtet und dabei alle damit anfallenden Kosten berücksichtigt. Die Modelle bildeten die gesamte deutsche Energieversorgung mit allen Verbrauchssektoren und den möglichen Übergängen zwischen diesen Bereichen ab.

Andere Zahlen – andere Pfade

Die gute Nachricht: Die Ziele des Klimaschutzplans wären zu schaffen. Da die politischen Ziele bezüglich eines Zielkorridors zwischen 80 und 95 Prozent CO2-Reduktion bis 2050 noch nicht festgelegt sind, haben die Jülicher Energiesystemanalytiker mit beiden Vorgaben gerechnet. Um das ambitionierte 95-Prozent-Ziel zu erreichen, sei eine grundsätzlich andere Strategie nötig als für die weniger hohe Marke von 80 Prozent.

Es ergeben sich unterschiedliche Maßnahmen, bspw. hinsichtlich des Energieträgers Wasserstoff, den die Wissenschaftler darin als wichtigen Baustein einer vollständigen Energiewende ausgemacht haben. Beim 80-Prozent-Ziel wäre es demnach sinnvoll, den mithilfe von erneuerbarem Strom produzierten Wasserstoff in das bestehende Gasversorgungsnetz einzuspeisen. Beim 95-Prozent-Szenario würde Erdgas hingegen ganz ausscheiden, da es bei der Verbrennung CO2 erzeugt. Daher müsste man laut Studie bei dieser Variante noch viel stärker auf eine Wasserstoffwirtschaft setzen und diese aufbauen.

Das beträfe vor allem den Verkehrssektor. Erdgas betriebene Fahrzeuge wären bei der 80-Prozent-Marke noch sinnvoll, scheiden im 95-Prozent-Szenario jedoch aus, da sie zu viel CO2 emittieren. Strom und Wasserstoff würden demnach den Kraftstoffmix im künftigen Verkehr dominieren. Auch in der Industrie würde der Energieträger unverzichtbar, bspw. in der Stahlherstellung. Und da auch Wasserstoff aus elektrischer Energie gewonnen wird, entstehe insgesamt ein entsprechend großer Bedarf an elektrischer Energie.

Die Zukunft wird öko-elektrisch

Laut Modellrechnungen in der Studie würde sich Deutschlands Strombedarf nach Erreichen des 95-Prozent-Ziels im Jahr 2050 im Vergleich zu heute mehr als verdoppeln. Wenn dieser Strom dann ausschließlich aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen erzeugt werden soll, entspräche das einer Versechsfachung der heutigen Ökostromproduktion. Geschuldet ist das vor allem der Elektrifizierung des Autoverkehrs und der Gebäudeheizung sowie industriellen Prozessen inklusive der energieintensiven Herstellung synthetischer Treibstoffe, vor allem für den Luftverkehr – aber auch einem prognostizierten Wirtschaftswachstum bis 2050. Wasserstoff würde jährlich mit zwölf Millionen Tonnen zur Energieversorgung beitragen. Der Energieträger lässt sich speichern und kann bei Bedarf die Stromversorgung aus fluktuierend Erneuerbaren Energien sicherstellen.

Rückgrat der Stromversorgung

Vor allem der Ausbau der Solarenergie und der Windkraft müsste vorangetrieben werden: diese sehen die Studienautoren als „Rückgrat der zukünftigen Stromversorgung“. Im 95 Prozent CO2-Reduktions-Szenario müsste die Windkraftkapazität bis 2015 damit jährlich um etwa 6,6 Gigawatt steigen. Doch die Ausbaukorridore der Regierung ließen noch nicht mal 3 Gigawatt zu. Hier sehen die Forscher einen dringend notwendigen Aufholbedarf bei der Politik, entsprechende Regelungen schleunigst anzupassen. Daneben müssten Biomasse und Biogas rund ein Viertel des gesamten Energiebedarfs decken. Auch die Energieeffizienz spielt zunehmend eine Rolle und müsste in allen Verbrauchssektoren massiv gesteigert werden.

Klar sei aber auch, so die Studienautoren, dass Energieimporte notwendig bleiben. Von heute 70 Prozent importierter Energie würde der Anteil bei dem beschriebenen Pfad im Jahr 2050 allerdings nur noch 20 Prozent betragen – und nicht etwa fossile Energien, sondern regenerative Energieträger, allen voran flüssiger Wasserstoff sowie synthetische Kraftstoffe. Denn auch 2050 werden Flugreisen nicht mit elektrisch angetriebenen Jets gemacht, so die Jülicher Forscher.

Im Gebäudesektor die richtigen Anreize setzen

Im Gebäudesektor zeigen die Analysen, dass bis zum Jahr 2050 ein klimaneutraler Gebäudebestand erreicht werden muss. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden fordert für den Neubau von öffentlichen Gebäuden seit Anfang dieses Jahres und für alle anderen Neubauten ab 2021 den Niedrigstenergiegebäude-Standard (Nearly Zero Energy Building – NZEB). Genau definiert ist dieser Standard allerdings bis heute nicht, unklar daher auch, wie er erreicht werden soll.

Die Studie hat die Transformationsstrategie für den Gebäudesektor in zwei Phasen eingeteilt. In der ersten Phase bis 2035 wären die Maßnahmen zur Energieeinsparung massiv zu forcieren. Dafür müsste die energetische Sanierungsrate auf über zwei Prozent steigen. Doch die Politik setzt hier nicht die richtigen Anreize, im Gegenteil. Momentan liegt die Sanierungsrate bei etwa einem Prozent. Eine politische Entscheidung wie etwa in Berlin mit einer Mietpreisbremse ohne flankierende Maßnahmen dürfte den Sanierungswillen der Vermieter weiter drosseln.

In der zweiten Phase bis 2050 empfehlen die Studienautoren hingegen eine moderatere energetische Sanierungsrate. Die notwendigen Wärmedämmmaßnahmen würden dann durch den verstärkten Einsatz von Biomasseheizsystemen und vor allem Wärmepumpen flankiert. Auch hier gilt, den Ausbau der allgemeinen Stromerzeugung auf Basis Erneuerbarer Energien massiv voranzutreiben, da Wärmepumpen elektrische Energie benötigen.

Jedes Hinauszögern bedeutet Mehrkosten

Laut Berechnungen der Wissenschaftler betragen die Mehrkosten des Umbaus für das 80-Prozent-Ziel im Jahr 2050 rund 1,1 Prozent des dann zu erwartenden Bruttoinlandsprodukts. Mit rund 2,8 Prozent wäre der Anteil beim 95-Prozent-Ziel mehr als doppelt so hoch. Etwa 655 Milliarden Euro kumulierte Mehrkosten würden demnach beim 80-Prozent-Pfad anfallen, 1.850 Milliarden Euro beim 90-Prozent-Pfad. Das klingt groß, sei jedoch volkswirtschaftlich leistbar, befinden die Studienautoren. Der Betrag relativiere sich zudem in Hinblick darauf, wie viel Geld Deutschland aktuell für den Import von Energieträgern wie Öl und Gas ausgebe: Das seien aktuell etwa 63 Milliarden Euro pro Jahr oder 1,9 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Um die Energiewende also wirtschaftlich sinnvoll zu gestalten, raten die Wissenschaftler den politisch Verantwortlichen, sich jetzt auf ein Ziel bis 2050 festzulegen. Denn auf halber Strecke den Transformationspfad zu wechseln wäre kontraproduktiv – und teuer. „Wir haben keine Zeit mehr für Brückentechnologien“, sagt der Leiter der Studie, Martin Robinius vom Jülicher Institut für Techno-ökonomische Systemanalyse. Um die Transformation wirtschaftlich sinnvoll zu erreichen seien nun allerdings völlig neue Rahmenbedingungen notwendig. Die Politik muss jetzt handeln, mahnen die Wissenschaftler – dieses bereits bekannte Fazit bleibt auch bei der Jülicher Studie nicht aus. na


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