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Gemeinwohlökonomie und CoWirtschaften ohne Verwüsten

Menschengruppe, die nach oben winken
Für das Ökofrost-Team ist die Bilanzierung nach den Kriterien der Gemeinwohlökonomie ein wichtiger Erkenntnisprozess. (Foto: Ökofrost GmbH)

Viel zu viele Rohstoffe, Vorprodukte und Energie werden regelrecht verschwendet, anstatt Ressourcen zu schonen und langlebige Produkte zu produzieren. Nachhaltiges Wirtschaften heißt das Gebot der Stunde. Gute Beispiele und Konzepte gibt es.

19.10.2022 – Nachhaltig wirtschaften – die Aufgabe ist gewaltig und facettenreich. Es gibt Unternehmen, die bereits seit langem und aus eigener Motivation große Strecken zurückgelegt haben; eigene Pfade beschreiten, um Ressourcen zu schonen.

Theoretischen Überbau und Netzwerke gibt es ebenfalls. Konzepte und Management-Tools wurden entwickelt, Verbände gegründet, Erfahrungsaustausch institutionalisiert. Inzwischen können Unternehmer auf sehr viel Wissen und Best-Practice-Beispiele zurückgreifen. Die Ausrede, es sei gerade im eigenen Unternehmen nicht möglich, gilt schon lange nicht mehr. Stattdessen schauen Gesellschaft, Investoren und Kunden immer genauer darauf, welche Umweltwirkungen Produkte und Dienstleistungen haben. Unternehmen, denen Nachhaltigkeit egal ist, stehen bereits im Abseits.

Dennoch engagieren sich nicht alle Unternehmen gleichermaßen – und gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, ganz abgesehen von den schwarzen Schafen, die schummeln und wenig Konkretes mit vollmundigen Worten beschreiben.

Unternehmen tragen Verantwortung

2016 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Sustainable Development Goals – Ziele zur nachhaltigen Entwicklung und nahmen damit auch die Unternehmen in die Pflicht, Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten zu übernehmen. Instrumente gibt es inzwischen einige: die internationale Norm ISO 14001 beispielsweise, oder die zukünftig erweiterten Pflichten für große Unternehmen, Nachhaltigkeitsberichte zu veröffentlichen.

Wer meint, Papier sei geduldig, irrt in diesem Fall. Nicht nur, dass nachhaltiges Wirtschaften unabhängig von Berichtspflichten mehr und mehr zur Existenzfrage eines Unternehmens wird – es geht um konkretes Handeln, die Umstellung von Prozessen, das mühsame Aufdröseln von Lieferketten, das faire Miteinander in der Belegschaft, die Wahrung von Menschenrechten in fernen Orten der Welt und nicht zuletzt um Transparenz. Investoren und Gesellschaft wollen wissen, welche Folgen ihr Konsumverhalten hat, wollen nachhaltige Investitionsentscheidungen treffen.

Die Spreu vom Weizen zu trennen, ist nicht immer leicht und wie in anderen Lebensbereichen konkurrieren verschiedene Ansätze und Akteure. Das ist auch gut so, schließlich ist der Transformationsprozess eine Herkulesaufgabe, die noch dazu in kürzester Zeit gelöst werden muss.

Unter den Methoden und Ansätzen finden sich einige, die bereits sehr bekannt sind. Sehr nah beieinander jedoch nicht synonym sind Cradle to Cradle und die Kreislaufwirtschaft. Cradle to Cradle – wörtlich von der Wiege bis zur Wiege – wurde ursprünglich Ende der 1990er Jahre als Designprinzip entwickelt und ist vielleicht das konsequenteste. Alle Inhaltsstoffe sollen bekannt und unbedenklich sein, kein Material verloren gehen, alles in neuen Produkten wiederverwendet werden, die ausschließlich mit Erneuerbaren Energien hergestellt werden und sauberes Abwasser an die Umwelt zurückgeben. So einfach und logisch das klingt, in der Praxis sind damit viele Hürden verbunden. Jüngere Konzepte sind die Donut-Ökonomie und die Gemeinwohl-Ökonomie, die jeweils ein Modell anbieten und zugleich als Bewegung neue Unternehmer begeistern.

Gemeinwohl stärken

Wirtschaftet ein Unternehmen nach den Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie, richtet es sein Handeln auf das Wohl von Mensch, Tier und Umwelt aus. Das Gemeinwohl steht im Vordergrund und nicht Wachstum und Profit. Um den eigenen Weg nachvollziehbar zu machen und die vielfältigen Aspekte im Blick zu behalten, gibt es die sogenannte Matrix, inzwischen in der Version 5.0. Sie bildet die Grundwerte der Gemeinwohl-Ökonomie ab: Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung. Diese Grundwerte werden angewandt auf alle Berührungsgruppen, mit denen das Unternehmen zu tun hat: Mitarbeitende, Lieferanten, Kunden, Eigentümer und Finanzpartner sowie das gesellschaftliche Umfeld. Eine Bilanz in mehrjährigen Abständen beschreibt den Status Quo in den einzelnen Feldern. Je nachdem, wie weit die Werte verwirklicht sind, werden für die einzelnen Aspekte Punkte vergeben und eine Gesamtpunktzahl ermittelt. Die Bilanz kann das Unternehmen von externen Auditoren prüfen lassen.

Diesen Weg freiwillig zu beschreiten, kostet Zeit und Mühe. Doch es lohnt sich, wie Katherina Gerull beschreibt. Sie und ihr Mann beliefern mit ihrem Unternehmen Ökofrost den Groß- und Einzelhandel seit 1996 mit Bio-Tiefkühlkost. Bereits zum vierten Mal haben sie ihr Unternehmen nach den Kriterien der GWÖ bilanziert.

Gerull berichtet von den Anfängen: „Wir hatten gerade als Unternehmen ein Leitbild erarbeitet und wollten schauen, wo wir eigentlich stehen – da hat das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie sehr gut gepasst. Unsere vorher unabhängig formulierten Werte fanden sich fast alle in der Matrix der Gemeinwohl-Ökonomie wieder.“ Wenig verwunderlich: der Einstieg war zeitaufwändig und die Beschäftigung mit dem Thema warf viele grundsätzliche Fragen auf. Zwei ehrenamtliche Mitarbeiter des Verbandes der GWÖ unterstützten den Prozess. Bis zur ersten Bilanz gab es viele Termine, auch die Mitarbeitenden wurden einbezogen.

Inzwischen ist vieles eingeübt, die Bilanzierung weniger arbeitsintensiv. „Für uns ist es aber dennoch jedes Mal spannend, zu sehen was sich verändert hat. Wir freuen uns, wenn sich die Punktzahl erhöht. Aber das ist nicht die Hauptsache, sondern wir versuchen wirklich sehr bei uns zu bleiben und nur die Dinge zu verändern, die für uns auch stimmig sind“, betont Gerull. Sie erzählt weiter, dass die Gespräche mit den Geschäftspartnern, die im Zuge der ersten Bilanz stattfanden, auch etwas an den Beziehungen geändert haben und manche Verbindungen seitdem stark gewachsen sind. Sie sind immer dann gut, wenn beide Unternehmen ähnliche Werte haben und teilen. Den Anfang macht ein Gespräch darüber.

Für Gerull ist die GWÖ-Bilanzierung ein wichtiger Erkenntnisprozess für das Unternehmen, aber auch eine gute Gelegenheit, um damit nach außen zu gehen und zu zeigen, wer man ist. „Das ist ein gutes, ehrliches Gefühl, auch den Kunden gegenüber. Eine sympathische und authentische Art und Weise, weil man eben auch zeigt, wo noch Luft nach oben ist.“

Einen konkreten Nutzen sieht Gerull bei der Mitarbeiterbindung und -findung: „Seit den ersten Bilanzen finden wir schnell neue Mitarbeiter, die auch zu uns passen. Sie sehen, wer wir sind und was wir machen und bewerben sich genau deshalb bei uns. Andere bewerben sich nicht, was das Bewerbungsverfahren sehr vereinfacht.“

Grenzen anerkennen – die Donut-Ökonomie

Die Donut-Ökonomie ist noch relativ jung. Die Ökonomin Kate Raworth erschuf das Wirtschaftsmodell, das den Planeten schonen und der Menschheit in Gänze dienen soll. Es fußt auf der Akzeptanz von Grenzen: zum einen sollen soziale Standards, wie der Zugang zu Nahrung und Wasser, Gesundheitsfürsorge und Bildung, respektiert und für alle Menschen gewährleistet sein. Sie bilden das Mindestmaß, welches wirtschaftliches Handeln sichern soll. Andererseits dürfen planetare Grenzen nicht überschritten werden: wirtschaftliches Handeln muss im Einklang mit Ökologie und Umwelt stehen. Die Endlichkeit der Erde, ihrer Ressourcen und Lebensräume als natürliche Grenze von Wachstum ist ein limitierender Faktor für Wirtschaft – die Donut-Ökonomie bezieht ihn in ihre Wirtschaftstheorie ein. Das primäre Ziel ist Wohlergehen, nicht Wohlstand.

Mit einigen Mantras der klassischen Ökonomie bricht Raworth: Ressourcen immer wieder zu verwenden, praktisch keinen Müll mehr zuzulassen, gehört dazu, aber ebenso die Abkehr von der Idee des rational handelnden Menschen. Raworth zeichnet stattdessen das Bild eines sozial anpassungsfähigen, kooperativen, emphatischen Menschen, dessen Werte nicht starr sind, sondern sich ändern können. Nicht zuletzt gelte es anzuerkennen, dass die Natur keineswegs dem Menschen untertan ist, sondern wir im höchsten Maß von ihr abhängig sind.

Pionierprojekte in Amsterdam

Die Stadt Amsterdam hat sich auf den Weg gemacht, die Donut-Ökonomie ins Leben der Stadt einzubetten. Inzwischen existiert die Amsterdam-Donut-Koalition, ein Netzwerk, das in verschiedenen Stadtteilen vor Ort an konkreten Umsetzungen arbeitet.

Martin Jas-Mögling ist Projektkoordinator bei der Kooperative Groene Hub. Groene Hub sind Energieberater, die Unternehmen, Eigentümer und Mieter zu Einsparpotenzialen und Sanierungen beraten. Jas-Mögling erzählt von konkreten Donut-Deals, die aus der Theorie eintwickelt wurden. Dabei finden sich mindestens zwei Partner zusammen, die sich in einem konkreten Vorhaben einigen der in der Donut-Theorie genannten Kategorien widmen. Selbst gesetzte Regel: Es müssen mindestens ein ökologischer und drei soziale Aspekte in der wirtschaftlichen Unternehmung im Fokus stehen. Inzwischen gibt es acht Donut-Deals im Stadtbezirk Gaasperdam.

Der erste dieser Deals wurde von Frauen aus Mittel- und Südamerika auf den Weg gebracht. Sie reparierten und nähten Kleidung. Im Rahmen des Deals fanden sie einen Partner und nähten isolierende Fenstervorhänge, die im Winter Heizwärme sparen helfen. So wird weniger Energie verbraucht, der Verkauf der Vorhänge generiert Einkommen, Neuhinzukommende werden eingelernt.

Das jüngste Projekt geht gerade an den Start: in den Räumen des Grone Hub wird fortan auch mit Biogas aus der eigenen Mini-Anlage geheizt. Circ heißt der Biotransformer, ein Container mit einem Mahlwerk und einem Vergärungsbehälter, in den Speisereste geworfen werden. Gewonnen wird Biowasser zum Gießen der Pflanzen und Biogas zum Heizen für das Gebäude von Groene Hub selbst, aber auch für die benachbarte Schule. Die Restaurants aus dem Viertel entsorgen ihre Abfälle nun im Quartier und vermeiden damit LKW-Verkehr.

Impulse aus dem Mittelstand

Die Holzwerke Gleitsmann in Nordbayern sind ein Familienbetrieb in vierter Generation mit 50 Mitarbeitern. Eingekauft und verarbeitet werden ausschließlich Laubhölzer. Die Stämme werden im Sägewerk Unterspiesheim entrindet und geschnitten. Bevor das Schnittholz in Möbeln oder Fußböden weiterverarbeitet werden kann, muss es trocken sein. Gleitsmann nutzt branchenüblich die Trocknung an der Freiluft und später im Lager. Tage oder Wochen, je nach Holzart und Dicke, liegt es dann in geheizten Kammern. Die zum Trocknen benötigte Energie kommt aus einem betriebseigenen Bioheizkraftwerk, in dem Holzreste aus naturbelassenem Holz verbrannt werden.

Geschäftsführerin der Familienholding ist Saskia Gleitsmann. Seit rund fünf Jahren ist sie verantwortlich für die Entwicklung der Zukunftsvisionen für den Betrieb. Nachhaltigkeit und Umweltschutz ist ihr und ihrer Familie ein Anliegen. Nicht nur beim Einkauf der Stämme, die nahezu alle aus zertifiziertem nachhaltigem Waldbau in der Region kommen. Längst sind die Lagerhallen mit Photovoltaik bestückt, Elektro-Stapler rollen über den Hof, der ökologische Fußabdruck des Unternehmens ist bestimmt, Kompensationsprojekte werden unterstützt. Dennoch bleiben bei Saskia Gleitsmann Wünsche an die Politik offen.

Am meisten ungenutztes Potenzial sieht Gleitsmann in der Abwärme des Bioheizkraftwerkes, die so reichlich anfällt, dass damit Strom erzeugt werden könnte. Das Unternehmen beteiligte sich an der Entwicklung einer Technologie, die das kostengünstig schafft. Der Aufwand und die Kraft für so ein Vorhaben sind enorm und keine Tagesroutine, öffentliche Gelder dafür zu beantragen und weitere Vorgaben zu erfüllen, überfordert die Management-Ressourcen eines Mittelständlers. „Es ist so schade. Wir müssen so exorbitant viel Kraft aufwenden, um nachhaltig zu sein, obwohl wir es doch so sehr wollen“, beschreibt Gleitsmann das Dilemma und ihr fällt ein weiteres Beispiel ein.

Ein Informationsdatenprojekt liegt nach zwei Jahren Arbeit vorerst auf Eis. Die Sägewerker wollten gemeinsam mit einem Start-up anhand von optischen Daten Rückschlüsse auf den Zustand des Waldes geben, aus dem der Baum kommt. Denn wie es dem Baum zu Lebzeiten ging, sieht man häufig erst, wenn man ihn aufschneidet. Das müsste doch die Waldbesitzer und Kommunen interessieren – so die Geschäftsidee. Doch dafür braucht es eine Normierung, einen DIN-Standard, und den zu bekommen kostet viel Geld. „Hier wird der Mittelstand total vergessen, das Feld den großen Unternehmen überlassen“, kritisiert Gleitsmann.

Die Holzasche aus der Verbrennung sei übrigens ein guter Biodünger, versichert Gleitsmann. Proben seien genommen, ein Zertifikat der Bundesgütegemeinschaft für Holzaschen (RAL Gütezeichen) für die Anerkennung als Biodünger beantragt.  „Wir spüren, dass wir die Unterstützung der Politik brauchen und dafür wollen wir eintreten.“ Das Unternehmen engagiert sich im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW).

Gegründet bereits 1992 unter dem Namen Unternehmensgrün versammelt der BNW inzwischen knapp 600 Mitgliedsunternehmen, die für 120.000 Arbeitsplätze in Deutschland stehen. Der Verband tritt ein für einen früheren Kohleausstieg, den Ausbau Erneuerbarer Energien, bessere Bedingungen für die Circular Economy und die Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft. Mit seinen Impulsen trägt er aktiv bei, nachhaltige und ökologische Themen auf die Agenda der Politik zu setzen. Petra Franke


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